2.5.1 Bisherige Rechtsentwicklung
Rz. 180
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Wer die Steuerbefreiung für sich in Anspruch nimmt, ohne den Buchnachweis zeitgerecht zu führen und ohne im Besitz der Ausfuhrbelege zu sein, macht sich bei Vorliegen auch der übrigen Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung schuldig (vgl. BFH vom 28.02.1980, Az: V R 118/76, BStBl II 1980, 415 – zur Ausfuhrlieferung). Mit Urteil vom 12.05.2005 (Az: 5 StR 36/05, NJW 2005, 2241) hat der BGH entschieden, dass derjenige, der die Steuerbefreiung für i. g. Lieferungen geltend macht, obwohl er weiß, dass in den durch ihn geführten Nachweisen ein falscher Abnehmer angegeben ist, weil er dem tatsächlichen Abnehmer die Hinterziehung der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland ermöglichen will, Steuerhinterziehung begeht. Der BGH hebt dabei auf den Buchnachweis nach § 17c UStDV ab, der zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 6a UStG i. V. m. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG gehört und nur dann zur Erlangung der Steuerbefreiung führen kann, wenn der bezeichnete Abnehmer auch der tatsächliche Abnehmer ist (vgl. BFH vom 05.02.2004, Az: V B 180/03 (NV), BFH/NV 2004, 988). Die Nachweisverpflichtungen seien dabei bereits in Art. 28c Teil A der 6. EG-RL (Art. 138 f. MwStSystRL) angelegt und dienten einerseits der Sicherstellung des Steueraufkommens im Bestimmungsland, andererseits auch der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Der BGH geht in seiner Urteilsbegründung davon aus, dass der zu entscheidende Fall auch nicht mit den Fällen zu vergleichen sei, wegen derer der BFH den EuGH zur Vorabentscheidung aufgefordert habe (vgl. BFH vom 10.02.2005, Az: V R 59/03, BStBl II 2005, 537), da in diesen Fällen grundsätzlich steuerehrlich aufgebaute Gestaltungen gegenständlich seien, bei denen die Frage der Verhältnismäßigkeit im Raum stehe, nicht jedoch wie im vorliegenden Fall wissentlich und willentlich getätigte falsche Angaben, die den tatsächlichen Abnehmer verdecken sollten, um diesem die Hinterziehung der Erwerbssteuer zu ermöglichen. Der BGH hat im Jahr 2020 bekräftigt, dass keine steuerfreie i. g. Lieferung vorliegt, wenn der Unternehmer den tatsächlichen Abnehmer verschweigt (BGH vom 16.01.2020, 1 StR 89/19, BGHSt 64, 252).
2.5.2 Materiell-rechtlicher Charakter der Nachweise
Rz. 181
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH vom 20.11.2008, Az: 1 StR 354/08, BFH/NV 2009, 699 unter II. 2.) wirkt sich die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.09.2007, Rs. C-146/05 Collée, BStBl II 2009, 78) und BFH (vgl. Urteil vom 08.11.2007, Az: V R 72/05, BStBl II 2009, 55 und Urteil vom 06.12.2007, Az: V R 59/03, BStBl II 2009, 57) hinsichtlich des materiell-rechtlichen Charakters der nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a–17c UStDV a. F. erforderlichen Nachweise auch auf die strafrechtliche Beurteilung aus. Allein wegen fehlender Nachweise wird demnach eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht erfolgen können, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass eine i. g. Lieferung tatsächlich erfolgt ist (zur Ausfuhrlieferung vgl. BGH vom 19.08.2009 (Az: 1 StR 206/09, PStR 2009, 223 und vgl. § 6 Rz. 91 f.). Zur Abgrenzung aber vgl. Rz. 206 ff.
2.5.3 Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung, Wissen oder Wissenmüssen von einer solchen
2.5.3.1 Entscheidung des EuGH nach Vorabentscheidungsersuchen des BGH und Folgeentwicklungen der nationalen Rechtsprechung in Bezug auf Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung
Rz. 182
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Mit Urteil vom 07.12.2010 (Rs. C-285/09 "R", BStBl II 2011, 846; vgl. Abschn. 6a.2. Abs. 3 S. 7 UStAE) hat der EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH vom 07.07.2009 (Az: 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688; vgl. nachfolgend in der Strafsache: BGH vom 20.10.2011, Az: 1 StR 41/09, BFH/NV 2012, 366) beantwortet. Die Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage fiel dabei durchaus überraschend aus: "Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, kann der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der ihm nach dem ersten Satzteil von Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2000/65/EG des Rates vom 17.10.2000 geänderten Fassung zustehenden Befugnisse die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen." Der Generalanwalt hatte in seinem Schlussantrag vom 29.06.2010 noch auf die alleinige Erfüllung der objektiven Voraussetzungen einer i. g. Lieferung abgehoben. Gemessen daran wären die streitigen i. g. Lieferungen steuerfrei gewesen, obwohl sich der Steuerpflichtige an einem Mehrwertsteuerbetrug beteiligt hatte und hätte keine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erfolgen können.
Rz. 183
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Argumentativ hebt die Entscheidung des EuGH im Wesentlichen darauf ab, dass die Steuerbefreiung für i. g. Lieferungen unter der Voraussetzung entsprechender Nachweis...