2.4.1 Allgemeines
Rz. 156
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 6a Abs. 4 UStG enthält eine Vertrauensschutzregelung für den liefernden Unternehmer. Hat er die Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei zu behandeln, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der liefernde Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (§ 6a Abs. 4 S. 1 UStG; vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 1 UStAE). In diesem Fall schuldet der Abnehmer nach § 6a Abs. 4 S. 2 UStG die entgangene Steuer (vgl. §§ 13a Nr. 3, 16 Abs. 1 S. 4 und 18 Abs. 4b UStG; zum Abnehmer i. S. d. Vorschrift vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 2 UStAE). Zum Vertrauensschutz vgl. EuGH vom 27.09.2007, Rs. C-409/04 Teleos, BFH/NV Beilage 2008, 25 (vgl. Rz. 105; vgl. Weber, NWB 2014, 3076 f.; Hassa in UR 2015, 809 ff.).
Rz. 157
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Vertrauensschutzregelung soll den Unternehmer vor für ihn nachteiligen Folgen (= Steuerpflicht der als steuerfrei eingeschätzten Lieferungen) für den Fall schützen, dass die bisherige (unrichtige) Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf falschen Angaben des Abnehmers beruhte. Unterliegt demgegenüber der Unternehmer selbst einem Rechtsirrtum, der zur fälschlichen Inanspruchnahme der Steuerbefreiung führt, ist er nicht durch § 6a Abs. 4 UStG geschützt, da die Vorschrift ausdrücklich auf die falschen Angaben des Abnehmers verweist, die ursächlich für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gewesen sein müssen (vgl. BFH vom 07.12.2006, Az: V R 52/03, BStBl II 2007, 420; vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 8 UStAE).
2.4.2 Reichweite des Vertrauensschutzes
Rz. 158
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach Abschn. 6a.8. Abs. 4 S. 1 UStAE bezieht sich der Vertrauensschutz des § 6a Abs. 4 UStG nur auf die nach § 6a Abs. 1 UStG erforderlichen Voraussetzungen (Unternehmereigenschaft des Abnehmers, Verwendung für dessen Unternehmen, körperliche Warenbewegung ins üGG). Er bezieht sich nicht auch auf die Richtigkeit der nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV zu führenden Nachweise (vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 4 S. 2 UStAE).
Rz. 159
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Frage nach der Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG stellt sich erst dann, wenn der Unternehmer seinen Nachweisverpflichtungen nach den §§ 17a–d UStDV vollständig nachgekommen ist (vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 1 S. 3 UStAE; vgl. BFH vom 15.07.2004, Az: V R 1/04 (NV), BFH/NV 2005, 81 – hat der Unternehmer seinen Nachweisverpflichtungen genügt, waren aber die Angaben des Abnehmers unrichtig und konnte der Unternehmer dies unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen, wird er nach § 6a Abs. 4 S. 1 UStG in seinem guten Glauben geschützt und dies auch dann, wenn der Abnehmer einen falschen Namen und eine falsche Anschrift angegeben hat.). Maßgeblich hierfür ist die formelle Vollständigkeit, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 S. 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt (vgl. BFH vom 15.02.2012, XI R 42/10 (NV), BFH/NV 2012, 1188; vgl. BFH, Urteil vom 22.07.2015, Az V R 23/14, BStBl II 2015, 914, Rz. 43 (Urteilsbesprechung vgl. Gries/Stößel in NWB 2016, 1794); vgl. Abschn. 6a.8. Abs. 1 S. 6 UStAE). Unklar ist, ob die entsprechende strenge Sichtweise auch nach Einführung der "Gelangensbestätigung" als Regelnachweis weiter Bestand hat. Ein wesentlicher Unterschied besteht nämlich seither darin, dass die vom Verordnungsgeber (jedenfalls bis zur Umsetzung der "Gelangensvermutung" in § 17a UStDV n. F. zum 01.01.2020) als stärkste Nachweisform behandelte Gelangensbestätigung nicht im Kontrollbereich des liefernden Unternehmers liegt. Da die Gelangensbestätigung nämlich das Ende der Warenbewegung bescheinigen und vom Erwerber erstellt werden muss, kann sie nur nachträglich ausgestellt werden. Der Lieferer ist somit auf die Mitwirkung des Erwerbers angewiesen. Ist dieser böswillig, ohne dass der Lieferer dies wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung hätte erkennen müssen, spricht somit sehr viel dafür, dennoch den § 6a Abs. 4 UStG anzuwenden. Leider ist diese Problematik bisher nicht Gegenstand veröffentlichter Finanzrechtsprechung geworden.
Rz. 160
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Kein Vertrauensschutz greift z. B., wenn die USt-IdNr. nicht aufgezeichnet wurde (vgl. BFH vom 21.01.2015, XI R 5/13, BStBl II 2015, 724, Rz. 55 – in einem Fall, in dem der Abnehmer nicht in Besitz einer USt-IdNr. war und deswegen die USt-IdNr. eines Lagerhalters aufgezeichnet wurde; ggf. dennoch Steuerbefreiung im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH, vgl. Rz. 158). Diese Entscheidung ist wegen Einführung des § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG allerdings nur noch für bis zum 31.12.2019 ausgeführte i. g. Lieferungen relevant.
Rz. 161
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Zur Reichweite der Vertrauensschutzregelung bei Reihengeschäften auch für die ruhende Lieferung vgl. BFH vom 11.08.2011 (Az: V R 3/10 (V), BFH/NV 2011, 2208). Der BFH ...