1.1 Überblick über die Vorschrift
Rz. 1
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 4 Nr. 15 UStG befreit Umsätze der dort genannten gesetzlichen und sozialen Einrichtungen im Rahmen ihres Betriebs gewerblicher Art i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 4 KStG, und zwar
- untereinander und
- im Verhältnis zu den Versicherten, den Empfängern von Sozialhilfe oder den Versorgungsberechtigten.
Rz. 2
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Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung ist nicht möglich. Heidner (in Bunjes, § 4 Nr. 15 Rn. 1) bezeichnet die Vorschrift daher zu Recht als "unvollkommen, denn sie führt zum Verlust des Vorsteuerabzugs" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 Umkehrschluss UStG; sog. unechte Steuerbefreiung, vgl. § 4 Einführung, Rz. 2 u. Rz. 7 ff.).
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 3
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§ 4 Nr. 15 UStG wurde aus sozialen Erwägungen (Kostendämpfung im Bereich der sozialen Fürsorgeeinrichtungen, vgl. Heidner, in Bunjes, § 4 Nr. 15 Rn. 1) durch das UStG 1967 eingeführt und gilt seitdem inhaltlich weitgehend unverändert fort.
Rz. 4
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Durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 03.08.2010 (Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende, BGBl I 2010, 1112) wurde in § 4 Nr. 15 UStG m. W. v. 01.01.2011 das Wort "Arbeitsgemeinschaften" durch die Wörter "gemeinsame Einrichtungen" ersetzt. Hierbei handelte es sich um eine Folgeänderung zur Änderung des § 44b SGB II. Mit dieser Änderung wurde bestimmt, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende verpflichtet sind, zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in einer gemeinsamen Einrichtung zusammenzuarbeiten. Diese ist eine Mischbehörde aus Bundes- und Landesbehörde. Die Zusammenarbeit der Träger in der gemeinsamen Einrichtung ist in Art. 91e GG verankert. Die zugelassene kommunale Trägerschaft nach den §§ 6a und 6b SGB II bleibt hiervon unberührt. Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung ist nicht mehr möglich. Die Wahrnehmung der Aufgaben der Träger erfolgt durch die gemeinsame Einrichtung. Die gemeinsame Einrichtung wird selbst nicht zum Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Beide Träger (Bundesagentur für Arbeit und kommunale Träger) lassen ihre Aufgaben durch die gemeinsame Einrichtung wahrnehmen. Dies bezieht sich grundsätzlich auf alle Aufgaben nach dem SGB II. Die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sollen sich nur an eine staatliche Stelle wenden müssen, um dort sämtliche Leistungen nach dem SGB II zu erhalten bzw. vermittelt zu bekommen (Gesetzesbegründung zu § 44b SGB II, BT-Drucks. 17/1555; vgl. auch Huschens in S/W/R, § 4 Nr. 15 Rz. 9).
Rz. 4a
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Die Abgabe von Brillen und Brillenteilen einschließlich der Reparaturarbeiten durch Selbstabgabestellen der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung war bis 17.12.2019 explizit nicht steuerbefreit (§ 4 Nr. 15 Buchst. b Satz 2 UStG). Unabhängig davon, ob die Selbstabgabestellen einen Betrieb gewerblicher Art § 2 Abs. 3 UStG führten, mussten sie ihre Sachleistungen mit Brillen und Brillenteilen ebenso wie die Angehörigen des Optikerhandwerks der USt unterwerfen. Die nämlichen Selbstabgabestellen gibt es zwischenzeitlich nicht mehr; die Vorschrift wurde gegenstandslos und m. W. v. 18.12.2019 gestrichen. Ebenfalls obsolet wurde dadurch Abschn. 4.15.1. UStAE und daher gestrichen (BMF Schreiben vom 15.12.2020, III C 3 – S 7015/19/10006 :001, 2020/1238675, BStBl I 2020, 1374).
Rz. 4b
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Zur weiteren Gesetzeshistorie ausführlich Huschens in S/W/R, § 4 Nr. 15 Rz. 4 ff.
1.3 Geltungsbereich
1.3.1 Sachlicher Geltungsbereich
Rz. 5
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Die Steuerbefreiung erfasst das Kerngeschäft der begünstigten Einrichtungen (vgl. Rz. 12 ff.).
1.3.2 Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 6
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Die Steuerbefreiung erfasst ausschließlich Umsätze der begünstigten Einrichtungen = juristische Personen des öffentlichen Rechts.
1.3.3 Zeitlicher Geltungsbereich
Rz. 7
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§ 4 Nr. 15 UStG wurde mit dem UStG 1967 eingeführt und gilt seitdem inhaltlich weitgehend unverändert fort.
1.4 Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Verhältnis zu anderen Vorschriften
Rz. 8
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§ 4 Nr. 15 UStG entspricht den Vorgaben des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, Art. 133 f. MwStSystRL.
Rz. 9
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Hinzuweisen ist darauf, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, Art. 133 f. MwStSystRL wie schon Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-RL den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung dadurch einschränkt, dass die zu befreienden Lieferungen und sonstigen Leistungen zur Ausübung der Tätigkeit unerlässlich sein müssen. Außerdem bleiben die Einrichtungen mit solchen Leistungen steuerpflichtig, die im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen zu verschaffen und die gleichzeitig in unmittelbarem Wettbewerb zu der USt unterliegenden gewerblichen Unternehmern erbracht werden (vgl. z. B. die Abgabe von Brillen und Brillenteilen sowie deren Reparatur nach § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG). Darüber hinausgehende Befreiungen dürfen die EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gemeinschaftsrechtskonformität nicht einführen.