2.1.1 Verweis auf das Versicherungsteuergesetz
Rz. 14
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 4 Nr. 10 Buchst. a S. 1 UStG verweist zur Bestimmung des sachlichen Geltungsbereichs dieser Steuerbefreiungsvorschrift allgemein auf alle Versicherungsverhältnisse i. S. d. Versicherungsteuergesetzes. Dieser gesetzgeberische Verweis ist unvollständig, da im VersStG das "Versicherungsverhältnis" nicht definiert ist.
Nach der zu § 1 Abs. 1 VersStG ergangenen Rechtsprechung setzt ein "Versicherungsverhältnis" voraus:
- das Vorhandensein eines vom Versicherer gegen Entgelt übernommenen Wagnisses sowie
- die Begründung einer Gefahrengemeinschaft, mit dem Ziel, Gefahren, d. h. ungewisse Schäden oder ungewisse Verluste, die die Mitglieder der Gefahrengemeinschaft unmittelbar selbst treffen, gemeinsam zu tragen (BFH vom 11.12.2013, Az: II R 53/11, BStBl II 2014, 352 m. w. N.).
Ungeachtet dieser norminterpretierenden Auslegung fehlt es damit im nationalen Recht an einer Legaldefinition dieses Tatbestandsmerkmals.
Rz. 15
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Auch aus dem übergeordneten EG-Recht lassen sich keine näheren Erkenntnisse gewinnen, da in der MwStSystRL der Begriff des "Versicherungsumsatzes" ebenfalls nicht definiert ist. Der EuGH füllt dieses Vakuum, indem er zur Begriffsbestimmung auf die Vorschriften der EG-Versicherungsrichtlinie zurückgreift. Diese Bezugnahme unterliegt – wie in der Rs. Skandia entschieden – aber der wesentlichen Einschränkung, dass nicht alle Umsätze von Versicherungsunternehmen pauschal von der Mehrwertsteuer befreit sein sollen. Die Mitgliedstaaten müssten von den Unternehmen nach den Versicherungsrichtlinien auch verlangen, dass sie ihren Geschäftszweck unter Ausschluss jeder anderen Geschäftstätigkeit auf Versicherungsumsätze und solche Umsätze beschränken, die unmittelbar hiermit im Zusammenhang stehen (EuGH vom 08.03.2001, Rs. C-240/99, Försäkringsaktiebolag Skandia, UR 2001, 157, Rn. 31).
TIPP
Demnach sind die Bestimmungen des VersStG und der VersStDV nur insoweit maßgebend, als sie im Einklang mit der Vorschrift des Art. 135 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL und der genannten Versicherungsrichtlinie stehen (Klenk in R/D, § 4 Nr. 10 Rn. 21).
Rz. 16
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Generell ist zur Auslegung der in Art. 135 Abs. 1 MwStSystRL normierten Steuerbefreiungen auszuführen, dass es sich bei diesen Tatbeständen nach Auffassung des EuGH um autonome Begriffe des Unionsrechts handelt. Bei der Rechtsanwendung ist daher zu beachten, dass nicht nur eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung der Mehrwertsteuerregelung vermieden, sondern auch der Gesamtzusammenhang des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beachtet wird (EuGH vom 08.03.2001, Rs. C-240/99, Försäkringsaktiebolag Skandia, UR 2001, 157, Rn. 23; vom 17.01.2013, Rs. C-224/11, BGZ Leasing sp.z o.o, UR 2013, 262). Unter Beachtung dieser Direktive sind die einzelnen Tatbestände des Art. 135 Abs. 1 MwStSystRL eng auszulegen, da sie eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz darstellen, dass grundsätzlich jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt (EuGH vom 19.07.2012, Rs. C-44/11, Deutsche Bank, UR 2012, 667).
2.1.2 Begriff der Versicherung
Rz. 17
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Begriff der Versicherung kann unterschiedlich definiert werden. Maßgebend ist der Versicherungsbegriff der EG-Versicherungsrichtlinie (vgl. Rz. 15). Danach liegt das Wesen eines Versicherungsumsatzes darin begründet, dass der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung zu erbringen (EuGH vom 25.02.1999, Rs. C-349/96, CPP – Card Protektion Plan Ltd., Rn. 17, UVR 1999, 157; vom 07.12.2006, Rs. C-13/06, Kommission/Griechenland, UR 2007, 182). Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze sind damit nicht alle Umsätze, die Versicherungen erlaubt sind. Vielmehr setzt ein Versicherungsumsatz "seinem Wesen nach eine Vertragsbeziehung zwischen dem Erbringer der Versicherungsdienstleistung (Versicherer) und der Person, deren Risiken von der Versicherung gedeckt werden, d. h. dem Versicherten, voraus" (EuGH vom 08.03.2001, Rs. C-240/99, Försäkringsaktiebolag Skandia, UR 2001, 157, Rn. 41).
Rz. 18
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Entwurf der Kommission zur Änderung der MwStSystRL vom 28.11.2007 (in seiner berichtigten Fassung vom 20.02.2008) sah eine Legaldefinition der "Versicherung und Rückversicherung" in Art. 135a Ziff. 1 MwStSystRL-E vor. Hiernach wird eine "Versicherung und Rückversicherung" durch eine vertragliche Verpflichtung begründet, wonach eine Person einer anderen Person im Falle des Eintretens des Versicherungsfalls gegen Zahlung eine in der Verpflichtung festgelegte Entschädigungs- oder Versicherungsleistung zu erbringen hat. Diese Definition entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH sieht sich sogar durch diesen Kommissionsentwurf in seiner Sichtweise bestätigt (EuGH vom 17.03.2016, Rs. C-40/15, Aspiro, UR 2016, 386).
Rz. 19
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Versicherer sind ...