Rz. 162
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Umstritten war lange Zeit der Zeitpunkt, auf den eine Rechnungsberichtigung wirkt. Nach § 15 Abs. 1. S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass der Unternehmer im Besitz einer Rechnung ist, die den Vorgaben der §§ 14, 14a UStG entspricht. Enthält eine Rechnung Fehler, ist diese Voraussetzung unzweifelhaft nicht erfüllt, ein Vorsteuerabzug scheidet zunächst aus (vgl. auch Abschn. 15.2a. Abs. 7 UStAE; zu Fragen des Vertrauensschutzes nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO i. Z. m. der Rechtslage zum Vorsteuerabzug vor Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BFH vom 02.04.1998, Az: V R 34/97, BStBl II 1998, 695; vgl. BFH vom 25.04.2013, Az: V R 2/13, BStBl II 2013, 844). Der Leistungsempfänger hat einen Anspruch auf Berichtigung. Kommt der Rechnungsaussteller dem nach, kann der Leistungsempfänger in dem Moment, in dem die berichtigte Rechnung bei ihm vorliegt, den Vorsteuerabzug vornehmen. Dieser Beurteilung wird durch die Entscheidung des EuGH vom 29.04.2004 (Rs. C-152/02, Terra Baubedarf-Handel, DStRE 2004, 830; vgl. auch die nachgehende Entscheidung des BFH vom 01.07.2004, Az: V R 33/01, BStBl II 2004, 861; ebenso BFH vom 24.08.2006, Az: V R 16/05, BStBl II 2007, 340 unter II. 3. c; vgl. auch BT-Drucks. 15/1562, 50 – "Der Vorsteuerabzug kann somit erst mit dem Zugang einer vollständigen oder berichtigten Rechnung geltend gemacht werden") gestützt. Dennoch wird im Fachschrifttum teilweise gefordert, die Berichtigung sollte "Rückwirkung" entwickeln können (vgl. z. B. Wagner, DStR 2004, 477 [480] – Vereinfachung/Grundsatz des Sofortabzugs/keine Gefährdung des Steueraufkommens, wenn lediglich einzelne Angaben berichtigt werden müssen).
Rz. 163
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Mit Urteil vom 15.07.2010 (Rs. C-368/09, Pannon Gép, BFH/NV 2010, 1762) hat der EuGH über einen Fall der Vorsteuerabzugsberechtigung bei Rechnungsberichtigung entschieden. Ein Bauunternehmen hatte Leistungen durch ein Subunternehmen bezogen. Aus den Rechnungen des Subunternehmens (Dezember 2007) wurde Vorsteuerabzug beansprucht. Im Jahr 2008 stellte sich heraus, dass diese Rechnungen ein falsches Leistungsdatum enthielten. Daraufhin stornierte das Subunternehmen im September 2008 seine falschen Rechnungen mittels Gutschriften und erteilte berichtigte Rechnungen, wobei für die Gutschriften und berichtigten Rechnungen unterschiedliche Nummernkreise verwendet wurden. Die Finanzverwaltung forderte im Januar 2009 die Vorsteuer zurück, obgleich zu diesem Zeitpunkt die berichtigten Rechnungen bereits vorlagen. Die berichtigten Rechnungen beurteilte sie als nicht zum Vorsteuerabzug berechtigend, da diese keine einheitlichen fortlaufenden Nummern mit den Gutschriften aufwiesen. Nach der Beurteilung des EuGH steht dem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug zu, wenn die materiellen und formellen Voraussetzungen erfüllt sind und in Fällen wie dem zu entscheidenden die berichtigten Rechnungen der Behörde vor ihrer Entscheidung zugeleitet werden (Bezug nehmend darauf vgl. EuGH vom 08.05.2013, Rs. C-271/12, Petroma, UR 2013, 591, für den Fall einer verspäteten Zuleitung der Berichtigung; Ablehnung Rückwirkung im entschiedenen Sonderfall). Die enge Auslegung der fortlaufenden Nummerierung nach dem im Streitfall ungarischen Recht ist nicht gemeinschaftsrechtskonform.
Rz. 164
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Die Entscheidung des EuGH wirft Fragen hinsichtlich des Zeitpunkts des Vorsteuerabzugs in Fällen der Rechnungsberichtigung auf. Zwar hat sich der EuGH konkret dazu nicht geäußert, insbesondere nimmt er keinen Bezug auf die Rs. C-162/02, Terra Baubedarf (a. a. O.), der Sachverhalt spricht jedoch dafür, dass der EuGH dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug unter den beschriebenen Bedingungen im Dezember 2007 belassen hat. Nach derzeitiger Auslegung durch die deutsche Finanzverwaltung und auch des BFH hätte im Urteilsfall der Vorsteuerabzug hingegen erst im September 2008 erfolgen dürfen, da der Steuerpflichtige erst zu diesem Zeitpunkt im Besitz von zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen war. Umstritten ist derzeit die Frage, ob sich aus der Entscheidung des EuGH ableiten lässt, dass eine Rechnungsberichtigung generell Rückwirkung entfaltet und damit entgegen der bisherigen Behandlung der Vorsteuerabzug im ursprünglichen Abzugszeitraum erhalten bleibt. Die Frage ist insbesondere wegen der Verzinsung nach § 233a AO von erheblicher Bedeutung.
Rz. 165
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Nach Auffassung der Verwaltung ergeben sich durch das Urteil des EuGH keine Auswirkungen auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Rechnungsberichtigung und bleibt die bisherige Rechtslage unverändert bestehen (vgl. BMF vom 16.03.2011, Az: IV D 2 – S 7500/0 :003, unter 3.; vgl. FinMin Brandenburg vom 09.03.2011, Az: 31 – S 7300 – 3/10, UR 2011, 522; OFD Magdeburg vom 03.03.2014, S 7300 – 123 – St 244, SIS 140837 – zum Ruhen des Verfahrens und AdV).
Rz. 166
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Im Schrifttum finden sich zur Auslegung des EuGH-Urteils unterschiedlich...