Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Umsatzsteuerpflicht von Fahrschulunterricht zum Erwerb eines PKW-Führerscheins
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der von einer GmbH mit einem einzigen Fahrlehrer überwiegend zum Erwerb eines PKW-Führerscheins (Fahrerlaubnisklasse B) erteilte Fahrschulunterricht umsatzsteuerpflichtig ist oder ob er als „von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht” nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerbefreit ist (Anschluss an FG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.11.2015, 5 V 5144/15; Abgrenzung vom Urteil des Niedersächsischen FG v. 1.4.2016, 11 K 10284/15).
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der von einer privaten Fahrschule erteilte Fahrschulunterricht zum Erwerb eines Führerscheins nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a, b UStG steuerbefreit ist.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a, b; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. j; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. j
Tenor
1. Der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das 2. Kalendervierteljahr 2016 vom 23. Dezember 2016 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung von der Vollziehung ausgesetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Umsätze einer Fahrschule steuerfrei sind.
Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine Fahrschule in X. Der Alleingesellschafter der GmbH ist einziger Geschäftsführer und Fahrlehrer der Antragstellerin. Die Ausbildung umfasst die Fahrerlaubnisklassen A (Krafträder) und B (PKW). Der Unterricht wird überwiegend in der Fahrerlaubnisklasse B erteilt. Seit dem 1. Januar 2016 berechnet die Antragstellerin keine Umsatzsteuer mehr.
In ihren vierteljährlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen erklärte die Antragstellerin den Fahrschulunterricht ab Januar 2016 als steuerfreien Umsatz und machte keinen Vorsteuerabzug mehr geltend. Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für das 1. und 2. Quartal 2016 (geänderter Bericht vom 6. Dezember 2016, Bl. 49 ff. d. Rechtsbehelfsakte) änderte der Antragsgegner (Finanzamt –FA–) die bisherigen Null-Festsetzungen ab, indem es zuletzt mit Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das 2. Kalendervierteljahr 2016 vom 23. Dezember 2016 die Fahrschulumsätze als steuerpflichtig behandelte. Von der sich hieraus ergebenden Umsatzsteuer i.H.v. x.xxx,xx EUR zog das FA Vorsteuer i.H.v. x.xxx,xx EUR ab.
Das FA folgte damit der Auffassung des Prüfers, dass der Fahrschulunterricht in den Führerscheinklassen A und B kein steuerbefreiter Unterricht einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung nach § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei. Die Antragstellerin könne sich für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze auch nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 347/1) berufen. Die Ausbildung für einen Motorrad- oder Pkw-Führerschein sei kein Schul- oder Hochschulunterricht, der dem Erwerb oder Erhaltung spezifischer beruflicher Kenntnisse diene, sondern sei dem Bereich der privaten Lebensführung zuzurechnen. Die Antragstellerin sei auch kein „Privatlehrer” i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL.
Die Antragstellerin hat gegen die geänderte Umsatzsteuerfestsetzung Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Den Antrag auf AdV lehnte das FA telefonisch am 25. November 2016 und schriftlich am 6. Dezember 2016 ab.
Die Antragstellerin hat am 27. November 2016 die gerichtliche AdV beantragt. Die Umsatzbesteuerung des Fahrschulunterrichts sei ernstlich zweifelhaft. Zu dieser Frage seien divergierende Entscheidungen von Finanzgerichten ergangen. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg habe mit Beschluss vom 10. November 2015 (5 V 5144/15, EFG 2016, 320) die AdV gewährt. Gegen ein die Steuerfreiheit des Fahrschulunterrichts verneinendes Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 1. April 2016 (11 K 10284/15, EFG 2016, 1481) sei Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt worden (V R 38/16).
Das FA hält an seiner Rechtsauffassung fest.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Aussetzungsantrag ist zulässig.
Nach § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht nur zulässig, wenn das Finanzamt einen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag abgelehnt hat. Der beim Finanzamt gestellte Aussetzungsantrag muss abgelehnt worden sein, bevor ein solcher Antrag bei Gericht gestellt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 2000 VI B 266/98, BFHE 192, 1, BStBl II 2000, 536, und vom 16. Dezember 2003 IX B 203/02, BFH/NV 2004, 650). Die Ablehnung eines Antrags auf AdV durch das FA als Zugangsvoraussetzung kann auch mündlich erfolgen (BFH-Beschluss vom 19. November 1990 III S 6/90, BFH/NV 1991, 459). Das FA hat bestätigt, dass es den Aus...