8.6.1 Allgemeines
Rz. 108
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG gilt § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen i. g. Erwerb uneinbringlich geworden ist. Sinngemäße Anwendung bedeutet, dass der leistende Unternehmer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 1 UStG berechtigt/verpflichtet ist, die für die Leistung entstandene USt zu berichtigen, sprich vom FA zurückzufordern. Im Unterschied zu den Fällen der Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG, hat sich bei Uneinbringlichkeit einer Forderung an der Bemessungsgrundlage der erbrachten Leistung als solcher nichts geändert, lediglich das Entgelt kann durch den leistenden Unternehmer nicht realisiert werden.
Rz. 109
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Unterliegt der leistende Unternehmer der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 Abs. 1 UStG/Istversteuerung), entsteht die USt für von ihm ausgeführte Leistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG erst mit Ablauf des VZs, in dem das Entgelt vereinnahmt wird. Wird das Entgelt für eine Leistung uneinbringlich, ergibt sich daher kein weiterer Handlungsbedarf, da USt noch nicht entstanden ist.
Allerdings ist unter Zugrundelegung der bisherigen Verwaltungsauffassung bei vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfängern eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges erforderlich. Nach Abschn. 15.2. Abs. 2 S. 8 UStAE unterliegt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG dem Sollprinzip. Der Leistungsempfänger ist demnach bereits dann zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn eine Leistung an ihn ausgeführt wurde und er im Besitz einer Rechnung i. S. d. § 14 UStG mit offen ausgewiesener USt ist. Insofern erlangt der Leistungsempfänger einen wirtschaftlichen Vorteil, da er vom Fiskus bereits die Erstattung der Vorsteuer beanspruchen kann, bevor er seinerseits durch Bezahlung der zugrundeliegenden Rechnung tatsächlich wirtschaftlich belastet wird. Steht fest, dass der Leistungsempfänger die Rechnung nicht bezahlen wird, ist er über § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 2 UStG verpflichtet, die bereits beanspruchte Vorsteuer zu berichtigen. Es entsteht ein Rückforderungsanspruch des Fiskus. Der Zeitpunkt der Berichtigung ist nicht erst dann anzunehmen, wenn der Leistungsempfänger aufgrund schlechter wirtschaftlicher Situation bereits verpflichtet ist Insolvenzantrag zu stellen. Ergibt sich aus den Gesamtumständen, insbesondere aus einem längeren Zeitablauf nach Eingehung der Verbindlichkeit, dass der Leistungsempfänger der Zahlungsverpflichtung nicht mehr nachkommen wird, tritt die Berichtigungspflicht ein (vgl. Abschn. 17.1. Abs. 5 S. 11 UStAE). Der Vorsteuerrückforderungsanspruch des FA entsteht mit Ablauf des VZs, in dem die Uneinbringlichkeit eingetreten ist (BFH vom 08.10.1997, Az: XI R 25/97, BStBl II 1998, 69).
Mit Urteil vom 10.2.2022 hat der EuGH (Rs. C-9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136, DStR 2022, 255, vgl. hierzu Klein, DStR 2022, 521; Stadie, MwStR 2022 181), nun allerdings entschieden, dass die Vorsteuerentstehung nach dem Soll-Prinzip unionsrechtswidrig ist, soweit aufgrund der Ist-Besteuerung des leistenden Unternehmers die Umsatzsteuer erst im Zeitpunkt der Zahlung entsteht. Demnach stellt sich künftig – soweit und solange nicht ein Berufen auf die bisherige Verwaltungsauffassung möglich ist – die Frage der Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Ist-Besteuerung des leistenden Unternehmers nicht mehr, wenn das Entgelt uneinbringlich wird, da die Vorsteuer noch nicht entstanden ist (vgl. hierzu auch BFH vom 12.07.2023, Az: XI R 5/21, UR 2024, 68 mit Anm. Gomes).
Rz. 110
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Unterliegt der leistende Unternehmer dagegen der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 S. 1 UStG; § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG/Sollversteuerung) entstehen Umsatzsteuer und Vorsteuer bereits mit Ablauf des VZs, in dem die Leistung ausgeführt wurde. Ist zu diesem Zeitpunkt die Zahlung durch den Leistungsempfänger noch nicht erfolgt, muss der leistende Unternehmer insoweit nach dem Sollprinzip der Steuerentstehung wirtschaftlich in Vorleistung gegenüber dem Fiskus treten. Kann er in einem späteren Besteuerungszeitraum (vgl. § 17 Abs. 1 S. 8 UStG) das Entgelt für die ausgeführte Leistung nicht realisieren, kann er die Umsatzsteuer berichtigen und es entsteht für ihn ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Fiskus. Andererseits kann der vorsteuerabzugsberechtigte Leistungsempfänger bereits bei Leistungsausführung und Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung die Vorsteuer ziehen und muss diese berichtigen, wenn sein Entgelt uneinbringlich wird.
Rz. 111
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
In Fällen, in denen die Gegenleistung vereinbarungsgemäß nicht sofort bewirkt wird, etwa bei der Vereinbarung von Ratenzahlungen, stellt sich aus Sicht des leistenden Unternehmers, die Frage inwiefern eine Verpflichtung zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer zugunsten des Fiskus besteht.
In mehreren Urteilen be...