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In Fortführung seiner Rechtsprechung hat der BFH weiter entschieden, dass auch bei Nichtausführung der Leistung trotz vereinnahmter Anzahlung eine Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG erst möglich ist, wenn die vereinnahmte Anzahlung zurückgewährt wird (vgl. BFH vom 02.09.2010, Az: V R 34/09, BStBl II 2011, 991 und vom 15.09.2011, Az: V R 36/09, BStBl II 2012, 365, Abschn. 17.1. Abs. 7 S. 3 und Abs. 8 S. 5 UStAE). Behält der Leistungsempfänger das vorab vereinnahmte Entgelt, bleibt es somit bei der Steuerbelastung (vgl. BFH vom 15.09.2011, Az: V R 36/09, BStBl II 2012, 365 zur Besteuerung gebuchter, aber nicht angetretener Flugreisen). Dies ist nicht unproblematisch, da die reine Anzahlung keinen Leistungsaustausch und mithin keine steuerbare Leistung begründet (kritisch auch Grünwald DStR 2012, 998). Vertragsstrafen wegen Nichterfüllung oder wegen nicht gehöriger Erfüllung sind als echter Schadensersatz mangels Leistungsaustausch gerade nicht steuerbar (vgl. Abschn. 1.3. Abs. 3 UStAE; vgl. auch BFH vom 26.06.2021, Az: V R 13/19, UR 2022, 50).
Andererseits wurde die Leistung, d. h. der Flug, durch die Fluggesellschaft, in dem der Entscheidung des BFH vom 15.09.2011 zugrundeliegendem Fall erbracht, nur wurde sie eben nicht vom Leistungsempfänger in Anspruch genommen (bei nicht genutzten Fahrkarten und Eintrittskarten ist die Problemlage ähnlich). In diesem Sinn hat auch der EuGH in seinem Urteil vom 23.12.2015 (Rs. C-289/14, DStR 2016, 11) entschieden. Die Fluggesellschaften würden ihre Leistung bereits erbringen, sobald sie den Fluggast in die Lage versetzen, die betreffende Leistung in Anspruch zu nehmen. Der einbehaltene Preis sei damit keine mehrwertsteuerfreie Entschädigung. Zugleich hält es der EuGH – nicht ganz stringent – auch für möglich, dass ein Fall der Anzahlung vor Erbringung der Dienstleistung vorliegen könne (vgl. auch Grube, MwStR 2016, 202). Bedauerlich ist in diesem Kontext, dass der EuGH sich nicht mit seinem Urteil vom 18.07.2007 (Rs. C-277/05, Société thermale d’Eugénie-les-Bains, UR 2007, 643) auseinandersetzte, in welchem er die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als "Angeld" geleisteten und einbehaltenen Beträge als pauschalisierte Entschädigung und mithin als nicht mehrwertsteuerpflichtig einordnete (vgl. Abschn. 12.16. Abs. 6 UStAE sowie Abschn. 25.1. Abs. 14 UStAE in Bezug auf Stornogebühren bei Rücktritt von einer Reise vor Reisebeginn; vgl. auch Grambeck, NWB 2020, 1532).
Entscheidender Unterschied könnte sein, ob der Kunde rechtzeitig vor dem eigentlich vorgesehenen Leistungszeitpunkt storniert oder ob der Kunde ohne Stornoerklärung die erbrachte Leistung lediglich nicht in Anspruch genommen hat. Bestünde demnach bei rechtzeitiger Stornierung eine echter Schadensersatzanspruch des Unternehmers, dann könnte er diesen mit dem Anspruch des Kunden auf Rückzahlung seiner Anzahlung aufrechnen. Einer Berichtigung nach § 17 UStG stünde dabei nicht die fehlende Rückgewähr der Anzahlung entgegen, denn die Anzahlung wurde lediglich im vereinfachten Zahlungswege verrechnet (vgl. auch Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 27.05.2016, Az: 4 K 20/13, DStRE 2016, 1457, zur Verrechnung von Anzahlungen mit echten Schadensersatzansprüchen nach § 103 InsO).
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Der EuGH entschied darüber hinaus mit Urteil vom 13.03.2014 (Rs. C-107/13, FIRIN, UR 2014, 705; vgl. dazu Hundt-Eßwein, DStR 2014, 1266; Wäger, UVR 2014, 318), dass der Vorsteuerabzug für eine Anzahlung rückgängig gemacht werden muss, wenn die Leistung nicht erbracht wird, auch wenn die Anzahlung nicht zurückgezahlt wird, wenn der Anzahlende hätte wissen müssen, dass der Eintritt des Steuertatbestandes zum Zeitpunkt der Anzahlung insbesondere wegen Betrugs unsicher ist. Daran anknüpfend entschied der EuGH mit Urteil vom 31.05.2018 (Rs. C-660/16 und 661/16, Kollroß und Wirtl, UR 2018, 519 = MwStR 2018, 632 mit Anm. Korf und Reiß, MwStR 2018, 643), dass der Vorsteuerabzug aus Anzahlungen dagegen nicht versagt werden darf, wenn der Anzahlende von der Absicht des Leistenden, den Vertrag nicht zu erfüllen, nichts wusste und nichts wissen konnte.
Der BFH (Urteile vom 05.12.2018, Az: XI R 44/14, MwStR 2019, 419 mit Anm. Reiß und Mayer, MWStR 2019, 302 und 400 und vom 17.07.2019, Az: V R 9/19, MwStR 2019, 959 mit Anm. Mayer) bejahte daraufhin das Recht zum Vorsteuerabzug auf Anzahlungen, selbst wenn die Leistung endgültig nicht erfolgt und der betrügerische Anzahlungsempfänger dies von vornherein so beabsichtigte, sofern der Anzahlende dies nicht wusste und auch nicht wissen konnte. Er legte zudem das deutsche Umsatzsteuerrecht "unionsrechtskonform" dahingehend aus, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus Anzahlungen nur zu erfolgen hat, wenn dem betrogenen Anzahlungsempfänger die Anzahlung zurückgewährt wurde (vgl. hierzu auch Reiß, MwStR 2020, 63).
Vgl. hierzu ausführlich auch Rn. 136 ff.
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Die dargelegte Rechtsprechung verhindert, dass der ...