Viktor Emanuel Gottschlich
Rz. 8
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die umsatzsteuerliche Beurteilung von Lieferungen ("supply of goods") im Vereinigten Königreich hat sich seit dem Brexit verkompliziert. Das Vereinigte Königreich hat neue Sonderregelungen für grenzüberschreitende Lieferungen getroffen, bspw. bei der Beteiligung von sog. Online-Marktplätzen und bei Sendungen mit einem Nettowarenwert von bis zu 135 GBP. Hinsichtlich grenzüberschreitender Warenlieferungen aus der EU in das Vereinigte Königreich bestehen wegen des Brexits faktisch zwei verschiedene umsatzsteuerliche Systeme. Alle Lieferungen aus der EU nach Großbritannien und umgekehrt stellen Einfuhr- bzw. Ausfuhrsachverhalte dar. Innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe zwischen Großbritannien und der EU sind nicht mehr möglich. Aufgrund des Nordirlandprotokolls findet bei Lieferungen zwischen Nordirland und der EU weiterhin EU-Recht Anwendung. Insoweit sind i. g. Lieferungen und Erwerbe zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich trotz Brexits weiterhin möglich.
3.1 Lieferungen innerhalb des Vereinigten Königreichs
Rz. 9
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Ort der Lieferung ist grundsätzlich im Vereinigten Königreich, wenn sich die gelieferten Gegenstände im Vereinigten Königreich befinden und dieses nicht verlassen, vgl. VATA 1994, Section 7(2) oder wenn die gelieferten Gegenstände das Vereinigte Königreich während des Transports verlassen und wieder in dieses gelangen, vgl. VATA 1994, Section 7(8). Einen Sonderfall stellen Lieferungen zwischen Nordirland und Großbritannien dar. Lieferungen aus Großbritannien nach Nordirland werden als Ausfuhrlieferungen in Großbritannien und als Einfuhrlieferungen in Nordirland behandelt und umgekehrt. Im Ergebnis werden solche Lieferungen wie normale Inlandslieferungen abgewickelt, da entweder Einfuhrumsatzsteuer wie Umsatzsteuer in Rechnung gestellt und abgeführt wird oder keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben wird, vgl. VATA 1994, Schedule 9ZB, Paragraphs 3, 4, 10.
3.2 Lieferungen außerhalb des Vereinigten Königreichs
Rz. 10
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Ort der Lieferung ist grundsätzlich außerhalb des Vereinigten Königreichs, wenn sich die gelieferten Gegenstände außerhalb des Vereinigten Königreich befinden und nicht in dieses gelangen, vgl. VATA 1994, Section 7(2). Dies betrifft auch Lieferungen, wenn sie auf hoher See erfolgen und die gelieferten Gegenstände anschließend durch den Empfänger der Lieferung in das Vereinigte Königreich eingeführt werden.
3.3 Grenzüberschreitende Lieferungen
Rz. 11
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Der Ort der Lieferung ist grundsätzlich im Vereinigten Königreich, wenn die gelieferten Gegenstände das Vereinigten Königreich verlassen, ohne dass sie zuvor i. R. d. Lieferung in das Vereinigte Königreich gelangt sind, vgl. VATA 1994, Section 7(7)(a).
Rz. 12
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Ort der Lieferung ist ebenso grundsätzlich im Vereinigten Königreich, wenn Gegenstände durch oder auf Anweisung des liefernden Unternehmers in das Vereinigte Königreich eingeführt werden ("imported"), vgl. VATA 1994, Section 7(6). Im Zusammenhang mit dieser Regelung ist von besonderer praktischer Relevanz, wer Warensendungen mit einem Nettowarenwert von mehr als 135 GBP einführt. Denn wenn der liefernde Unternehmer die Gegenstände einführt, ist der Ort der Lieferung im Vereinigten Königreich und er muss sich zur Umsatzsteuer registrieren. Wenn der Empfänger die Gegenstände einführt, ist der Ort der Lieferung außerhalb des Vereinigten Königreichs, weil die Gegenstände i. R. d. Lieferung in einem übrigen Fall ("any other case") in das Vereinigte Königreich gelangen, vgl. VATA 1994, Section 7(7)(b).
Rz. 13
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Seit dem Ende der Brexit-Übergangsphase am 01.01.2021 gelten EU-weite Regelungen zu grenzüberschreitenden Lieferungen nicht mehr für Lieferungen zwischen Großbritannien und EU-Mitgliedstaaten. Insoweit behandelt das britische Umsatzsteuerrecht grenzüberschreitende Lieferungen zwischen Großbritannien und allen anderen Staaten gleich, unabhängig davon, ob sie Mitglied der EU sind oder nicht. Die vorgenannten Regelungen können durch Sonderregelungen verdrängt werden.
3.4 Sonderfall Nordirland
Rz. 14
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Auch nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase am 01.01.2021 wird Nordirland für umsatzsteuerliche Zwecke hinsichtlich Lieferungen als Teil der EU behandelt. Ist ein Unternehmer im Vereinigten Königreich zur Umsatzsteuer registriert und betreibt er in Nordirland Handel i. R. d. Nordirlandprotokolls, muss er dies der britischen Finanzbehörde HMRC anzeigen und diese wird ihn als einen solchen Unternehmer identifizieren. Der Unternehmer ist dann verpflichtet, seine USt-IdNr. mit dem Länderpräfix "XI" zu verwenden, wenn er i. R. d. Nordirlandprotokolls agiert und Handel betreibt.
3.4.1 Innergemeinschaftliche Lieferungen, Erwerbe und Dreiecksgeschäfte
Rz. 15
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
EU-weite Regelungen zu i. g. Lieferungen und Erwerben gelten für Lieferungen zwischen Nordirland und der EU fort. Aus nordirischer Sicht handelt es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung, wenn
- ein Unternehmer seine USt-IdNr. mit dem Länderpräfix "XI" nutzt,
- er Waren aus Nordirland in einen EU-Mitgliedstaat liefert und
- der Empfänger seine USt-IdNr. mit dem Länd...