Rz. 13
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Gemeinschaftsrechtlich beruht § 4 Nr. 8 UStG auf den Vorgaben des Art. 135 MwStSystRL:
Die Befreiungen des § 4 Nr. 8 UStG entsprechen somit grundsätzlich den Befreiungstatbeständen der MwStSystRL. Für Finanzumsätze gilt damit das Prinzip der Einzelbefreiung. Eine allgemeine Steuerbefreiung beispielsweise für im Bank- und Finanzbereich aufsichtspflichtige Geschäfte besteht nicht (vgl. hierzu Wäger in S/R, 95. EL Juni 2022, UStG § 4 Nr. 8, Rn. 8). Wie dargestellt, wird Art. 135 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL im nationalen Recht durch zwei gesonderte Tatbestände (§ 4 Nr. 8 Buchst. c und d) umgesetzt. Gleiches gilt für Art. 135 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL, der durch § 4 Nr. 8 Buchst. e und f UStG in nationales Recht umgesetzt wird.
Rz. 14
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Aus den Befreiungstatbeständen ergibt sich eine Vielzahl an praktischen Fragestellungen im Geltungsbereich der MwStSystRL. Daher wird deren Verständnis ganz wesentlich durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt (für einen allgemeinen Überblick über einige der wichtigsten Urteile des EuGH in diesem Bereich vgl. Wäger in S/R, 95. EL Juni 2022, UStG § 4 Nr. 8, Rn. 9).
Rz. 15
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Laut EuGH besteht der Zweck der Steuerbefreiungen für Finanzumsätze grundsätzlich darin, die Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung der Bemessungsgrundlage und der Höhe der abzugsfähigen Mehrwertsteuer verbunden sind, zu beseitigen und darüber hinaus eine Erhöhung der Kosten für den Endverbraucher zu vermeiden (vgl. EuGH vom 22.10.2015, C-264/14, Hedqvist, Rn. 36, 48; EuGH vom 12.06.2014, C-461/12, Granton, Rn. 30; EuGH vom 10.03.2011, C-540/09, Skandinaviska Enskilda Banken, Rn. 21; EuGH vom 22.10.2009, C-242/08, Swiss Re Germany Holding GmbH, Rn. 49; EuGH vom 19.04.2007, C-455/05, Velvet & Steel, Rn. 24). Für Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (in Deutschland durch § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG umgesetzt, s. o.) sieht der EuGH den Zweck der Befreiung zudem darin, zwischen der Anlage in Wertpapieren über ein Sondervermögen und der unmittelbaren Anlage umsatzsteuerliche Neutralität herzustellen und so den Anlegern die Anlage in Wertpapieren über ein Sondervermögen zu erleichtern (vgl. EuGH vom 09.12.2015, C-595/13, Fiscale Eenheid X, Rn. 34; EuGH vom 13.03.2014, C-464/12, ATP Pension Service, Rn. 43, 62; EuGH vom 07.03.2013, C-275/11, GfBk, Rn. 30; EuGH vom 07.03.2013, C-424/11, Wheels Common, Rn. 19; EuGH vom 28.07.2007, C-363/05, JP Morgan Fleming, Rn. 45; EuGH vom 04.05.2006, C-169/04, Abbey National, Rn. 62).
Rz. 16
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
In seiner Rechtsprechung hat der EuGH allgemeine Auslegungsgrundsätze für die Befreiungstatbestände entwickelt. Danach sind Steuerbefreiungen eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH vom 06.10.2022, C-250/21, O. Fundusz Inwestycynjy Zamkniety reprezentowany przez O S. A., Rn. 31; EuGH vom 17.12.2020, C-801/19, Franck, Rn. 31; EuGH vom 25.07.2018, C-5/17, DPAS, Rn. 29; EuGH vom 09.12.2015, C-595/13, Fiscale Eenheid X, Rn. 68; EuGH, Urteil vom 22.10.2015, C-264/14, Hedqvist, Rn. 35; EuGH vom 05.07.2012, C-259/11, DTZ Zadelhoff, Rn. 20; EuGH vom 10.03.2011, C-540/09, Skandinaviska Enskilda Banken, Rn. 20; EuGH vom 28.10.2010, C-175/09, AXA UK, Rn. 25; EuGH vom 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Rn. 46; EuGH vom 21.06.2007, C-453/05 Ludwig, Rn. 21; EuGH vom 20.11.2003, C-8/01, Taksatorringen, Rn. 36). Die Auslegung der jeweiligen Befreiungsnorm muss dabei aber sowohl mit deren Zweck als auch mit dem Neutralitätsgrundsatz in Einklang stehen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Die enge Auslegung der zur Definition der Steuerbefreiungen verwendeten Begriffe darf also nicht dazu führen, dass die Befreiungen ihre Wirkung verlieren (vgl. EuGH vom 17.12.2020, C-801/19, Franck, Rn. 32; EuGH vom 09.12.2015, C-595/13, Fiscale Eenheid X, Rn. 68; EuGH vom 05.07.2012, C-259/11, DTZ Zadelhoff, Rn. 21; EuGH vom 10.03.2011, C-540/09, Skandinaviska Enskilda Banken, Rn. 20; EuGH vom 28.10.2010, C-175/09, AXA UK, Rn. 25). Sie darf die Steuerbefreiung auch nicht auf eine Weise beschränken, die sich nicht auf den Wortlaut der fraglichen Vorschrift stützt (vgl. EuGH vom 05.07.2012, C-259/11, DTZ Zadelhoff, Rn. 40; EuGH vom 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Rn. 46, 47). Letztlich ergibt sich aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität auch, dass die Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein müssen, das Organisationsmodell zu wählen, das ihnen, rein wirtschaftlich betrachtet, am besten zusagt, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Umsätze von der Steuerbefreiung ausgeschlossen werden (vgl. EuGH vom 17.06.2021, C-58/20 und C-59/20, K und DBKAG, Rn. 31; EuGH vom 02.07.2020, C-231/19, BlackRock Investment Management UK Ltd, Rn. 50; EuGH vom 13.03.20...