Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß des Vorsteuerabzugs bei Zwischenvermietung
Leitsatz (NV)
Der Änderung von Umsatzsteuerfestsetzungen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bekanntgegeben worden sind, steht in Zwischenvermietungsfällen §176 Abs. 2 AO 1977 nicht entgegen.
Bei rechtsfehlerhafter unabänderbarer Beurteilung der Steuerfestsetzung, in dem ein Vorsteuerabzug trotz Zwischenvermietung zugelassen worden war, kommt in einem Folgejahr des Berichtigungszeitraums eine Vorsteuerberichtigung in Betracht.
Normenkette
UStG 1980 § 15a Abs. 1; AO 1977 § 164 Abs. 2, § 176 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) vermieteten eine von ihnen im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft in den Jahren 1980 bis 1983 hergestellte Eigentumswohnung in B ab Oktober 1983 an einen gewerblichen Zwischenvermieter, die I-Gesellschaft. Sie verzichteten auf die Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken und zogen die ihnen von Bauhandwerkern berechnete Umsatzsteuern als Vorsteuer ab.
Die I-Gesellschaft vermietete die Wohnung, wozu sie vertraglich berechtigt war, an einen Endmieter, dessen zunächst auf ein Jahr geschlossener Mietvertrag aufgrund einer Verlängerungsvereinbarung darüber hinaus fortbestand.
Nachdem über das Vermögen der I-Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet worden war, schlossen die Kläger am 21. Oktober 1985 einen neuen Zwischenmietvertrag zum 1. Oktober 1985 mit der W-Gesellschaft über ihre Wohnung zu einem geringfügig verminderten Mietzins ab.
Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Vermietung der Wohnung an die W-Gesellschaft nicht mehr als eine steuerpflichtige Vermietung an. Er behandelte die Mieten als Entgelt für einen steuerfreien Umsatz und berichtigte die ab gezogenen Vorsteuern in den Umsatzsteueränderungsfestsetzungen (§164 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) für 1985 bis 1988 vom 12. Dezember 1989 gemäß §15 a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980).
Den Einspruch der Kläger wies das FA zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, weil das FA die Vorsteuer zu Unrecht berichtigt habe. Eine geänderte rechtliche Beurteilung der Verwendungsumsätze in der Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis reiche -- wie es zur Begründung ausführte -- für eine Vorsteuerberichtigung nicht aus.
Mit der Revision rügt das FA unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unrichtige Anwendung von §15 a UStG 1980. Dazu führt es zur Begründung u. a. aus: Das zweite Zwischenmietverhältnis sei lediglich aus steuerlichen Gründen eingegangen worden, "um in den Genuß des Vorsteuerabzugs zu gelangen". Nach dem Ende des ersten Zwischenmietverhältnisses habe für die Kläger weder ein Leerstands- noch ein Vermietungsrisiko bestanden, weil das erste Endmietverhältnis vom Wechsel des Zwischenvermieters nicht berührt worden sei und fortgeführt worden sei. Die Änderung der Verhältnisse i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980 bestehe darin, daß die Bauleistungen nunmehr als für steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze verwendet anzusehen seien, während für das bestandskräftige Erstjahr von einer Verwendung von Bauleistungen durch steuerpflichtige, den Vorsteuerabzug zulassende Vermietungsumsätzen auszugehen sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des §15 a UStG 1980 durch den BFH.
1. Das FA war berechtigt, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerfestsetzungen für 1985 bis 1988 nach §164 Abs. 2 AO 1977 zu ändern. Der Änderung stand auch §176 Abs. 2 AO 1977 nicht deshalb entgegen, weil der BFH allgemeine Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung zur Zwischenvermietung nicht als mit geltendem Recht unvereinbar bezeichnet hatte (vgl. zur Anwendung von §176 Abs. 2 AO 1977 in Zwischenvermietungsfällen BFH-Beschluß vom 1. März 1990 V B 123/89, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Umsatzsteuergesetz, §15 Abs. 2, Rechtsspruch 11). Die einschlägigen Verwaltungsvorschriften zur Zwischenvermietung enthalten den Hinweis darauf, daß die Einschaltung eines gewerblichen Zwischenvermieters umsatzsteuerrechtlich nicht anerkannt werden könne, wenn darin ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu sehen sei (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754). Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung hat das FA die Steueränderung vorgenommen und die Vermietung von 1985 an zutreffend als durch steuerfreie sonstige Leistung ausgeführt beurteilt.
Die Kläger haben ihre Wohnung schon ab 1983 steuerfrei und damit vorsteuerabzugsschädlich vermietet (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980), weil die Zwischenvermietung von Wohnungen grundsätzlich als rechtsmißbräuchliche Gestaltung (§42 AO 1977) nicht berücksichtigt werden darf (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Beschluß vom 25. November 1993 V B 120/93, StRK, Umsatzsteuergesetz 1980, §15 Abs. 2, Rechtsspruch 20; Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931, m. w. N.) und weil im Streitfall ein umsatzsteuerrechtlich anzuerkennender Grund, eine an einen Endmieter vermietete Wohnung an einen zweiten gewerblichen Zwischenvermieter unter Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung (§9 UStG 1980) zu vermieten, nicht gegeben war. Dies ist indessen in den Abzugsjahren (1980 bis 1983) und im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (1983) vom FA nicht erkannt worden.
2. Ob das FA den Vorsteuerabzug in den angefochtenen Steueränderungsfestsetzungen zutreffend nach §15 a UStG 1980 berichtigt hat, kann anhand der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.
Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
3. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.
a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Der Senat hat seine Rechtsprechung durch Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95 (BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589) fortgeführt. Darauf nimmt der Senat Bezug.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des §15 a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungs beschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/ NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält.
4. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzungen in den Abzugsjahren und zur Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze in den Streitjahren getroffen. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zurück.
Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Fundstellen
BFH/NV 1998, 233 |
HFR 1998, 221 |