Fabian Hammler, Nicole Stumm
Literatur
Becker/Michelutti/Rieg, Praxisprobleme Digitalpaket, MwStR 2022, 495. Bunjes, UStG, 22. Auflage 2023. Gothmann/Dachauer/Heidbüchel, Anforderungen an Online-Händler zum Warenvertrieb innerhalb der EU über grenzüberschreitende Fulfillment-Strukturen seit dem 1.7.2021, MwStR 2021, 524. Hidien, E-Commerce: Umsatzbesteuerung von Wareneinfuhren und Lieferungen ab 2021, beck.digitax 2020, 360. Joost/Oldenburg, Umsetzung des Digitalpakets zum 1.7.2021 – Teil 1: Materielle Regelungen, MwStR 2020, 773. Kombert/Kratz/Stumm, E-Commerce und Umsatzsteuer, 2021. Sölch/Ringleb, UStG, 99. EL Oktober 2023. Weymüller, BeckOK UStG, 39. Edition Stand 01.01.2024.
Verwaltungsanweisungen
BMF-Schreiben vom 01.04.2021, BStBl I 2021, 629.
Hinweis: Zur Problematik der zeitlichen Geltungsdauer von BMF-Schreiben vgl. Einführung UStG, Rz. 70 ff.
Richtlinien/Hinweise/Verordnungen
UStAE: Abschn. 3c.1., 3a.9a., 3.18., 18j.1.
MwStVO: Art. 5a, 57d.
MwStSystRL: Art. 14 Abs. 4, Art. 33, 34, 35, 59c.
1 Allgemeines
1.1 Überblick über die Vorschrift
Rz. 1
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
§ 3c UStG führt den sog. Fernverkauf ein und ersetzt damit die bisherigen Bestimmungen zur Versandhandelsregelung. Wie die Vorgängerregelung auch, knüpft die Fernverkaufsregelung an Beförderungs- und Versendungslieferungen an, die der Lieferer an Privatpersonen und bestimmte gleichgestellte Personen ausführt (B2C).
§ 3c UStG gliedert sich in drei Tatbestände, nämlich den i. g. Fernverkauf (§ 3c Abs. 1 UStG), den Einfuhrfernverkauf mit Einfuhr im Nicht-Bestimmungsmitgliedstaat (§ 3c Abs. 2 UStG) und den Einfuhrfernverkauf mit Einfuhr im Bestimmungsmitgliedstaat (§ 3c Abs. 3 UStG). Während die Regelung des i. g. Fernverkaufs an § 3c UStG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung anknüpft, sind die Fernverkaufsregelungen mit Drittlandsbezug ein Novum.
Rechtstechnisch betrachtet enthält § 3c UStG in Abweichung von § 3 Abs. 6–8 UStG eine Sondervorschrift zur Bestimmung des Leistungsorts bei der Fernverkaufslieferung an Abnehmer i. S. v. § 3a Abs. 5 S. 1 (Nichtunternehmer) und § 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG (besondere Unternehmer), sofern Letztere weder die maßgebende Erwerbsschwelle überschritten noch auf ihre Anwendung verzichtet haben.
In allen Fällen des Fernverkaufs befindet sich der Leistungsort dort, wo die Beförderung oder Versendung der Ware an den Erwerber endet (Bestimmungslandprinzip). Erfasst werden nur Lieferungen, bei denen die Ware durch den Lieferer versendet oder befördert wird oder an deren Versendung oder Beförderung er indirekt beteiligt ist.
§ 3c Abs. 1 UStG wird durch die Regelung einer einheitlichen, für alle EU-Mitgliedstaaten zusammen geltenden Lieferschwelle für nur in einem EU-Mitgliedstaat ansässige Unternehmer i. H. v. 10.000 EUR ergänzt (§ 3c Abs. 4 UStG). In diese sind allerdings nicht nur Entgelte für i. g. Fernverkäufe einzubeziehen, sondern auch diejenigen für sonstige Leistungen, die § 3a Abs. 5 UStG unterfallen (vgl. § 3a Rz. 142).
§ 3c Abs. 5 UStG sperrt die Anwendung des § 3c Abs. 1–3 UStG für besondere Umsätze (z. B. die Lieferung neuer Fahrzeuge).
Ergänzt werden die Fernverkaufsregelungen in verfahrenstechnischer Hinsicht durch die optionalen Bestimmungen zum One-Stop-Shop (OSS) in § 18j UStG und zum Import-One-Stop-Shop (IOSS) in § 18k UStG. Zu beachten ist, dass sich aus der verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 18k UStG materielle Rückwirkungen auf den Tatbestand des § 3c UStG ergeben (vgl. hierzu Rz. 33).
1.2 Rechtsentwicklung
Rz. 2
Stand: 6. A. – ET: 07/2024
Die drastische Zunahme des E-Commerce führte zu einer Ausweitung der Möglichkeit für Endverbraucher, Waren aus dem Ausland zu beziehen. Insbesondere bei Warenbezug aus Drittlandsgebieten bzw. von im Drittland ansässigen Unternehmern war die Besteuerung nicht immer sichergestellt. Dies veranlasste die EU, auch die bisherigen Regelungen zum Versandhandel i. R. d. sog. Mehrwertsteuer-Digitalpakets durch Regelungen zum Fernverkauf zu erneuern und zu erweitern. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte durch das Jahressteuergesetz 2020 (BGBl I 2020, 3096) m. W. z. 01.07.2021 (vgl. BMF vom 01.04.2021, BStBl I 2021, 629).
Bereits kurze Zeit nach der Einführung dieser Regelungen zeigte sich in der Praxis, dass der Richtliniengeber die wirtschaftliche Realität des E-Commerce nicht hinreichend berücksichtigt hat, um eine Verwaltungsvereinfachung im gewünschten Umfang zu erreichen. Vor diesem Hintergrund wird auf EU-Ebene bereits eine Überarbeitung, Ausweitung und Ergänzung unter dem Stichwort "VAT in the Digital Age" diskutiert (ein entsprechender Richtlinienentwurf der EU-Kommission wurde am 08.12.2022 veröffentlicht).
Aus Sicht der Praxis wünschenswert wäre – neben der Ausweitung der in den entsprechenden Verfahren zu meldenden Umsätze – v. a. die Möglichkeit einer rückwirkenden Registrierung im OSS- oder IOSS-Verfahren, da die Komplexität der neuen Regelungen einerseits und die Dynamik des E-Commerce andererseits oftmals dazu führen, dass Unternehmer mit dem Registrierungsersuchen "zu spät" kommen, d. h. zu diesem Zeitpunkt bereits relevante Leistungen erbracht haben. Dies f...