Rz. 125

Stand: 6. A. – ET: 07/2024

Die Gesetzesänderung dient primär der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, die infolge der damals neuen und unerwarteten Rechtsprechung von EuGH und BFH entstanden sind (vgl. dazu insbesondere das EuGH-Urteil vom 27.09.2012, Rs. C- 587/10, VSTR, BFH/NV 2012, 1919 sowie die BFH-Urteile vom 28.05.2013, XI R 11/09, BStBl II 2023, 537, vom 25.02.2015, XI R 15/14, BStBl II 2023, 514 und vom 25.02.2015, XI R 30/13, BStBl II 2023, 511). Diese damals neue Rechtsprechung zur Zuordnung der Warenbewegung im Abholfall veranlasste europaweit die Finanzverwaltungen zu neuen Prüfungsansätzen:

 

Beispiel (Echtfall aus der Beratung):

Unternehmer D aus Dortmund beliefert den niederländischen Unternehmenskunden NL1 schon seit Jahren steuerfrei i. g. Dies mit gutem Gewissen; die bekannten formalen Voraussetzungen der §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV werden von D peinlichst genau erfüllt.

Zwischen D und NL1 sind Abhollieferungen vereinbart. Voraussetzung hierfür ist immer die vorherige vollständige Bezahlung der Ware. Erst dann, wenn die Debitorenbuchhaltung den vollständigen Geldeingang bestätigt, wird die Ware übergeben – sprich: umsatzsteuerlich geliefert.

In Abholfällen wurde bis zum 31.12.2019 üblicherweise nur

  • geprüft, ob eine gültige USt-IdNr. des Kunden vorliegt, und
  • der Abholende zur Unterzeichnung der Abnehmerversicherung veranlasst.

Dabei wurde insbesondere nicht geprüft, von wem das Geld überwiesen wurde.

 

Im Echtfall

... interessierte aber vollkommen unerwartet gerade Letzteres den Betriebsprüfer! Dabei stellte der Prüfer fest, dass die Zahlung von einem fremden Dritten (NL2) kam.

Nach Anwendung der neuen Rechtsprechung sollte die Steuerbefreiung einer i. g. Lieferung in Abholfällen von dem weiteren – ungeschriebenen – Tatbestandsmerkmal abhängig sein, dass die Verfügungsmacht an der Ware im Ursprungsland vom Kunden nicht auf einen Dritten übertragen wird.

 

Im Echtfall

... unterstellte die Finanzverwaltung einen mit der vorherigen Bezahlung einhergehenden Übergang der Verfügungsmacht auf NL2. Damit war nach der Rechtsprechung die Lieferung von D → NL eine ruhende, die einer bewegten vorangeht – also zwingend umsatzsteuerpflichtig.

In der Praxis führte dies dazu, dass der Verkäufer im Abholfall bei Vertragsschluss vom Kunden verlangen musste, sich zur Frage des Übergangs der Verfügungsmacht auf den eigenen Kunden – also den "Kunden vom Kunden" – eindeutig zu positionieren. Ein Unding, das die Mitgliedstaaten durch den neuen Art. 36a MwStSystRL wieder beseitigen wollten. In Umsetzung der neuen EU-Vorgabe wurden in Deutschland in § 3 Abs. 6 UStG die Sätze 5 und 6 gestrichen und ein neuer § 3 Abs. 6a UStG angefügt.

 

HINWEIS

Die Neuregelung von MwStSystRL und UStG soll also

  • ein Problem beseitigen, das sich vollkommen unerwartet aus der Rechtsprechung von EuGH und BFH ergab, und
  • die Rechtslage herbeiführen, von der die Finanzverwaltung und die Unternehmer immer und wie selbstverständlich ausgegangen sind – die aber rein rechtlich nicht gegeben war,

vgl. Weimann, Umsatzsteuer auf den Export und Import von Waren / Praxisleitfaden für Einkauf und Verkauf, a. a. O., Kap. 24.1; Weimann, a. a. O. = Teil 1 = PIStB 2023, 210, Abschn. 1.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Weimann, Umsatzsteuer - national und international (Schäffer-Poeschel) enthalten. Sie wollen mehr?