Rz. 11
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 27b UStG wird vielfach EG-rechtlich für unbedenklich gehalten. Als rein verfahrensrechtliche, das Erhebungsverfahren betreffende Regelung findet die Vorschrift in der MwStSystRL keine mit ihr unmittelbar korrespondierende Vorschrift. Gem. Art. 273, 395 Abs. 1 MwStSystRL dürften die Mitgliedstaaten überdies besondere Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuermissbrauch ergreifen, sofern zwischen den Mitgliedstaaten keine Förmlichkeiten beim Grenzübertritt verletzt werden (Grune, a. a. O., G III.2). Da diese Voraussetzungen erfüllt seien, sei EG-rechtlich gegen § 27b UStG nichts einzuwenden (Mende/Huschens, INF 2002, 65).
Rz. 12
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Kritische Stimmen in der Literatur stellen allerdings – zu Recht – die Verfassungsmäßigkeit der Nachschau in Zweifel. Zunächst bestehen Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), das auch für Geschäftsräume gilt und dessen Beschränkung auch bei diesen nur zulässig ist, wenn sie der Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient (Stellungnahme des Bundes Deutscher Finanzrichter vom 03.10.2001, Anhörung zum Entwurf des StVBG, BT-Drucks. vom 03.10.2001 – 14/6883, Anlage zum Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung vom 10.10.2001, Protokoll-Nr. 106; Heil, StuB 2002, 221, Abschn. IV.1; Nieskens, UR 2002, 53, Abschn. III.6.a; von Wallis, UStB 2002, 123, Abschn. IV; für insoweit unbedenklich halten die Vorschrift Mende/Huschens, INF 2002, 65, Abschn. 3.7). Weiter eröffnet die Möglichkeit der Nachschau ohne konkrete Verdachtsmomente und ohne richterliche Anordnung der Finanzbehörde in allen Fällen ein nicht mehr kontrollierbares Maß an Handlungsmöglichkeiten. Damit fehlt es am Erfordernis der rechtsstaatlichen Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns (Art. 20, 28 GG, vgl. Nieskens, UR 2002, 53, Abschn. III.6.b; von Wallis, UStB 2002, 123, Abschn. IV), da die USt-Nachschau selbst sonstiges Verwaltungshandeln darstellt und damit kein Verwaltungsakt ist, der im Einspruchsverfahren auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden kann. Auch besteht die Gefahr, dass die Aufgabenverteilung zwischen Steuerfahndung und Steuerverwaltung in rechtsstaatlich bedenklicher Weise verwischt wird (Bund Deutscher Finanzrichter). Allein der Hinweis auf das derzeit fehlende Personal (Stellungnahme der DStG, Anhörung zum Entwurf des StVBG (BT-Drucks. vom 03.10.2001 – 14/6883), Anlage zum Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung vom 10.10.2001, Protokoll-Nr. 106) für eine Umsetzung des § 27b UStG in der Praxis hilft nicht, die rechtsstaatlichen Bedenken zu beseitigen. Vielmehr hätte die Finanzverwaltung durch Ausschöpfung der bereits vor Einführung der Nachschau bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, wie Schätzung und verstärkter Einsatz der Steuerfahndung, dem Umsatzsteuermissbrauch Rechnung tragen können und müssen (Nieskens, UR 2002, 53, Abschn. III.6.b). Der BFH musste sich zur Frage der Verfassungsmäßigkeit, insbesondere der Frage des Zitiergebots, bislang nicht äußern (BFH vom 16.12.2009; Az: V B 23/08). Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 27b UStG gar nicht erst zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 20.02.2008, Az: 2 BvR 148/08). Der BFH teilt auch in seiner neueren Rechtsprechung die Bedenken der Literatur (BFH vom 25.05.2016, V B 107/15).
Da § 27b Abs. 1 S. 2 UStG die Schrankenbestimmung des Art. 13 Abs. 7 GG nahezu wörtlich übernimmt, wird er von der Literatur überwiegend als nicht verfassungswidrig angesehen (Leipoldt in Sölch/Ringle Rz. 22; Brand in Bunjes 21. Aufl. Rz. 7).