Dipl.-Finanzwirt (FH) Carsten Timm
Rz. 91
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der BFH hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Sachverhalt:
Klägerin ist eine im Jahr 2000 gegründete GmbH. Die Gesellschaftsanteile hielten der Einzelunternehmer B zu 51 % sowie die X-GmbH & Co. KG zu 49 %.
Nach der Satzung waren Gesellschafterbeschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen. Für z. B. Entlastung, Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern bestand demgegenüber ein Einstimmigkeitserfordernis. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin waren der Mehrheitsgesellschafter B und der von der Minderheitsgesellschafterin berufene MK.
Die Klägerin erbrachte entgeltliche Dienstleistungen an einen Betrieb des Einzelunternehmens B sowie an eine weitere GmbH, deren Geschäftsanteile B zu 98 % hielt. Die Klägerin ging davon aus, dass ihre Leistungen aufgrund einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu B als Organträger nicht steuerbar seien.
Nach einer Prüfung verneinte das FA eine Organschaft und behandelte die Umsätze der Klägerin für 2000 als steuerpflichtig.
Das Finanzgericht gab der Klage statt. Es meinte, die Klägerin sei in das Unternehmen des B eingegliedert gewesen. B habe als Mehrheitsgesellschafter die Klägerin faktisch beherrscht. Hierfür spreche auch § 17 des Aktiengesetzes (AktG). Nach dieser Regelung werde von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig sei.
Das FA legte Revision ein.
Rz. 92
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der BFH hat darauf erkannt, dass sich die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft allein nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestimmen. Die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung nach § 17 AktG hat insoweit keine Bedeutung. Dabei setzt die organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindern kann. Der BFH hob daher die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab (BFH vom 05.12.2007, Az: V R 26/06, BStBl II 2008, 451).
Rz. 93
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach Auffassung des BFH hatte die Klägerin ihre Tätigkeit selbstständig ausgeübt; sie war in den Streitjahren nicht als Organgesellschaft in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert. Die Eingliederungsvoraussetzungen definiert § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 11 MwStSystRL eigenständig, ohne auf andere – wie z. B. aktienrechtliche – Regelungen zu verweisen. Maßgeblich ist allein die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers.
Rz. 94
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Zwar ist nicht erforderlich, dass sich alle drei in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung gleichermaßen deutlich feststellen lassen; es reicht aber nicht aus, dass eine Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht. Weder kann von der finanziellen Eingliederung auf die wirtschaftliche Eingliederung geschlossen werden, noch von der finanziellen auf die organisatorische Eingliederung (ausführlich Hidien, UR 2008, 259 (261); Weimann, UStB 2008, 210).
Rz. 95
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Für die organisatorische Eingliederung kommt es darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht möglich ist. § 17 AktG knüpft hingegen die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung an das bloße Bestehen einer Mehrheitsbeteiligung und weicht damit von der spezialgesetzlichen Regelung des UStG ab, nach der es neben einer Mehrheitsbeteiligung auch auf wirtschaftliche und organisatorische Voraussetzungen ankommt (Weimann, UStB 2008, 210).
Rz. 96
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestand im Streitfall unter keinem denkbaren Gesichtspunkt. Für eine organisatorische Eingliederung der Klägerin fehlte eine Personenidentität in den Vertretungsorganen, da die Klägerin über zwei Geschäftsführer verfügte. Da beide Geschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis hatten, war es dem Mehrheitsgesellschafter B auch nicht möglich, eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft zu verhindern (Weimann, UStB 2008, 210).
Rz. 97
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Auf die Bedeutung von Geschäftsführungsordnungen für die organisatorische Eingliederung brauchte nicht eingegangen zu werden. In den Streitjahren lag insoweit nur eine mündliche Absprache vor, die schriftliche Ergänzung erst später. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern wäre B daher nicht in der Lage gewesen, sein Letztentscheidungsrecht gegenüber Dritten nachzuweisen oder MK bei Verstößen gegen die in den Streitjahren nur mündlich getroffene Absprache haftbar zu machen. Dies reicht nicht aus, um eine vom Willen des Organträgers abweiche...