Rz. 52
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Ein Reihengeschäft liegt vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer zum letzten Abnehmer gelangt (§ 3 Abs. 6a S. 1 UStG, bis 31.12.2019: § 3 Abs. 6 S. 5 UStG). Dabei werden i. R. d. Warenbewegung mehrere Lieferungen ausgeführt, die hinsichtlich Lieferort und Lieferzeitpunkt getrennt beurteilt werden müssen. Die Beförderung oder Versendung kann nur einer der Lieferungen zugeordnet werden (= bewegte Lieferung), die übrigen Lieferungen stellen ruhende Lieferungen dar, deren Lieferort sich nach § 3 Abs. 7 S. 2 UStG bestimmt. Die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen kommt nur für die bewegte Lieferung in Betracht (vgl. Abschn. 3.14. Abs. 2 S. 3 und Abs. 14 S. 2 UStAE [mit Beispiel] und Abschn. 6.1. Abs. 4 UStAE).
Mit Wirkung seit dem 01.01.2020 ergibt sich aus § 3 Abs. 6a S. 2 UStG, dass bei Beförderung oder Versendung durch den ersten Lieferer die Warenbewegung dessen Lieferung zuzuordnen ist. Nach § 3 Abs. 6a S. 3 UStG kommt es bei Beförderung oder Versendung durch den letzten Abnehmer zu einer Zuordnung der Warenbewegung zur Lieferung an diesen Abnehmer. Schließlich sieht § 3 Abs. 6a S. 4 UStG vor, wenn der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet wird, der zugleich Lieferer ist (Zwischenhändler), grundsätzlich die Warenbewegung der Lieferung an diesen Unternehmer zuzuordnen, wenn er nicht nachweist, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. Dieser Nachweis soll im Wege einer Fiktion durch Verwenden einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer aus dem Abgangsmitgliedstaat bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung gegenüber seinem Vorlieferanten erfolgen (§ 3 Abs. 6a S. 6 UStG).
Bis zum 31.12.2019 enthielt § 3 UStG keine vergleichbare explizite Zuordnungsregelung für die Warenbewegung. Die Finanzverwaltung stellte u. a. bei Versendung auf die Auftragserteilung an den selbstständigen Beauftragten ab und im Zweifel auf die Frachtzahlerkonditionen (vgl. Abschn. 3.14. Abs. 7–10a UStAE a. F.). Lediglich für den Fall, dass der "mittlere" Unternehmer der Lieferkette den Gegenstand der Lieferung beförderte oder versendete, regelte § 3 Abs. 6 S. 6 UStG a. F. die widerlegbare Vermutung, dass die Warenbewegung der Lieferung an ihn zuzuordnen war. Der Unternehmer konnte allerdings nachweisen, dass er die Beförderung oder Versendung in seiner Eigenschaft als Lieferer und nicht als Abnehmer der Vorlieferung getätigt hatte. Hierzu ließ es die Finanzverwaltung genügen, wenn dieser Unternehmer eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Mitgliedstaates verwendete, in dem die Beförderung oder Versendung des Gegenstands begann, und aufgrund der mit seinem Vorlieferanten und seinem Auftraggeber vereinbarten Lieferkonditionen Gefahr und Kosten der Beförderung oder Versendung übernahm, v. a. durch handelsübliche Lieferklauseln, z. B. die sog. Incoterms (vgl. Abschn. 3.14. Abs. 9 und 10 UStAE a. F.).
Rz. 53
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Zur grundsätzlichen Behandlung des Reihengeschäfts aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 06.04.2006 (Rs. C-245/04, EMAG Handel Eder OHG/Österreich, DStR 2006, 699) geäußert. Die nach nationalem deutschen Umsatzsteuerrecht geltende Rechtslage für die Bestimmung des Ortes innerhalb des Reihengeschäfts (§ 3 Abs. 6 S. 5, Abs. 7 S. 2 UStG a. F.) wurde dabei für den vergleichbaren Fall einer i. g. Lieferung bestätigt. Die Steuerbefreiung kommt demnach ausschließlich für die bewegte Lieferung in Betracht (Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-RL). Offen geblieben war in dieser Entscheidung die Frage nach der Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen im Reihengeschäft (Bestimmung der bewegten Lieferung).
Rz. 54
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Über die Zuordnung der Warenbewegung (Bestimmung der bewegten Lieferung) zu einer der Lieferungen im Reihengeschäft – insbesondere zu Fällen der Beförderung oder Versendung durch den "mittleren" Unternehmer der Lieferkette – hat der EuGH mit Urteil vom 16.12.2010, Rs. C-430/09 "Euro Tyre Holding", DStR 2011, 23 sowie mit Urteil vom 27.09.2012, Rs. C-587/10 "VSTR", DStR 2012, 2014, entschieden. Nach der Lösung des Gerichts sei eine "eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls" vorzunehmen.
Zu den sich daraus ergebenden Folgerungen sowie der Folgerechtsprechung des BFH vgl. die Kommentierung zu § 6a Rz. 36 ff. Mit Wirkung zum 01.01.2020 wurde in der Folge die MwStSystRL geändert und ein neuer Art. 36a MwStSystRL geschaffen. Dieser regelt allerdings lediglich explizit im grenzüberschreitenden Reihengeschäft mit Beginn und Ende der Warenbewegung in unterschiedlichen Mitgliedstaaten und Beförderung oder Versendung durch den mittleren Unternehmer (sog. Zwischenhändler) die Zuordnung der Warenbewegung. Für weitere Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu §...