Nichtanwendungserlass zu dieser Entscheidung
Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von Verspätungszuschlägen wegen Nichtabgabe von Voranmeldungen bei Ergehen eines Jahressteuerbescheids - Verspätungszuschlag nur bei Steuerfestsetzung von mehr als 0 DM
Leitsatz (amtlich)
1. Umsatzsteuervoranmeldung und Jahressteuererklärung sind --grundsätzlich auch für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen-- eigenständige Verfahren.
2. Ergeht während des Verfahrens gegen Verspätungszuschläge wegen verspäteter Abgabe bzw. Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen ein Jahressteuerbescheid, sind dessen Festsetzungen für die Zumessung der Verspätungszuschläge von Bedeutung.
Orientierungssatz
1. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags setzt voraus, daß eine Steuer von mehr als 0 DM festgesetzt wird; beträgt die Steuer 0 DM oder führt der Bescheid zu einer "negativen Steuer", kann ein Verspätungszuschlag nicht festgesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 27.6.1989 VIII R 73/84).
2. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 16.11.1995, Az. 2 BvR 1174/92).
Normenkette
UStG 1980 § 18 Abs. 1-3; AO 1977 § 152; FGO § 102
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) meldete die Umsatzsteuer der Monate Januar bis Oktober 1990 nicht an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schätzte die Besteuerungsgrundlagen und setzte gemäß § 152 der Abgabenordnung (AO 1977) für die einzelnen Monate Verspätungszuschläge zwischen 250 DM und 10 000 DM (insgesamt 33 340 DM) fest. Erst nachdem das FA die Einsprüche gegen die Vorauszahlungsbescheide als unbegründet zurückgewiesen hatte, reichte der Kläger am 21. Februar 1991 eine "USt-Voranmeldung für das gesamte Kalenderjahr 1990" ein, aus der sich ein Guthaben ergab. Das FA änderte nicht die Vorauszahlungsbescheide, sondern erließ am 26. März 1991 einen Jahressteuerbescheid. Die gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge gerichtete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück (Beschwerdeentscheidung vom 17. Dezember 1992). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Kläger sei der Aufforderung zur Abgabe der Erklärungen nicht nachgekommen. Es spiele keine Rolle, daß er der Auffassung sei, nicht monatlich zur Abgabe der Erklärungen verpflichtet gewesen zu sein. Der Umstand, daß der Kläger keinen Zinsvorteil aus der verspäteten Abgabe der Erklärungen erlangt habe, stehe der Festsetzung nicht entgegen, da die gesetzliche Regelung bezwecke, den ordnungsgemäßen Gang der Steuerverwaltung zu sichern. Das FA habe auch sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Zuschläge lägen zwischen 0,59 % und 8,29 % der vom FA geschätzten Vorauszahlungen und seien angemessen, weil der Kläger beharrlich nicht reagiert habe.
Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß Verletzung des § 152 AO 1977.
1. Er sei nicht nach § 18 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet gewesen. Aufgrund der Struktur seines Geschäftsbetriebs (Umsatzerlöse zum ermäßigten Steuersatz; Kürzungsanspruch nach § 1 des Berlinförderungsgesetzes --BerlinFG-- und Rohstoffeinkauf mit überwiegend vollem Vorsteuersatz) habe sich --wie auch die Vorjahre zeigten-- stets ein Erstattungsanspruch ergeben müssen. Das FA habe bestätigt, daß er keinen Antrag nach § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG 1980 gestellt habe. Die Abgabe monatlicher Umsatzsteuervoranmeldungen habe das FA auch in den Vorjahren durch Schätzungsbescheide erzwungen.
2. Während des Rechtsstreits gegen die Vorauszahlungsbescheide sei der Umsatzsteuerbescheid 1990 mit einem Erstattungsbetrag von 217 380 DM ergangen. Das FG habe den Rechtsstreit daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dieser Beschluß beinhalte die Aufhebung der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide, so daß die Bemessungsgrundlage für die Verspätungszuschläge entfallen sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 21. Februar 1991 V R 130/86 (BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465) entschieden, daß auch im Umsatzsteuerrecht die Jahressteuerfestsetzung die Vorauszahlungsbescheide ablöse.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Unter Berücksichtigung der wiederholten Fristüberschreitungen des Klägers sei die Höhe der einzelnen Verspätungszuschläge angemessen. Die Einwendung, daß er nach § 18 Abs. 2 UStG 1980 nicht zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet gewesen sei, hätte er in dem jeweiligen Rechtsbehelfsverfahren vortragen müssen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Gemäß § 152 Abs. 1 AO 1977 kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift darf der Verspätungszuschlag 10 % der festgesetzten Steuer oder des festgesetzten Meßbetrages nicht übersteigen und höchstens 10 000 DM betragen. Bei der Bemessung des Verspätungszuschlages sind neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruches, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.
2. Nach dem BFH-Urteil vom 29. März 1979 V R 69/77 (BFHE 128, 17, BStBl II 1979, 641) ist bei der Änderung einer (bestandskräftigen) Steuerfestsetzung zu prüfen, ob der festgesetzte Verspätungszuschlag "anzupassen" ist. Im Streitfall ist die in den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden festgesetzte Steuer geändert worden, wenn auch --wie das FA dem Kläger mit Schreiben vom 15. März 1991 wörtlich mitteilte-- aus verwaltungsökonomischen Gründen keine geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide I - X/1990 ergangen sind, sondern ein Jahressteuerbescheid erlassen wurde (zum Zusammenhang zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahressteuerbescheid vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Auch in diesem Fall ist das FA verpflichtet, in eine erneute Prüfung der Zumessungsgründe des § 152 AO 1977 einzutreten, da sich die Grundlagen für die Festsetzung der Verspätungszuschläge geändert haben.
3. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
Voranmeldungsverfahren und Jahressteuerfestsetzung sind jeweils eigenständige Verfahren. Grundsätzlich können daher sowohl im Voranmeldungsverfahren als auch hinsichtlich der Jahressteuer Verspätungszuschläge festgesetzt werden (vgl. Sölch/ Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 18 Bem.16).
Die nicht abgegebenen Voranmeldungen haben im Ergebnis nicht zu einer Steuerfestsetzung geführt. Der Jahressteuerbescheid enthielt eine "negative Umsatzsteuerfestsetzung" in Höhe von 217 380 DM. Nach dem BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 73/84 (BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955) setzt die Festsetzung eines Verspätungszuschlags voraus, daß eine Steuer von mehr als 0 DM festgesetzt wird; beträgt die Steuer 0 DM oder führt der Bescheid sogar zu einer "negativen Steuer", so kann ein Verspätungszuschlag nicht festgesetzt werden. Das FG hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob in den einzelnen Voranmeldungszeiträumen Umsatzsteuer festzusetzen war. Dieser Feststellungen bedarf es; denn maßgeblich für die Festsetzung der Verspätungszuschläge ist die für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum errechnete Steuer. Eine "Jahresvoranmeldung", wie sie der Kläger für 1990 eingereicht hat, sieht das UStG nicht vor (vgl. Sölch/Ringleb/List, a.a.O., § 18 Bem.68). Der darin errechnete Gesamtüberschuß muß nicht gleichmäßig in den einzelnen Voranmeldungszeiträumen entstanden sein.
4. Bei der erneuten Entscheidung wird das FG auch zu prüfen haben, ob der Kläger tatsächlich zur Abgabe monatlicher Voranmeldungen verpflichtet war.
Fundstellen
BFH/NV 1995, 73 |
BStBl II 1996, 259 |
BFHE 177, 570 |
BFHE 1996, 570 |
BB 1995, 1734 (L) |
DB 1995, 1795 (L) |
DStR 1995, 1307 (KT) |
DStZ 1995, 701-702 (KT) |
HFR 1995, 599 (LT) |
StE 1995, 528 (K) |
StRK, R.12 (LT) |
GStB 1995, Beilage zu Nr 9 (L) |
UVR 1995, 342 (L) |
UStR 1996, 25-26 (KT) |
NWB-DokSt 1999, 259 |