Dipl.-Finanzwirt (FH) Carsten Timm
1.1 Überblick über die Vorschrift/Gesetzeszweck
Rz. 1
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Für bestimmte durch § 4 UStG steuerbefreite Leistungen kann durch Optionsausübung auf die Steuerbefreiung verzichtet werden. Erbringt der Unternehmer steuerfreie Ausgangsleistungen, tritt für ihn nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG der Ausschluss vom Vorsteuerabzug für die durch ihn bezogenen Eingangsleistungen ein, sofern kein Ausschluss vom Ausschluss (d. h. keine Rückausnahme) nach § 15 Abs. 3 UStG vorliegt. Durch eine Option zur Steuerpflicht der Ausgangsleistungen nach § 9 UStG wird der Vorsteuerausschluss nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgehoben, die Vorsteuer aus Eingangsleistungen wird abzugsfähig. Der unmittelbare Effekt der Vorschrift für den die Optionsmöglichkeit nutzenden Unternehmer besteht demnach in der Erlangung der Vorsteuerabzugsmöglichkeit aus seinen Eingangsumsätzen. Durch die Vorschrift des § 9 UStG sollen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden, die dadurch eintreten können, dass der die grundsätzlich steuerfreie Leistung erbringende Unternehmer die ihm in Rechnung gestellte, bei ihm jedoch nicht abzugsfähige Vorsteuer dem in der Unternehmerkette nachfolgenden Unternehmer verdeckt über den Preis in Rechnung stellt und diesen dadurch zwingt, seine höheren Eingangskosten über die Kalkulation wiederum an nachfolgende Leistungsempfänger weiterzugeben oder zu Lasten seiner Gewinnmarge zu tragen. Ohne eine Optionsmöglichkeit wäre auch das Neutralitätsprinzip, d. h. der Grundsatz des Mehrwertsteuersystems, dass die Umsatzsteuer innerhalb der Unternehmerkette neutral ist, infrage gestellt und eine verdeckte Kumulation der Umsatzsteuer möglich.
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 2
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Optionsmöglichkeiten des § 9 UStG waren bereits im UStG 1980 enthalten. Durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz (2. HStruktG vom 22.12.1981, BGBl I 1981, 1523) wurde § 9 UStG um einen Satz 2 ergänzt, der die Option bei Vermietungsumsätzen ausschloss, sofern diese auf der Endstufe zu Wohnzwecken dienten oder zu dienen bestimmt waren. Das Steuerbereinigungsgesetz 1985 (StBereinG 1985 vom 14.12.1984, BGBl I 1984, 1493) dehnte die Beschränkung der Optionsmöglichkeiten weiter aus und übernahm die Regelungen in den neu angefügten Abs. 2 der Vorschrift, der durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG vom 21.12.1993, BGBl I 1993, 2310) weiter verschärft wurde (Abheben auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers). Den zeitlichen Anwendungsbereich der stufenweise verschärften Optionsvoraussetzungen i. Z. m. Gebäuden regelt § 27 Abs. 2 UStG (neu gefasst durch Art. 20 des StMBG ab 01.01.1994) in Abhängigkeit von Baubeginn/Fertigstellung des betreffenden Gebäudes. Durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 (StBereinG 1999 vom 22.12.1999, BGBl I 1999, 2601) ist in § 9 Abs. 1 UStG die Verweisung auf § 4 Nr. 8 Buchst. k UStG entfallen, da diese Norm zum 01.01.2000 ebenfalls durch das StBereinG 1999 aufgehoben wurde (vgl. hierzu § 25c Abs. 1 UStG, § 25c Abs. 3 UStG, Voraussetzungen des Verzichts auf die Steuerfreiheit). § 9 Abs. 3 UStG wurde durch das Steueränderungsgesetz 2001 (StÄndG 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, 3794) zum 01.01.2002 eingefügt (zeitliche Begrenzung der Option im Zwangsversteigerungsverfahren). Ergänzt um Satz 2 wurde § 9 Abs. 3 UStG durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 (HBeglG 2004 vom 29.12.2003, BGBl I 2003, 3076). Danach ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung (Option zur Steuerpflicht) bei Grundstücksumsätzen i. S. d. § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens zwingend im notariell zu beurkundenden Vertrag zu erklären. Diese Regelung steht i. Z. m. dem Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger bei allen unter das GrEStG fallenden umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen und soll den Leistungsempfänger vor einer nachträglichen Option des leistenden Unternehmers, durch die eine nachträgliche Steuerschuld beim Leistungsempfänger entstehen würde, schützen.
1.3 Geltungsbereich
1.3.1 Sachlicher Geltungsbereich
Rz. 3
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 9 Abs. 1 UStG enthält eine abschließende Aufzählung der steuerbefreiten Leistungen, für die eine Option möglich ist. Für eine Steuerbefreiung, die in § 9 Abs. 1 UStG keine Erwähnung findet, scheidet eine Option zur Steuerpflicht aus. § 25c Abs. 3 UStG regelt für Umsätze mit Anlagegold außerhalb des § 9 UStG eine eigenständige Optionsmöglichkeit (seit 01.01.2000 i. Z. m. der Aufhebung des § 4 Nr. 8 Buchst. k UStG, vgl. Rz. 2 und vgl. § 25c Rz. 20 ff.).
1.3.2 Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 4
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach § 9 Abs. 1 UStG kann der Unternehmer für einen nach den dort aufgelisteten Vorschriften steuerfreien Umsatz die Option zur Steuerpflicht erklären (Option: lat.: "freier Wille, freie Wahl"). Die Unternehmereigenschaft ergibt sich aus § 2 UStG (vgl. die Kommentierung zu § 2). Weitere Einschränkungen enthält die Norm nicht, ergeben sich aber für den Kleinunternehmer aus § 19 Abs. 1 S. 4 UStG (Nichtanwendung der Vorschriften über den Verzicht auf Steuerbefreiungen) sowie für den nach Durchschnittssätzen besteuernden land- und forstwirtschaftlichen Betri...