Viktor Emanuel Gottschlich
Rz. 64
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der Anwendungsbereich des inländischen Reverse-Charge-Verfahrens wurde am 01.03.2021 auf Bauleistungen ("construction services") erweitert und umfasst bspw.:
- Errichtung, Umbau, Reparatur, Erweiterung oder Abriss von Gebäuden, Bauwerken oder Anlagen ("works"), die Teil des Grundstücks sind oder werden sollen,
- Leistungen, die integraler Bestandteil der vorgenannten Leistungen sind oder diese vorbereiten oder fertigstellen, vgl. VATA 1994, Section 55A, Paragraph 9, SI 2019/892, Article 5.
Rz. 65
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Bestimmte Leistungen wie bspw. Öl- oder Gasbohrungen sind ausdrücklich keine Bauleistungen, vgl. SI 2019/892, Article 6. Besteht die Leistung allein in der Überlassung von Arbeitnehmern ohne Ausführungsverantwortung, liegt ebenfalls keine Bauleistung vor. Ausgenommene Leistungen, auf die das inländischen Reverse-Charge-Verfahren keine Anwendung findet, sind u. a. Bauleistungen an Endkunden, vgl. VATA, Section 55A, Paragraph 10, SI 2019/892, Articles 3(2), 8(1)(b)(i). Ein Endkunde ("end user") ist der letzte Kunde in der Kette. Privatkunden sind keine Endkunden in diesem Sinne und sie haben insoweit keine besonderen Pflichten, vgl. Rz. 68, weil sie schon die Lieferung oder Leistung nicht für unternehmerische Zwecke empfangen.
Rz. 66
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach Auffassung von HMRC findet das inländische Reverse-Charge-Verfahren auf Bauleistungen wohl stets Anwendung, wenn
- der leistende Unternehmer eine steuerpflichtige Person ist,
- die Leistungen unter das sog. Construction Industry Scheme (nachfolgend CIS) fallen,
- die Leistungen dem Regel- oder ermäßigten Steuersatz unterliegen,
- der Empfänger eine steuerpflichtige Person ist und zum CIS registriert ist und
- der Empfänger nicht bestätigt hat, dass er ein Endkunde ist.
HMRC setzt Bauoperationen i. S. d. CIS und Bauleistungen i. S. d. vorgenannten Vorschriften aufgrund des nahezu gleichen Wortlauts in FA 2004, Section 74(2), (3) und in SI 2019/892, Articles 5, 6 gleich. Jedoch führt ein Durchgriff des CIS auf die Umsatzsteuer in bestimmten Fällen dazu, dass das inländische Reverse-Charge-Verfahren auch dann greift, wenn der Ort der Leistung außerhalb des Vereinigten Königreichs liegt und an sich keine steuerbare Leistung im Vereinigten Königreich vorliegt.
Ein deutsches Unternehmen D montiert für ein französisches Unternehmen F eine Ladentheke in einer Bäckerei im Vereinigten Königreich. Die Ladentheke wird von F gestellt und sie wird mit dem Boden lediglich verschraubt. D und F sind im Vereinigten Königreich zur Umsatzsteuer und zum CIS registriert. F hat nicht bestätigt, dass er ein Endkunde ist.
Lösung:
Die Leistung unterliegt m. E. nicht der britischen Umsatzsteuer, weil der Ort der Leistung nach der Grundregel am Ansässigkeitsort des F in Frankreich liegt. Es besteht kein Grundstücksbezug, weil die Theke leicht demontiert werden kann.
HMRC vertritt aber wohl die Ansicht, dass das inländische Reverse-Charge-Verfahren und damit britisches Umsatzsteuerrecht dennoch Anwendung findet. Denn die Installation von nicht frei stehender ("freestanding") Ladeneinrichtung ("shop fittings") fällt nach Ansicht von HMRC unter das CIS und die weiteren von HMRC genannten Voraussetzungen sind ebenfalls erfüllt.
Rz. 67
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Werklieferungen liegen m. E. nie im Anwendungsbereich des inländischen Reverse-Charge-Verfahrens, weil es sich hierbei um Lieferungen handelt, vgl. VATA 1994, Section 7(1), (3), ausdrücklich nur sonstige Leistungen ("services") geregelt werden, vgl. SI 2019/892, Article 3(1), und ausdrücklich nur Bauleistungen zusammen mit Materiallieferungen gemeint sind, die als einheitliche sonstige Leistung zu behandeln sind ("single supply of services"), vgl. SI 2019/892, Article 4. HMRC ist wohl derselben Ansicht. Denn auch wenn HMRC mal von sonstigen Leistungen ("services") und mal allgemein von Umsätzen ("supply") spricht, meint HMRC wohl stets nur sonstige Leistungen.