Dipl.-Finanzwirt (FH) Josef Heß
Rz. 60
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf die Unternehmereigenschaft des Schuldners keinen Einfluss. Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt der Grundsatz der Unternehmereinheit (vgl. BFH vom 09.12.2010, Az: V R 22/10 BStBl II 2011, 996). Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts, besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können (BFH vom 24.11.2011, Az: V R 13/11, BStBl II 2012, 298). Zu unterscheiden sind der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind (§§ 174ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen sind, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden können. Diese Teilbereiche sind bei allen Umsatzsteuersachverhalten und damit auch bei der Zuordnung der dem Gesamtunternehmen zustehenden Berechtigungen – wie z. B. dem Recht auf Vorsteuerabzug nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) – zu beachten.
Rz. 61
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über; gleichwohl führt das Insolvenzverfahren nicht zu einer Spaltung des Unternehmens, sondern der Schuldner bleibt leistender Unternehmer und hat – nunmehr durch den Insolvenzverwalter – die umsatzsteuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen (BFH vom 16.01.2007, Az: VII R 7/06, BStBl II 2007, 745). Hierzu gehören auch die steuerlichen Erklärungspflichten sowie die Berechnung der Steuer unter Abzug der Vorsteuerbeträge gem. § 16 Abs. 1 und 2 UStG. Eine umsatzsteuerrechtliche Pflicht des Schuldners bzw. des Insolvenzverwalters, eine Steuerberechnung auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorzunehmen, besteht nicht, denn der Besteuerungszeitraum wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Anm. 945).
Rz. 62
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens erworbenes Vermögen gehört grundsätzlich zur Insolvenzmasse und dient damit der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger (§ 35 InsO). Allerdings hat der Insolvenzverwalter bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners zu erklären, ob auch hieraus herrührendes Vermögen zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren sollen geltend gemacht werden können. Gibt er dem Schuldner gegenüber die Erklärung ab, dass er die Aktiva und Passiva aus dem Insolvenzbeschlag freigibt, hat dies nach BFH vom 01.09.2010 (Az: VII R 35/08, BStBl II 2011, 336) zur Folge, dass das FA einen durch die Tätigkeit ggf. begründeten Umsatzsteuervergütungsanspruch gegen Steuerforderungen verrechnen kann, die in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und unbefriedigt geblieben sind. Denn das Aufrechnungsverbot, das eine Verrechnung gegen Ansprüche, die ein Gläubiger während des Verfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, verbietet (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO), greift nicht ein. Ebenso ist der InsO kein ungeschriebenes allgemeines Verbot zu entnehmen, mit Insolvenzforderungen gegen Ansprüche des Schuldners aufzurechnen, die nicht in die Insolvenzmasse fallen. Die InsO weist also den Insolvenzgläubigern nicht etwa ausschließlich die Insolvenzmasse als Haftungssubstrat zu (BFH vom 01.09.2010, Az: VII R 35/08, BStBl II 2011, 336).
Rz. 63
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Auch der Zwangsverwalter betreibt nicht etwa ein neues oder anderes Unternehmen (BFH vom 10.04.1997, Az: V R 26/96, BStBl II 1997, 552).
Rz. 64
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Ebenso wie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steuerrechtlich nicht zu einer Trennung des Vermögens des Schuldners und der Insolvenzmasse führt (vgl. BFH vom 14.02.1978, Az: VIII R 28/73, BFHE 124, 411; BStBl II 1978, 356), oder zu einem Einschnitt in Bezug auf den Unternehmer, der Leistungen bezieht oder empfängt, ist dies auch bei der Anordnung von Zwangsverwaltung über einen Gegenstand seines Unternehmens nicht der Fall. Der Übergang der Verwaltungsbefugnis auf den Zwangsverwalter oder einen Insolvenzverwalter lässt das Eigentumsrecht und die Unternehmereigenschaft z. B. des Grundstückseigentümers sowie die Einheit seines Unternehmens unberührt (BFH vom 15.06.1999, Az: VII R 3/97, BStBl II 2000, 46).
Rz. 65
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Anordnung der Zwangsverwaltung führt allerdings, um die Erfüllung der in § 155 Abs. 2 ZVG bezeichneten Ansprüche zu gewährleisten, zu einer Sonderung des beschlagnahmten Grundbesitzes von dem übrigen Vermögen des Schuldners. Die bei der Verwaltung dieses Sondervermögens von dem Zwangsverwalter begründeten Ansprüche, auch die positiven und ...