1.1 Überblick über die Vorschrift
Rz. 1
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 4 Nr. 10 UStG befreit Versicherungsumsätze von der USt, und zwar aus unterschiedlichen Gründen:
- § 4 Nr. 10 Buchst. a S. 1 UStG soll die Doppelbesteuerung der Versicherungen mit zwei Verkehrsteuern, der USt und Versicherungsteuer, vermeiden. Da seit 1995 der Regelsteuersatz bei der Versicherungsteuer dem allgemeinen Steuersatz bei der USt entspricht, wird die Versicherungsteuer auch "Umsatzsteuer der Versicherer" genannt (Huschens in V/S, § 4 Nr. 10 Rn. 1).
- § 4 Nr. 10 Buchst. a S. 2 UStG stellt die Umsätze deutscher Unternehmer im Auslandsgeschäft, die der deutschen USt, aber nicht der deutschen Versicherungsteuer unterliegen, aus Gründen des Wettbewerbs gleich (Weymüller in S/R, § 4 Nr. 10 Rn. 1).
- § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG hat seine Wurzeln in § 4 Nr. 27 UStG 1973. Letzterer stellte Leistungen frei, bei denen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern als Vergütung für geleistete Dienste Versicherungsschutz verschafften. Dies war für die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-RL zu eng. Seit dem UStG 1980 erfasst die Steuerbefreiung alle Leistungen, die darin bestehen, Versicherungsschutz zu verschaffen. Die Steuerbefreiung kann z. B. auch von Berufsverbänden und anderen Vereinigungen in Anspruch genommen werden, die ihren Mitgliedern Versicherungsschutz verschaffen (vgl. Klenk in R/D, § 4 Nr. 10 Rn. 100 f.; Huschens in V/S, § 4 Nr. 10 Rn. 2; Weymüller in S/R, § 4 Nr. 10 Rn. 2).
Rz. 2
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 4 Nr. 10 UStG gewährt grundsätzlich eine unechte Steuerbefreiung. Aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG und der Negativabgrenzung in § 15 Abs. 3 UStG folgt, dass für die genannten Umsätze der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist. Dem hingegen ist der Vorsteuerabzug aber zulässig, wenn
Insoweit gewährt § 4 Nr. 10 UStG eine "echte Steuerbefreiung": die Leistungen sind steuerfrei, der Vorsteuerabzug bleibt dennoch erhalten (vgl. § 4 Rz. 5).
Rz. 3
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Einen Verzicht auf die Steuerbefreiung sieht § 9 UStG nicht vor. Die nach dem UStG 1967 noch mögliche Option zur Umsatzsteuer konnte das UStG 1980 nicht aufrechterhalten, da sie mit Art. 13 Teil C der 6. EG-RL unvereinbar gewesen wäre.
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 4
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§ 4 Nr. 10 UStG gehört zum "Inventar" des deutschen Umsatzsteuerrechts. In der jetzigen Form wurde die Steuerbefreiung erstmals in das UStG 1980 übernommen und gilt seitdem unverändert fort. Die Wurzeln der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 10 Buchst. a S. 1 UStG liegen bereits im UStG 1918 (vgl. Klenk in R/D, § 4 Nr. 10 Rn. 9 ff., 100 f.; Weymüller in S/R, § 4 Nr. 10 Rn. 1 ff.).
1.3 Geltungsbereich
1.3.1 Sachlicher Geltungsbereich
Rz. 5
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Die Steuerbefreiung gilt ausschließlich für Leistungen, die
- der Art nach dem VersStG unterliegen oder
- darin bestehen, anderen Personen Versicherungsschutz zu verschaffen.
1.3.2 Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 6
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§ 4 Nr. 10 UStG sieht keine Beschränkungen im persönlichen Geltungsbereich vor und gilt daher für alle Unternehmer i. S. d. § 2 UStG.
Die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL genannten Dienstleistungen der Versicherungsmakler und Versicherungsvertreter werden von § 4 Nr. 11 UStG erfasst.
1.3.3 Zeitlicher Geltungsbereich
Rz. 7
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Die Vorschrift gilt unverändert seit dem UStG 1980 und ist damit auf alle noch offenen Steuerfestsetzungen anwendbar.
1.4 Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Verhältnis zu anderen Vorschriften
1.4.1 Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
Rz. 8
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§ 4 Nr. 10 UStG setzt die Vorgaben des Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL zutreffend um; Mängel sind nicht erkennbar (Huschens in V/S, § 4 Nr. 10 Rn. 8 ff.).
Rz. 9
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Auf europäischer Ebene gibt es Reformbestrebungen zur Änderung der MwStSystRL. Hierzu liegt ein Entwurf der Kommission vom 28.11.2007 (KOM/2007/746) zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen vor. Nach diesem Entwurf (in seiner zuletzt berichtigten Fassung vom 20.02.2008) ist u. a. die Einfügung eines umfangreichen Definitionskataloges in Art. 135a MwStSystRL-E vorgesehen (vgl. Wäger, UR 2008, 102 ff.). Das Europäische Parlament hat im Wege einer legislativen Entschließung zum Teil weitreichende Änderungsvorschläge zu diesem Entwurf angemeldet (vgl. Amtsblatt der Europäischen Union vom 14.01.2010, C 8E/396 ff.). Die Umsetzung dieses Vorhabens wurde hierdurch blockiert.
Die EU-Kommission hat am 04.10.2017 ein Paket von Richtlinien- und Verordnungsvorschlägen für eine weitreich...