Rz. 87

Stand: 6. A. – ET: 07/2024

§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG verlangt i. R. d. Rechnungsstellung "den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers". In Abschn. 15.2a. Abs. 1, 2 UStAE vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass es ausreichend ist, wenn sich aufgrund der in der Rechnung enthaltenen Bezeichnungen der Name und die Anschrift sowohl des leistenden Unternehmers als auch des Leistungsempfängers eindeutig feststellen lassen. Verfügt der Leistungsempfänger über ein Postfach oder eine Großkundenadresse, wird es als ausreichend betrachtet, wenn anstelle der Anschrift die Daten des Postfachs bzw. der Großkundenadresse angegeben werden (vgl. BMF vom 13.09.2016, NWB Datenbank, DAAAF-82369).

 

Rz. 88

Stand: 6. A. – ET: 07/2024

Welche Anforderungen an die Anschrift des leistenden Unternehmers zu stellen ist, wird in der Literatur unter Verweis auf das Urteil des BFH vom 22.07.2016 (NWB Datenbank, DAAAF-00986) heftig diskutiert (vgl. Spatscheck/Stenert, DStR 2016, 1070 ff., Lohse/Zanziger, DStR 2016, 1244 f.; Gries/Stößel, NWB 2016, 1794 ff., Becker, NWB 2016, 3384 ff.).

Der BFH (Urteil vom 22.07.2016, NWB Datenbank, DAAAF-00986) sieht das Merkmal "vollständige Anschrift" in Bezug auf den leistenden Unternehmer nur erfüllt, wenn der leistende Unternehmer unter dieser Anschrift auch seine "wirtschaftliche Aktivität" entfaltet. An der bisherigen Ausnahmeregelung, dass ein "Briefkastensitz" mit nur postalischer Erreichbarkeit ausreichen kann, hält der BFH ausdrücklich nicht mehr fest (BFH vom 22.07.2016, NWB Datenbank, DAAAF-00986, Rn. 25). Hat der Leistungsempfänger auf die Richtigkeit der Anschrift des leistenden Unternehmens vertraut (Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers), kann er sich nach Auffassung des BFH nicht auf den Schutz des guten Glaubens berufen. § 15 UStG sieht den Schutz des guten Glaubens für den Vorsteuerabzug nicht vor, dieser kann nur im Rahmen einer Billigkeitsregel gem. §§ 163, 227 AO gewährt werden (vgl. BFH vom 22.07.2016, NWB Datenbank, DAAAF-00986, Rn. 31).

Der V. und XI. Senat des BFH haben jeweils mit Vorlagebeschluss vom 06.04.2016 (BFH vom 04.06.2016, NWB Datenbank, HAAAF-777198; BFH vom 06.04.2016, NWB Datenbank, ZAAAF-77192) dem EuGH entsprechende Anfragen zur Klärung vorgelegt. Geklärt werden soll, ob

  • der leistende Unternehmer unter der in einer Rechnung angegebenen Anschrift auch seine wirtschaftliche Tätigkeit entfalten muss;
  • eine Adresse, unter der der leistende Unternehmer postalisch erreichbar, aber nicht wirtschaftlich tätig ist, den Anforderungen genügt;
  • die Angabe einer reinen Briefkastenadresse in einer Rechnung als vollständige Anschrift genügt;
  • eine nationale Regelung, wonach der Gutglaubensschutz des Leistungsempfängers nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt werden kann, zulässig ist;
  • der Vertrauensschutz für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen (in Bezug auf die vollständige Anschrift) nicht erfüllt sind, verlangt, dass der Leistungsempfänger alles getan haben muss, was von ihm in zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Angaben in einer Rechnung zu überprüfen.

Der EuGH hat die Fragen mit Urteil vom 15.11.2017 (Az: C-374/16 und C-375/16, NWB Datenbank, ZAAG-62440) nur teilweise beantwortet. Nach Auffassung des EuGH widerspricht es den unionsrechtlichen Grundsätzen, wenn in einer Rechnung die Anschrift des leistenden Unternehmers stehen muss, unter der er seine wirtschaftliche Aktivität entfalten muss. Eine postalische Erreichbarkeit dürfte daher künftig wieder genügen (hierzu ausführlich Radeisen, DB 11/2018, 596). Die Fragen zum Gutglaubensschutz musste der EuGH im zugrunde liegend Fall nicht mehr beantworten, sodass die Klärung der vom BFH vorgelegten Fragen weiterhin aussteht (FG Bremen vom 06.06.2018 – 2 K 19/17 (5), NWB Datenbank DAAAG-89018).

Die Finanzverwaltung wollte unter Verweis auf die Vorlagebeschlüsse des V. und XI. Senats die weiteren Entwicklungen abwarten (vgl. BMF vom 13.09.2016, NWB Datenbank, DAAAF-82369). Zwei Jahre später reagiert die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 07.12.2018 (Az: III C 2 – S 7280-a/07/10005:003, BStBl I 2018, 14019 sowie mit BMF Schreiben vom 13.07.2020 (Az: III C 2 – S 7280-a/19/10001 :001, BStBl I 2020, 644) auf die danach ergangene geänderte Rechtsprechung und passt den Umsatzsteueranwendungserlass entsprechend an.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Abschn. 14.5. UStAE) reicht nunmehr jede Art von Anschrift aus, sofern der leistende Unternehmer bzw. der Leistungsempfänger unter dieser Anschrift erreichbar sind. Unerheblich ist hierbei, ob die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (vgl. BFH vom 13.06.2018, BStBl II 2018, 800; BFH vom 21.6.2018, BStBl II 2018, 809; BFH vom 21.06.2018, BStBl II 2018, 806). Auch die jeweilige Angabe ein...

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