Dipl.-Betriebsw. Karl Birgel
1.1 Überblick über die Vorschrift
Rz. 1
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Gas, Elektrizität, Wärme und Kälte gelten umsatzsteuerlich als Gegenstände einer Lieferung, weil derartige unkörperliche Sachen im Wirtschaftsleben wie Sachen gehandelt werden (BFH vom 21.12.1988, Az: V R 24/87, BStBl II 1989, 430; BFH vom 05.12.1997, Az: V B 17/97, BFH/NV 1998, 888; Abschn. 3.1 Abs. 1 S. 2 UStAE). Nach Art. 15 MwStSystRL gilt als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Gegenstände im Sinne dieser EU-Vorschrift sind u. a. Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen. Die Mitgliedstaaten haben allerdings die bis Ende 2004 geltenden Regelungen zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Lieferung von Gas und Elektrizität unterschiedlich angewendet.
Rz. 2
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In Umsetzung von EU-Vorgaben wurde der Ort der Lieferung von Gas oder Elektrizität durch § 3g UStG als "lex specialis" gegenüber den übrigen umsatzsteuerlichen Ortsbestimmungen zum 01.01.2005 neu festgelegt. I. R. d. JStG 2010 (Gesetz vom 08.12.2010, BGBl I 2010, 1768) wurde der Anwendungsbereich des § 3g UStG auf die Lieferung von Wärme und Kälte ausgedehnt. Anlass war die Richtlinie 2009/12/EU des Rates vom 22.12.2009 zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.
Rz. 3
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Zur Ortsbestimmung unterscheidet § 3g UStG danach, ob die Lieferung an einen typischen Wiederverkäufer oder an sonstige Abnehmer bewirkt wird.
Rz. 4
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Im Fall der Lieferung an einen typischen Wiederverkäufer wird aufgrund dieser neuen Vorschrift bei der Lieferung von Gas über das Erdgasnetz (Lieferungen in Flaschen oder mittels Tanklastzügen sind ausgenommen (BMF vom 01.08.2005, BStBl I 2005, 849, Tz. 1.1); hier gelten die umsatzsteuerlichen Bestimmungen des Ortes der Lieferung nach § 3 UStG) weitgehend das Empfängerortprinzip (Bestimmungslandprinzip) verwirklicht, um ohne umsatzsteuerliche Hindernisse die Besteuerung durchführen zu können. Ansonsten ist Ort der Lieferung der Ort, an dem der Abnehmer die Gegenstände nutzt oder verbraucht ("Verbraucherortprinzip"). Sofern der Abnehmer sie nicht tatsächlich nutzt oder verbraucht (z. B. im Fall des Weiterverkaufs von überschüssigen Lieferungen), sind sein Sitz, der Ort seiner Betriebsstätte oder ggf. sein Wohnsitz maßgebend ("Empfängerortprinzip", vgl. Rz. 52).
Rz. 5
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Zur Steuerbarkeit von Umsätzen i. Z. m. der Abgabe von Energie durch einen Netzbetreiber vgl. Abschn. 1.7 UStAE.
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 6
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Das nationale Umsatzsteuerrecht stand in der Vergangenheit hinsichtlich des Leistungsortes von Strom und Gas nicht im Einklang mit EU-Recht. Zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vgl. auch Rz. 22 ff.
Rz. 7
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Für Lieferungen bis zum 31.12.2004 ging das BMF davon aus, dass es sich bei der Lieferung von Gas um eine bewegte Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 6 UStG handelte. Bei der Lieferung vom Strom sah das BMF eine ruhende Lieferung; die Ortsbestimmung richtete sich nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG und war dort, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befand. Das BMF hielt eine erneute Erörterung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder sogar für entbehrlich (BMF vom 11.09.2002, Az: IV B 7 – S 7100 – 234/02, BB 2002, 2540). Die Ortsbestimmung für die Lieferung von Strom war letzten Endes unklar und damit umsatzsteuerlich problematisch. Es ließ sich vertreten, den Ort der Lieferung beim Käufer zu sehen, weil dieser die tatsächliche Verfügungsmacht erst durch den Verbrauch erlangte. Er konnte aber auch beim Lieferer liegen, weil dieser dem Abnehmer den Strom bereits dort zur Verfügung stellt (zu Übergangsbestimmungen vgl. Rz. 72 ff.). Insofern war eine rechtliche Klarstellung dringend geboten.
Rz. 8
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Sofern andere Mitgliedstaaten die Lieferung von Strom als bewegte Lieferung ansahen, ergab sich aufgrund der nationalen Einstufung als ruhende Lieferung folgende Situation: Unternehmer bestimmter anderer Mitgliedstaaten haben die Lieferung von Elektrizität aus diesem anderen Mitgliedstaat in das Inland als steuerfreie i. g. Lieferung behandelt, Leistungsempfänger haben dementsprechend einen i. g. Erwerb deklariert. Da nach nationaler Rechtslage mangels Bewegung des Liefergegenstandes keine i. g. Lieferung vorlag, konnte der Leistungsempfänger rechtssystematisch insofern den Vorsteuerabzug nicht geltend machen, während der leistende Unternehmer – aufgrund Einstufung als steuerbare/steuerpflichtige Lieferung i. S. d. nationalen Umsatzsteuerrechts – Steuer für die im Inland erbrachte Lieferung abzuführen hatte. Der Leistungsempfänger wiederum konnte diese mangels entsprechender Rechnung nicht abziehen. Andererseits waren Lieferungen von Elektrizität aus dem Inland in andere Mitgliedstaaten oder ins Drittland im Inland nicht steuerbar (Ort der Leistung war dort, w...