Rz. 121
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG ist die Übernahme von Verbindlichkeiten steuerfrei, soweit hierin nicht lediglich eine nicht steuerbare Entgeltszahlung zu sehen ist (vgl. Abschn. 1.1. Abs. 3, Abschn. 4.8.11. UStAE). Die Steuerbefreiung bezieht sich auf Finanzdienstleistungen (vgl. EuGH vom 19.04.2007, C-455/05, Velvet & Steel Immobilien, Rn. 21; BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 12; FG Münster vom 04.12.2018, 5 K 2889/16 U, Rn. 29). Hierzu gehört beispielsweise nicht die Übernahme der Verpflichtung, eine Immobilie zu renovieren, da es sich der Art nach nicht um ein Finanzgeschäft handelt (vgl. EuGH vom 19.04.2007, C-455/05, Velvet & Steel Immobilien, Rn. 23; BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 12; FG Münster vom 04.12.2018, 5 K 2889/16 U, Rn. 29; Abschn. 4.8.11. S. 2 UStAE). Der Begriff der "Übernahme von Verbindlichkeiten" i. S. d. der Befreiungsnorm schließt somit andere als Geldverbindlichkeiten aus (vgl. EuGH vom 19.04.2007, C-455/05, Velvet & Steel Immobilien, Rn. 26; BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 12; FG Münster vom 04.12.2018, 5 K 2889/16 U, Rn. 29). Als zu übernehmende Verbindlichkeiten kommen z. B. Kreditschulden, Schulden aus Liefer- oder Dienstleistungsgeschäften, Renten- und Pensionsverpflichtungen (z. B. im Rahmen von Verschmelzungen oder Unternehmenskäufen bzw. "M&A-Transaktionen"), Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen oder auch Geldverbindlichkeiten aus Pflichtverletzungen (Schadensersatz in Geld) etc. in Betracht.
Rz. 122
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Zwar ist die Befreiung eng auszulegen (vgl. EuGH vom 22.10.2009, C-242/08, Swiss Re Germany Holding GmbH, Rn. 44; BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 13; FG Münster vom 04.12.2018, 5 K 2889/16 U, Rn. 30). Dennoch ist auch bei der gebotenen engen Auslegung nicht nur die Übernahme einer bereits bestehenden, sondern auch die erstmalige Eingehung einer Verbindlichkeit steuerfrei (vgl. BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 16; FG Münster vom 04.12.2018, 5 K 2889/16 U, Rn. 27, 30–32). Steuerfrei ist z. B. auch die Übernahme von Einlagen bei der Zusammenlegung von Kreditinstituten (vgl. Abschn. 4.8.11. S. 3 UStAE).
Rz. 123
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die Übernahme von Verbindlichkeiten erfolgt zivilrechtlich regelmäßig im Wege der befreienden Schuldübernahme (vgl. §§ 414ff. BGB) oder des Schuldbeitritts (vgl. § 311 Abs. 1 BGB). Im Falle des Schuldbeitritts kommt es im Ergebnis zu einer Art freiwilliger Gesamtschuldnerschaft (vgl. § 421 BGB).
Rz. 124
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Erhält der Leistende für die Verpflichtung zur Eingehung eines Mietverhältnisses eine Zahlung in Höhe der von ihm aus dem Mietverhältnis insgesamt geschuldeten Nettomieten, liegt sein Vorteil bei wirtschaftlicher Betrachtung darin, dass er zwar über die Laufzeit des Vertrages Mieten zu zahlen hat, die Gesamtsumme dieser Nettomieten jedoch bereits bei Vertragsschluss für die Übernahme der Mietverpflichtung erhält. Wirtschaftlich betrachtet erlangt er damit nur einen Zinsvorteil aus seiner Leistung (vgl. BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 17). Damit hat das Hin- und Herbewegen von Kapital den Charakter eines Finanzgeschäfts, womit Gegenstand der erbrachten Leistung nicht die entgeltlich übernommene Verpflichtung zur Eingehung eines Mietverhältnisses ist, sondern die hiervon gesondert eingegangene Verpflichtung, sich als Mieter zu Geldzahlungen zu verpflichten (vgl. BFH vom 30.11.2016, V R 18/16, BFHE 255, 572, Rn. 18).
Rz. 125
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die entgeltliche Übertragung eines Bestands von Lebensrückversicherungsverträgen auf ein Versicherungsunternehmen, durch die dieses Unternehmen alle Rechte und Pflichten aus diesen Verträgen mit Zustimmung der Versicherungsnehmer übernommen hat, stellt keinen Umsatz dar, der teils aus steuerfreien Umsätzen im Geschäft mit Forderungen i. S. v. § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG und teils aus der steuerfreien Übernahme von Verbindlichkeiten i. S. v. § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG besteht. Denn bei der Übertragung eines Bestands von Lebensrückversicherungsverträgen handelt es sich nicht um Finanzgeschäfte i. S. d. Befreiungen (vgl. EuGH vom 22.10.2009, C-242/08, Swiss Re Germany Holding GmbH, Rn. 47 f., 50; vgl. zudem allgemein Rz. 121 ff.). Es handelt sich vielmehr um eine einheitliche und mangels einschlägiger Befreiung steuerpflichtige Leistung, die nicht künstlich in zwei Leistungen, nämlich die Übernahme von Verbindlichkeiten (hinsichtlich der Pflichten aus den Verträgen) und Umsätze im Geschäft mit Forderungen (hinsichtlich der Rechte aus den Verträgen) aufgespalten werden kann (EuGH vom 22.10.2009, C-242/08, Swiss Re Germany Holding GmbH, Rn. 52). Eine "synergetische Befreiung", bestehend aus der Kombination der beiden Befreiungsnormen, scheidet daher im Falle der Übertragung eines Vertragsbestands aus.