Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststehender Abnehmer als Voraussetzung für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung
Leitsatz (redaktionell)
- § 3 Abs. 6 S. 1 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus, der im Zeitpunkt der Versendung nach Maßgabe des der Lieferung zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses, aus dem sich die Person des Abnehmers ergibt, feststehen muss.
- Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Verfügungsmacht bereits mit dem Beginn der Versendung auf den Abnehmer übergeht.
- Haben die Vertragsparteien einen Dauerliefervertrag geschlossen, der Festlegungen über die Menge und die Qualität der Ware zu einem bestimmten Preis enthält und sehen die Lieferbedingungen Vereinbarungen über die Gefahrtragung bzw. dem Lieferort vor, steht der Abnehmer regelmäßig bereits bei Beginn der jeweiligen Versendung fest.
- Soweit darüber hinaus einzelne Lieferabrufe erfolgen, ändert dies grundsätzlich nichts an dem Vorliegen einer rechtlich bindenden Bestellung.
- Werden Einzelbestellungen über einen mit dem Vertrieb beauftragten Agenten abgewickelt, der keine Abschlussvollmacht hat, steht der Abnehmer regelmäßig erst nach Bestätigung durch den beauftragten Unternehmer fest.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 1 a Abs. 1-2, § 3 Abs. 1, 5 a, 6-7; MwStSysRL Art. 14 Abs. 1; UStG § 3 d S. 1
Streitjahr(e)
2007
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Warenlieferungen der Klägerin an in Deutschland ansässige Unternehmer als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen oder als in Deutschland steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe mit anschließenden steuerpflichtigen inländischen Lieferungen zu qualifizieren sind.
Die Klägerin ist ein in Portugal ansässiger Hersteller von YY. Sie ist Tochtergesellschaft eines ebenfalls in Portugal ansässigen Konzerns (A-Gruppe). Der von ihr hergestellte YY wurde nahezu ausschließlich in den europäischen Markt, unter anderem auch nach Deutschland, exportiert. Neben der Klägerin lieferten im Streitjahr zwei weitere Konzerntöchter (B, C) die von ihnen hergestellten YY nach Deutschland. Diese Lieferungen der Konzerntöchter wurden weitestgehend über den Hafen D abgewickelt.
Bis einschließlich des Streitjahres erfolgte der Vertrieb des YY nicht durch die Gesellschaften der A-Gruppe, sondern durch einen nicht in den Konzern eingegliederten Agenten mit Sitz in der Schweiz als Vermittler, über den die Bestellungen und sämtlicher damit zusammenhängender Schriftverkehr abgewickelt wurden.
Der für mehrere Abnehmer in Deutschland sowie einzelne Abnehmer in Schweden und Polen vorgesehene YY wurde per Schiff zum Zielhafen D transportiert. Dort wurden die Schiffe von der von der Klägerin beauftragten und auf die Löschung und Lagerung von YY spezialisierten E gelöscht und der YY in hierfür geeignete Lager der E verladen. Von dort wurde der YY per Lkw an die Abnehmer in Deutschland, teilweise auch in Schweden bzw. Polen, transportiert, wobei in den überwiegenden Fällen die Ware von den Kunden abgeholt wurde.
Über die Warenlieferungen hatte die Klägerin mit einigen Abnehmern Jahreslieferverträge geschlossen. Diese als Rahmenverträge bezeichneten Vereinbarungen enthielten Angaben zur Menge, zur Qualität und zur Anzahl der - meist monatlichen - Lieferungen. Teilweise enthielten die Rahmenverträge Angaben zu konkreten Preisen, teilweise wurde auf Durchschnittsmarktpreise (des Vormonats) abgestellt. Abnehmer, mit denen keine Jahreslieferverträge abgeschlossen wurden, gaben gegenüber dem Agenten formlose Einzelbestellungen per E-Mail oder per Fax ab.
Die Abwicklung der Lieferungen erfolgte dergestalt, dass der Agent zu den bei ihm eingegangenen Bestellungen sogenannte “Contract Notes“ erstellte, die er sowohl an die Besteller als auch an die Klägerin faxte. Diese Dokumente enthielten Angaben zu den Parteien - die Klägerin als Verkäufer, der jeweilige Abnehmer als Käufer, der Agent -, zur bestellten Menge und Qualität, zum Preis und zu den wesentlichen Zahlungs- und Lieferbedingungen.
Die Klägerin stellte vor Beladung der Schiffe Frachtpapiere, sogenannte “Bill of Ladings“ (Konnessement), aus, in denen die Klägerin als Verlader, E als Warenempfänger, der Name des Schiffes, der Zielhafen D und eine Beschreibung der versendeten Ware sowie ihr Gewicht angegeben war.
Zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Einlagerung des YY, in wenigen Fällen vor Ankunft des Schiffes, übersandte die Klägerin in aller Regel per E-Mail sogenannte “Release-Order“ (Freigabeerklärungen) an E, mit denen sie die Ware für in diesen Mitteilungen genannte Abnehmer freigab. Neben den Abnehmern enthielten die Mitteilungen Angaben zur Menge des herauszugebenden YY und des Schiffes, auf dem die Charge transportiert worden war.
Die Klägerin stellte die Warenlieferungen ihren jeweiligen Kunden ohne Ausweis der deutschen Umsatzsteuer in Rechnung. Die Rechnungen enthielten einen Hinweis auf die Umsatzsteuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung in Portugal. In Deutschland war die Klägerin bis zum Streitjahr umsatzsteuerlic...