Dipl.-Finanzwirt (FH) Carsten Timm
Rz. 17
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG liegt ein i. g. Erwerb vor, wenn bei einer Lieferung der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt. Ein i. g. Erwerb kann ebenfalls vorliegen, wenn der Gegenstand der Lieferung aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet (vgl. Abschn. 1.10. UStAE) in eines der in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete gelangt (Freihäfen oder in die Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie).
Rz. 18
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Entsprechend dem Wortlaut des § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG muss der Gegenstand in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangen. Wie genau dieses Gelangen erfolgt, wird im Gesetz nicht näher angesprochen. Unter die Vorschrift fallen daher sowohl die Beförderung als auch die Versendung des Liefergegenstandes. Keine Rolle spielt es, ob die Beförderung oder Versendung (zu den Begriffen vgl. § 3 Abs. 6 UStG) durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen beauftragten Dritten erfolgt (vgl. Abschn. 1a.1. Abs. 1 S. 3 UStAE).
Rz. 19
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Eine konkrete Frist für die Beförderung ist in Art. 20 MwStSystRL nicht vorgesehen (vgl. ausführlich EuGH vom 18.11.2010, Rs. C-84/09 "x/Skatteverket", JStR 2010, 910 – Erwerb eines Segelboots), erforderlich sind jedoch ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang sowie ein kontinuierlicher Ablauf.
Rz. 20
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Da § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG lediglich den Ausgangs- und den Endpunkt der Beförderung oder Versendung bestimmt, ist eine Durchfuhr durch andere EU-Staaten, aber auch durch Drittstaaten unschädlich. Das Gelangen aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates liegt auch dann vor, wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat. Beginnt demnach die Beförderung und Versendung in einem Drittland, wird der Gegenstand aber im Gebiet eines Mitgliedstaates der Einfuhrumsatzsteuer unterworfen, bevor er in das Gebiet des anderen Mitgliedstaates gelangt, sind die Voraussetzungen eines i. g. Erwerbs im Bestimmungsmitgliedstaat ebenfalls erfüllt (vgl. Abschn. 1a.1. Abs. 1 S. 4 UStAE).
Der ukrainische Unternehmer R verkauft Waren an den deutschen Abnehmer D. Die Waren lässt R in Polen zum freien Verkehr abfertigen und bezahlt die polnische EUSt.
Lösung:
Durch die Abfertigung der Waren zum zollrechtlichen und steuerrechtlichen freien Verkehr in Polen werden die Waren zu Gemeinschaftswaren. Der Ort der Lieferung verlagert sich nach Art. 32 Abs. 2 MwStSystRL nach Polen. Hier beginnt die Warenbewegung, auf die § 1a UStG abhebt. D verwirklicht somit einen i. g. Erwerb, da die Waren aus dem Mitgliedstaat Polen in den Mitgliedstaat Deutschland gelangen. Der Ort des i. g. Erwerbs liegt nach § 3d S. 1 UStG in Deutschland.
Rz. 21
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Erfolgt keine einfuhrumsatzsteuerliche Abfertigung im übrigen Gemeinschaftsgebiet mit anschließender Weiterlieferung in das Inland, liegt der Tatbestand der Einfuhr vor. Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Drittland im Wege der Durchfuhr durch das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates in das Inland und wird erst im Inland einfuhrumsatzsteuerrechtlich zum freien Verkehr abgefertigt, liegt auf Seiten des Erwerbers kein i. g. Erwerb vor (vgl. Abschn. 1a.1. Abs. 1 S. 5 UStAE).
Der ukrainische Unternehmer R verkauft Waren an den deutschen Abnehmer D. R liefert im Wege der Durchfuhr durch Polen an D und lässt die Waren erst in Deutschland zum freien Verkehr abfertigen.
Lösung:
Durch die zollrechtliche und steuerrechtliche Abfertigung der Waren zum freien Verkehr in Deutschland verlagert sich der Ort der Lieferung gem. § 3 Abs. 8 UStG nach Deutschland. Erst in Deutschland werden die Waren zu Gemeinschaftswaren. Die durch R erbrachte Lieferung an D ist eine im Inland steuerbare und steuerpflichtige Lieferung. Für D liegt kein i. g. Erwerb vor, da es am Tatbestandsmerkmale des Gelangens von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat fehlt.
Rz. 22
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Da das Gesetz fordert, der Gegenstand müsse bei einer Lieferung an den Abnehmer von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat gelangen, muss der Abnehmer der Lieferung feststehen, um einen i. g. Erwerb zu verwirklichen (Abgrenzung zu rechtsgeschäftslosem Verbringen/i. g. Verbringen). Wegen der Besonderheiten i. Z. m. einer Verkaufskommission vgl. Abschn. 1a.2. Abs. 7 UStAE (Vereinfachungsregelung der Verwaltung; ergänzend vgl. OFD Frankfurt a. M. vom 04.04.2014, Az: S 7103a A – 8 – St 110, DStR 2014, 1340).
Rz. 23
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
In Fällen eines Reihengeschäftes (§ 3 Abs. 6a S. 1 UStG) sind die jeweiligen Lieferungen in ruhende und bewegte Lieferungen aufzuteilen. Nach Verwaltungsauffassung kann eine i. g. Lieferung nur die bewegte Lieferung sein. Da der i. g. Erwerb das Gegenstück zur i. g. Lieferung darstellt, kann folglich auch nur die bewegte Lieferung beim Abnehmer zu einem i. g. Er...