Rüdiger Weimann, Robert C. Prätzler
Rz. 81
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten FinBeh der Länder wird zum Direktanspruch in der Umsatzsteuer folgende Auffassung vertreten:
Das BMF hat 15 Jahre benötigt, um sich zu der Rechtsprechung des EuGH zu positionieren. Das zeigt, wie schwer sich die Finanzverwaltung mit einem Direktanspruch tut. Ein kritischer Blick u. a. in die Einzelregelungen festigt diese Einschätzung.
12.1.3.1 Nur Billigkeitsentscheidung?
Rz. 82
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Über einen Direktanspruch in der Umsatzsteuer ist im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens nach den §§ 163, 227 AO zu entscheiden. Zuständig für die Entscheidung über diese Billigkeitsmaßnahme ist das für die Umsatzsteuerfestsetzung des Leistungsempfängers zuständige FA. Zu entscheiden ist regelmäßig darüber, ob ein Betrag in Höhe der in den fraglichen Rechnungen falsch ausgewiesenen Umsatzsteuer trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerlichen Voraussetzungen – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis – als Vorsteuer zu berücksichtigen bzw. ein entsprechender Steueranspruch zu erlassen ist (Rn. 9 des BMF-Schreibens).
Es ist äußerst fraglich, ob ein Ermessen mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist. Der EuGH erwähnt kein Ermessen und formuliert vielmehr eine zwingende Rechtsfolge.
12.1.3.2 Berücksichtigung eines eventuellen Mitverschuldens des Leistungsempfängers
Rz. 83
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Bei einer Billigkeitsmaßnahme handelt es sich stets um eine Entscheidung unter Berücksichtigung und Abwägung der besonderen Umstände des Einzelfalles, wobei hinsichtlich des Direktanspruchs neben den abgabenrechtlichen Regelungen (vgl. AEAO zu § 163) ergänzend die nachfolgend beschriebenen Besonderheiten zu beachten sind. Ein vorliegendes Mitverschulden des Leistungsempfängers an der Erstellung der falschen Rechnung ist in die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme mit einzubeziehen (Rn. 10 des BMF-Schreibens).
Der EuGH sieht keine Prüfung eines Mitverschuldens vor.
12.1.3.3 Direktanspruch nur nachrangig
Rz. 84
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Leistungsempfänger hat seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend zu machen. Der Direktanspruch kann daher nur nachrangig gegenüber dem Verfahren zur Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG zum Tragen kommen (Rn. 11 u. 12 des BMF-Schreibens).
Rz. 85
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung durch den Leistenden ist regelmäßig nur im Fall eines bereits mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrags über dessen Vermögen auszugehen.
Rz. 86
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die bloße Zahlungsunfähigkeit des Leistenden i. S. d. InsO genügt dafür nicht.
Rz. 87
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Im Fall eines vorliegenden Insolvenzantrags bzw. eines laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden besteht für den Leistungsempfänger noch Aussicht, den geltend gemachten Anspruch in Höhe der Quote teilweise zu erhalten. Ein Direktanspruch kann dann ggf. nur in Höhe der Differenz zwischen dem Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistenden und der erhaltenen Quote entstehen.
Rz. 88
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Über den Direktanspruch kann – unter Berücksichtigung der Rn. 17 und 18 des BMF-Schreibens (s. 12.1.3.7) – daher nach Anmeldung der Forderungen zur Tabelle erst entschieden werden, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen und ggf. die Quote zugeteilt ist.
Rz. 89
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Sofern in einem laufenden Insolvenzverfahren keine Anmeldung der Forderung zur Tabelle mehr möglich ist, sind die Gründe hierfür bei der Billigkeitsentscheidung über den Direktanspruch zu berücksichtigen.
Rz. 90
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Über einen geltend gemachten Direktanspruch kann nicht entschieden werden, solange noch eine Inanspruchnahme des Fiskus durch den Leistenden aufgrund einer Berichtigung des Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG rechtlich möglich ist. Daher kann z. B. im Insolvenzverfahren regelmäßig erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über den Direktanspruch entschieden werden. Denn durch das Insolvenzverfahren bleibt der Schuldner (hier Leistender) weiterhin Steuerschuldner. Er verliert lediglich das Verfügungs- und Verwaltungsrecht über sein Vermögen, ihm verbleibt aber die Rechtsinhaberschaft und er ist im Fall einer Berichtigung Rechtsträger des Erstattungsanspruchs.
Der Grundsatz der Neutralität und Effektivität erfordert es, dass in Fällen, in denen die Erstattung der Mehrwertsteuer vom Dienstleistungserbringer an den Dienstleistungsempfänger unmöglich oder übermäßig erschwert wird, der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann (s. 12.1.3.1). Entgegen der Auffassung des BMF wird man auch im Vorfeld einer Insolvenz von übermäßiger Erschwernis ausgehen müssen!
12.1.3.4 Akzessorietät des Direktanspruchs
Rz. 91
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ist in der Weise akzessorisch zu dem Anspruch des Leistungsempfängers gegenüber seinem Vertragspartner (dem Leistende...