Rüdiger Weimann, Robert C. Prätzler
Rz. 36
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Abschließend ist auf die Problematik der Steuerhinterziehung beim Verschweigen einer abweichenden Rechtsauffassung hinzuweisen. Vermehrt wurde nach den damaligen Vorsteuerausschlüssen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (vgl. dazu Weimann/Raudszus, INF 1999, 261) den Beratern im Fachschrifttum empfohlen, zu Gunsten des Mandanten direkt die aus der 6. EG-RL gewonnene Auslegungserkenntnis anzuwenden und auf die Abweichungen zu § 15 UStG nicht ausdrücklich hinzuweisen – ein fataler Fehler. Der BGH hat nämlich darauf erkannt, dass der Steuerbürger auch bei einer abweichenden (vertretbaren) Rechtsauffassung dazu verpflichtet ist, alle steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollständig vorzutragen und es dem Finanzamt dadurch zu ermöglichen, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen (BGH, Urteil vom 10.11.1999, Az: 5 StR 221/99, www.hrr-strafrecht.de). Auch für Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist, besteht eine Offenbarungspflicht; ansonsten sind die Angaben i. S. v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO "unvollständig". Der vorsichtige Steuerberater sollte daher fortan bei auch nur möglicherweise strittigen Rechtsfragen gegenüber der Finanzverwaltung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht möglichst viel vortragen, um sich abzusichern und sich so der Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen zu entziehen. Voraussetzung für die Rechtsanwendung ist in jedem Fall eine umfassende, breit angelegte Kenntnis nicht nur der aktuellen Rechtsprechung, sondern auch der finanzbehördlichen RL und deren Umsetzung in den vorgelegten Erklärungen, gleichermaßen die Berücksichtigung der momentanen Veranlagungspraxis der Finanzverwaltung. Jede Abweichung hiervon birgt künftig bereits die Gefahr strafrechtlicher Vorwürfe. Dies gilt zumindest für Berufsangehörige; der Steuerpflichtige selbst wird sich mit dem Hinweis auf die an den Steuerberater vorgenommene Delegation steuerlicher Obliegenheiten vor dem Vorwurf der Steuerhinterziehung schützen können (Weimann, UStB 2007, 301).