Dipl.-Finanzwirt (FH) Carsten Timm
2.3.8.2.1 Bisherige Verwaltungsauffassung
Rz. 86
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft tatsächlich wahrgenommen wird (Abschn. 2.8. Abs. 7 UStAE a. F.).
Rz. 87
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Dies ist z. B. durch Personalunion der Geschäftsführer in beiden Gesellschaften der Fall (vgl. BFH vom 23.04.1959, Az: V 66/57 U, BStBl III 1959, 256, und vom 13.04.1961, Az: V 81/59, BStBl III 1961, 343).
Rz. 88
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Nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass die Organgesellschaft
- in eigenen Räumen arbeitet,
- eine eigene Buchhaltung und
- eigene Einkaufs- und Verkaufsabteilungen hat,
da dies dem Willen des Organträgers entsprechen kann (vgl. BFH vom 23.07.1959, Az: V 176/55 U, BStBl III 1959, 376).
2.3.8.2.2 Neue Rechtsprechung des BFH und Verwaltungsauffassung
Rz. 89
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Der BFH hat sich mit verschiedenen Urteilen zur organisatorischen Eingliederung neu positioniert. Das BMF hat dazu mit Schreiben vom 26.05.2017 (BStBl I, 790) umfassend Stellung genommen und die Änderungen mit Wirkung vom 01.01.2019 in Abschn. 2.8. Abs. 7–11 UStAE übernommen.
- Eine Pattsituation der Geschäftsführer in Mutter- und Tochtergesellschaft soll nicht mehr ausreichen (Abschn. 2.8. Abs. 7 Satz 3 UStAE).
- Organisatorische Eingliederung durch Beherrschungsvertrag nach § 291 AktG, ab der Eintragung in das Handelsregister (Abschn. 2.8. Abs. 10 UStAE). Die Abhängigkeitsvermutung aus § 17 AktG begründet jedoch (wie bisher) keine organisatorische Eingliederung (vgl. Rz. 91 ff.).
2.3.8.2.3 Übergangsfrist bis zum 01.01.2019
Rz. 90
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Die Umsetzung der Neuregelungen (vgl. Rz. 89) macht auch im außersteuerlichen Bereich Anpassungen notwendig, die in vielen Unternehmen einen erheblichen zeitlichen Bedarf in Anspruch nehmen. Aufgrund dieser besonderen Umstände bewilligt das BMF eine verhältnismäßig lange Übergangsregelung.
2.3.8.2.4 Die Abhängigkeitsvermutung nach § 17 AktG
Rz. 91
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Der BFH hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Sachverhalt:
Klägerin ist eine im Jahr 2000 gegründete GmbH. Die Gesellschaftsanteile hielten der Einzelunternehmer B zu 51 % sowie die X-GmbH & Co. KG zu 49 %.
Nach der Satzung waren Gesellschafterbeschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen. Für z. B. Entlastung, Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern bestand demgegenüber ein Einstimmigkeitserfordernis. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin waren der Mehrheitsgesellschafter B und der von der Minderheitsgesellschafterin berufene MK.
Die Klägerin erbrachte entgeltliche Dienstleistungen an einen Betrieb des Einzelunternehmens B sowie an eine weitere GmbH, deren Geschäftsanteile B zu 98 % hielt. Die Klägerin ging davon aus, dass ihre Leistungen aufgrund einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu B als Organträger nicht steuerbar seien.
Nach einer Prüfung verneinte das FA eine Organschaft und behandelte die Umsätze der Klägerin für 2000 als steuerpflichtig.
Das Finanzgericht gab der Klage statt. Es meinte, die Klägerin sei in das Unternehmen des B eingegliedert gewesen. B habe als Mehrheitsgesellschafter die Klägerin faktisch beherrscht. Hierfür spreche auch § 17 des Aktiengesetzes (AktG). Nach dieser Regelung werde von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig sei.
Das FA legte Revision ein.
Rz. 92
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Der BFH hat darauf erkannt, dass sich die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft allein nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestimmen. Die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung nach § 17 AktG hat insoweit keine Bedeutung. Dabei setzt die organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindern kann. Der BFH hob daher die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab (BFH vom 05.12.2007, Az: V R 26/06, BStBl II 2008, 451).
Rz. 93
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Nach Auffassung des BFH hatte die Klägerin ihre Tätigkeit selbstständig ausgeübt; sie war in den Streitjahren nicht als Organgesellschaft in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert. Die Eingliederungsvoraussetzungen definiert § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 11 MwStSystRL eigenständig, ohne auf andere – wie z. B. aktienrechtliche – Regelungen zu verweisen. Maßgeblich ist allein die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers.
Rz. 94
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Zwar ist nicht erforderlich, dass sich alle drei in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung gleichermaßen deutlich feststellen lassen; es reicht aber nicht aus, dass eine Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht. Weder kann von der finanziellen Eingliederung auf die wirtschaftliche Eingliederung geschlossen werden, noch von der finanziellen auf die organisatorische Eingliederung (ausführlich Hidien, UR 2008, 259 (261); Weimann, UStB 2008, 21...