Rz. 138
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß anzuwenden, wenn für eine vereinbarte Leistung ein Entgelt entrichtet, die Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist. Die Vorschrift ist in Zusammenhang mit den Vorschriften über die Mindest-Istbesteuerung zu sehen. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4 UStG entsteht die USt auf Zahlungen vor Erbringung der Leistung nach dem Istprinzip (Vereinnahmung) mit Ablauf des VZs der Zahlung (Abweichung vom Sollprinzip der Vorschrift). Korrespondierend regelt § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges, sofern eine Rechnung über die Zahlung vorliegt und die Zahlung geleistet wurde. Kommt es nicht zur Ausführung der Leistung, ist die USt nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 1 UStG zu berichtigen, die Vorsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 2 UStG (vgl. Abschn. 17.1. Abs. 7 UStAE).
Zu später nicht erbrachten Bauleistungen und Anzahlungsrechnungen vgl. bereits BFH vom 17.05.2001, Az: V R 38/00, BStBl II 2003, 434. In einem Parallelfall des FG Nürnberg (Urteil vom 27.06.2006, Az: II 415/2003, EFG 2007, 471) wurden für eine noch zu erbringende Bauleistung Anzahlungsrechnungen erteilt (1995/96). 1997 teilte der Bauträger mit, dass er die Leistung nicht mehr erbringen würde. Das FG berichtigte den Vorsteuerabzug aus den Jahren 1995/96 nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1997. Zwar war der Vorsteuererstattungsanspruch an den Bauträger abgetreten worden, das FG hielt jedoch über § 37 Abs. 2 S. 3 AO auch die Inanspruchnahme des Zedenten für zulässig (undeutlich: Verhältnis UStG/AO; zur Problematik der Abtretung vgl. Rz. 14 und Rz. 122). Wegen der Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG in Fällen der Rückgängigmachung vgl. Rz. 146 ff.
Die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG greift nicht, wenn die Nichtausführung der Leistung bereits bei Zahlung bekannt war (FG Hamburg, Az: 6 K 239/21, EFG 2023, 867 i. Z. m. weiter gezahlten Mitgliedsbeiträgen für ein aufgrund von Corona geschlossenes Fitnessstudio).
Rz. 139
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der V. Senat des BFH (Urteile vom 02.09.2010, Az: V R 34/09, BStBl II 2011, 991 und vom 15.09.2011, Az: V R 36/09, BStBl II 2012, 365, vgl. Rn. 42) vertrat im Anschluss an das BFH-Urteil vom 18.09.2008 (Az: V R 56/06, BStBl II 2009, 250) und dem EuGH-Urteil vom 29.05.2001 (Rs. C-86/99, Freemans plc/England, UR 2001, 349) – unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BFH vom 30.11.1995, Az: V R 57/94, BStBl II 1996, 206) – die Auffassung, dass der leistende Unternehmer nach Anzahlungen die Umsatzsteuer wegen Nichtausführung der Leistung nur korrigieren kann, soweit er die erhaltene Anzahlungen zurückgezahlt hat (kritisch Reiß, MwStR 2017, 444 da nur bei Ausführung einer Leistung gesetzliche Umsatzsteuer geschuldet wird; kritisch auch Grünwald DStR 2012, 998). Die Finanzverwaltung hatte sich der Rechtsprechung des V. Senats in Abschn. 17.1. Abs. 7 S. 3 UStAE angeschlossen.
Rz. 140
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Umstritten war, ob die Berichtigung des Vorsteuerabzugs von der tatsächlichen Rückzahlung der Anzahlung abhängt.
Im Hinblick auf die Bedingungsgleichheit von Steuer- und Vorsteuerberichtigung hatte der V. Senat des BFH es auch für die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 S. 2 UStG als zutreffend erachtet, auf das Erfordernis einer Rückzahlung abzustellen, sodass auch der Vorsteuerabzug beim Anzahlenden erst bei Rückzahlung der Anzahlung zu berichtigen ist (vgl. i. d. S. BFH vom 08.09.2011, Az: V R 43/10, BStBl II 2014, 203; bereits BFH vom 17. 05.2001, Az: V R 38/00, BStBl II 2003, 434 sowie vom 21.09.2016, Az: VR 29/15, UR 2017, 66).
Rz. 141
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Im Urteil vom 13.03.2014 vertrat der EuGH (Rs. C-107/13, FIRIN, UR 2014, 705) allerdings die Auffassung, dass der Vorsteuerabzug gem. Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL grundsätzlich zu berichtigen sei, wenn mit der Erbringung der Leistung nicht mehr zu rechnen ist. Bereits bei Ausbleiben der Leistung habe der Anzahlende seine Vorsteuer zu berichtigen. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Steuerschuld des Lieferers selbst berichtigt werde, was bei Rückzahlung der Anzahlung möglich wäre, da diesbezüglich kein Korrespondenzprinzip zwischen Steuerschuld und Vorsteuerabzugsrecht bestehe. Der Entscheidung lag allerdings ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer für die Anzahlung nicht erklärte und abführte und zudem enge gesellschaftsrechtliche Beziehungen zwischen Anzahlenden und Anzahlungsempfänger bestanden, was ein Steuerhinterziehungssystem nahelegte.
Daraus resultierten bei Sachverhalten, in denen der Anzahlende davon ausging, dass die Leistung ausgeführt werden würde und zudem der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer auf die Anzahlung erklärte und abführte, abweichende Meinungen des V. und des XI. Senats des BFH, die in zwei Vorlagebeschlüssen zum EuGH mündeten.
Rz. 142
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Der V. Senat des BFH (BFH vom 21.09.2016, Az: V...