Rz. 23
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 11 UStG beschränkt sich auf die typischen Tätigkeiten des Versicherungsvertreters und -maklers. Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt der Umstand, dass ein Versicherungsmakler oder -vertreter zu den Parteien des Versicherungs- oder Rückversicherungsvertrages, zu dessen Abschluss er beiträgt, keine unmittelbare Verbindung hat, dessen Steuerbefreiung nicht zwingend aus. Ausreichend ist eine auch nur mittelbare Verbindung über einen anderen Steuerpflichtigen, der selbst in unmittelbarer Verbindung zu einer dieser Parteien steht, wenn der Versicherungsmakler oder -vertreter mit diesem Mittler vertraglich verbunden ist (EuGH vom 03.04.2008, Rs. C-124/07, J. C. M. Beheer BV, UR 2008, 389 mit Anm. Wäger). Diese Rechtsprechung hat der BFH zum Anlass genommen, in einem vielbeachteten Urteil vom 30.10.2008 (Az: V R 44/07, UR 2009, 86 mit Anm. Hahne und Philipowski) seine Rechtsprechungsgrundsätze zur Steuerpflicht von Vermittlungsleistungen in mehrstufigen Vertriebssystemen (sog. Strukturvertrieb) neu zu justieren. Zur Funktionsweise eines "Strukturvertriebs" vgl. OFD Koblenz vom 13.11.1997, S 7167 A-St 51 3.
Rz. 24
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Zur Frage der Umsatzsteuerpflicht bei der mehrstufigen Vermittlung von Versicherungsprodukten im Strukturvertrieb vertritt der BFH nunmehr die Auffassung, dass im Einzelfall auch die Betreuung, Schulung und Überwachung von Versicherungsvertretern eine steuerfreie Tätigkeit nach § 4 Nr. 11 UStG beinhalten könne. Erhält der "Obervermittler" (auch "Overhead-Handelsmakler" oder "Maklerbetreuer") aus den Provisionserlösen eine sog. Overhead-Provision oder Superprovision, ist diese Leistung steuerbefreit, wenn "der Unternehmer, der diese Leistung übernimmt, durch Prüfung eines jeden Vertragsangebots zumindest mittelbar auf eine der Vertragsparteien einwirken kann, wobei auf die Möglichkeit, eine solche Prüfung im Einzelfall durchzuführen, abzustellen ist" (BFH vom 30.10.2008, Az: V R 44/07, UR 2009, 86 mit Anm. Hahne und Philipowski).
Rz. 25
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Während dieses Urteil in den beteiligten Kreisen zunächst noch als vorsichtige Bestätigung der Umsatzsteuerbefreiung im Strukturvertrieb angesehen wurde, weisen einige jüngere Entscheidungen eine eindeutig restriktive Tendenz in dieser Frage auf. Eindeutig geklärt ist, dass eine Steuerfreiheit für Leistungen, die keinen Bezug zu einzelnen Vermittlungsgeschäften aufweisen, sondern allenfalls dazu dienen, i. R. d. Administration einer Vertriebsorganisation andere Unternehmer, die Vermittlungsleistungen erbringen, zu unterstützen, nicht steuerbegünstigt ist. Weiterhin unklar ist jedoch, welche Qualität der Mitwirkungsbeitrag des Obervermittlers am Vermittlungsgeschäft im Einzelfall aufweisen muss.
Rz. 26
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Fest steht, dass die "einmalige Prüfung und Genehmigung von Standardverträgen und standardisierten Vorgängen" für eine Umsatzsteuerbefreiung des Obervermittlers nicht ausreicht. Dies war bereits Gegenstand der eingangs erwähnten Entscheidung des V. Senats (BFH vom 30.10.2008, Az: V R 44/07, UR 2009, 86). Ebenso steht fest, dass der Abschluss eigener Verträge des "Strukturoberen" mit sich selbst als Versicherungsnehmer (sog. Eigenvermittlungsgeschäft) nicht geeignet ist, eine Steuerbegünstigung für den Aufbau des Strukturvertriebes zu begründen (BFH vom 03.08.2017, Az: V R 19/16, BFH/NV 2017, 1685 = UStB 2017, 318).
Rz. 27
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Eine weitere Feinjustierung dieser Rechtsprechung nahm auch der XI. Senat des BFH vor (BFH vom 14.05.2014, Az: XI R 13/11, BStBl II 2014, 734). Dieser entschied, dass keine Vermittlungstätigkeit erbringt, "wer als sog. Distributor im Rahmen eines mehrstufigen Vertriebs von Fondsanteilen selbstständige Abschlussvermittler anwirbt, schult und im Rahmen ihres Einsatzes unterstützt sowie die von den Abschlussvermittlern eingereichten Unterlagen auf Vollständigkeit und Plausibilität prüft". In der Sache betont der XI. Senat damit die Notwendigkeit der eigenen Vermittlungstätigkeit in Abgrenzung zur bloßen Vertriebsunterstützung.
Wenngleich diese Entscheidung zu § 4 Nr. 8 Buchst. e und f UStG ergangen ist, finden diese Grundsätze auch auf § 4 Nr. 11 UStG Anwendung. Neu ist an dieser Entscheidung, dass die "Möglichkeit der Prüfung der Verträge auf Vollständigkeit und Plausibilität" ausdrücklich nicht als hinreichender Mitwirkungsbeitrag gewertet wird, da es sich insoweit um "bloße Sacharbeit" handle (so bereits die erste Instanz: FG Rheinland-Pfalz vom 24.03.2011, Az: 6 K 2456/09, EFG 2011, 1566). Gerade die letzte Feststellung verdeutlicht, dass der BFH m. E. die Anforderungen an die eigene Vermittlungstätigkeit im Strukturvertrieb überdehnt. Für die Praxis ist diese Rechtsprechung überaus problematisch, solange sich der BFH nicht eindeutig positioniert, welche Mitwirkungshandlungen aus seiner Sicht zwingend notwendig für eine Steuerbefreiung des Obervermittlers sind (ebenso kritisch: Becker, UStB ...