„Unternehmen werden nicht verdächtigt, ideologisch zu handeln“
Herr Grotemeier, warum beschäftigen sich auf einmal alle mit betrieblicher Mobilität?
Christian Grotemeier: Vor mehr als zehn Jahren haben sich nur wenige damit beschäftigt. Die Verkehrswende hat jedoch einen Schub bekommen. Und man hat erkannt, dass sie besser gelingt, wenn man die Organisationen einbindet, die Verkehr erzeugen. Deswegen gibt es kommunales und betriebliches Mobilitätsmanagement. Die Elektrifizierung der Flotten, der Boom der E-Fahrräder und das Deutschlandticket verstärken diesen Trend. Außerdem wächst das Interesse derjenigen, die Lösungen wie Mobilitätsbudgets oder Apps für Wohn- und Standortanalysen in den Markt bringen. Und auch der Bundesverband Betriebliche Mobilität spricht nicht mehr nur über Autos, sondern beschäftigt sich neutral mit Mobilität.
Nachhaltige Mobilität: Es ist gut, über Unternehmen zu sprechen
Was ist das Problem am Auto?
Knapp 40 Prozent der Treibhausgasemissionen, die im Pkw-Verkehr entstehen, sind auf betriebliche Ursachen zurückzuführen. Die Hälfte ist Geschäftsreiseverkehr, den aber nicht nur das gehobene Management in Limousinen verursacht, sondern auch viele Servicetechniker:innen oder Pflegekräfte, die zu ihren Kunden fahren. Und auch Pendelmobilität ist ein betrieblicher Anlass, das darf nicht immer nur aus der Perspektive derjenigen gesehen werden, die sich privat ins Auto setzen.
Pendelmobilität ist ein betrieblicher Anlass, das darf nicht immer nur aus der Perspektive derjenigen gesehen werden, die sich privat ins Auto setzen.
Sie machen das im Grunde auch für ihren Arbeitgeber. Es ist also gut, dass wir über Unternehmen sprechen, denn sie sind wichtige Institutionen, die in der Verkehrspolitik eine besondere Rolle spielen.
Welche besondere Rolle spielen Unternehmen in der Verkehrspolitik?
Während wir mit Pull-Maßnahmen gewisse Verkehrsträger attraktiver gestalten und Menschen in Systeme ziehen wollen, versuchen wir sie mit Push-Maßnahmen aus Systemen herauszudrücken, indem wir zum Beispiel Autofahren und Parken teurer machen. Der Politik geht es darum, Angebote zu schaffen. Kein Politiker traut sich zu sagen, Autofahren müsste teurer werden. Wenn uns etwas verboten wird, nehmen wir eher eine Abwehrhaltung ein. Erst später kommt die Erkenntnis, dass etwas gut gewesen ist. Unternehmen haben den Vorteil, dass sie viele Pull-Maßnahmen anbieten können. Wenn sie Mitarbeitenden ein Dienstrad anbieten, ist das anders, als wenn diese auf dem Wochenmarkt von den Grünen oder Greenpeace dazu aufgefordert werden, mehr Fahrrad zu fahren. Die Art, wie Unternehmen auf ihre Mitarbeitenden zugehen, wirkt weniger missionierend. Sie werden nicht verdächtigt, ideologisch zu handeln. Deshalb haben sie einen größeren Einfluss.
Kann ein Unternehmen den Dienstwagen also nicht einfach streichen?
Nur etwa 5 bis 10 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben einen Dienstwagen. Eigentlich reden wir über ein kleines Thema, das nur größer gemacht wird.
Inwiefern?
Sicherlich ist das eine große finanzielle Frage. Wir müssen aber darauf achten, dass wir in der öffentlichen Diskussion die betriebliche Realität abbilden und uns nicht zu sehr um dieses Fahrzeug drehen. Für die Mehrheit der Mitarbeitenden ist das kein Thema, sie stehen nicht vor der Entscheidung, ihren 5er BMW gegen eine Bahncard 100 einzutauschen. Wir sollten uns auch andere Fragen stellen: In wie vielen Unternehmen wird das Deutschlandticket angeboten und wo kann es noch subventioniert werden? Wo können wir eigentlich unsere Fahrräder parken?
Was Unternehmen für nachhaltige Mobilität tun können
Ganz ehrlich: Wie viele Unternehmen treibt nachhaltige betriebliche Mobilität um?
Laut dem Marktforschungsinstitut „Dataforce“ befassen sich rund 64 Prozent der Unternehmen mit betrieblichen Flotten, dem Fahrrad oder einem ÖPNV-Ticket. Aber nur die wenigsten Unternehmen verfügen meiner Einschätzung nach bisher über ein ganzheitliches Mobilitätsmanagement-Konzept, in dem genaue Ziele und korrespondierende Maßnahmen enthalten sind. Für so ein „Nischenthema“ ist einfach keine Zeit.
Welche Rolle können Nachhaltigkeitsverantwortliche hier spielen?
Sicherlich eine große Rolle. Allerdings ist eine Kapitalgesellschaft bei ESG-Themen anders aufgestellt als eine Personengesellschaft. Während sich ein Kaufmann oder eine Kauffrau stärker intrinsisch motiviert mit Nachhaltigkeit befasst, müssen Kapitalgesellschaften und insbesondere Aktiengesellschaften aktiver agieren, um weiterhin attraktive Finanzierungskonditionen von den Finanzmärkten zu erhalten.
Während sich ein Kaufmann oder eine Kauffrau stärker intrinsisch motiviert mit Nachhaltigkeit befasst, müssen Kapitalgesellschaften und insbesondere Aktiengesellschaften aktiver agieren, um weiterhin attraktive Finanzierungskonditionen von den Finanzmärkten zu erhalten.
Nun arbeiten Nachhaltigkeitsverantwortliche häufig in Stabstellen, die nah an der Geschäftsführung angesiedelt sind. Wer nachhaltige Mobilität auch noch für den Kapitalmarkt vorantreibt, hat gute Chancen. Ansonsten ist der Weg etwas steiniger.
Unternehmen sind meist auf die Infrastrukturen vor Ort angewiesen. Was können sie hier tun?
Auf der individuellen Ebene kann man Fahrgemeinschaften mit Menschen aus anderen Unternehmen bilden. Wenn kleinere Unternehmen ihren Sitz in einem Gewerbepark haben, können sie, auch bei der Neuentwicklung von Immobilien, neue Fahrradinfrastrukturen oder Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge vorschlagen. Wenn sie mehr Standorte und Gewerbegebiete an das Nahverkehrsnetz anschließen wollen, müssen sie besser mit ÖPNV-Unternehmen sprechen. Allerdings sind bei diesen Gesprächen häufig auch die Verwaltung und die Politik anwesend. Wir brauchen mehr „One Face to the Customer“, also einen Ansprechpartner, sowie den Mut, über diese Themen zu sprechen.
Betriebliche Mobilität und der Mut zum Austausch
Gibt es weitere Angebote für Unternehmen, die reden wollen?
In zahlreichen Communities können sich Menschen darüber austauschen, wie sich betriebliche Mobilität organisieren lässt. Die Industrie- und Handelskammern bieten einiges in diesem Bereich an. In Baden-Württemberg gibt es das Bündnis „Verkehrswende in der Arbeitswelt“, in Nordrhein-Westfalen das „IHK-Netzwerkbüro Betriebliche Mobilität“ oder in Hessen das „Integrierte Verkehrs- und Mobilitätsmanagement“. Der Vorteil an diesen Angeboten: Der Austausch über das Thema betriebliche Mobilität kann sehr offen geführt werden, denn Betriebsgeheimnisse und wettbewerbsrelevante Interna sind selten betroffen.
Der Austausch über das Thema betriebliche Mobilität kann sehr offen geführt werden, denn Betriebsgeheimnisse und wettbewerbsrelevante Interna sind selten betroffen.
Welche sind die größten Hürden auf dem Weg zur nachhaltigen betrieblichen Mobilität?
Der ehemalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard wird oft damit zitiert, dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie sei – im Verkehrsbereich ist es wohl nicht anders. Veränderungen im Mobilitätsverhalten auf individueller Ebene erfordern das schwierige Aufbrechen von Gewohnheiten. Außerdem tendieren wir in Deutschland dazu, Verkehrspolitik zu emotionalisieren und kontrovers zu diskutieren. Die Aufmerksamkeitsökonomie tut ihr Übriges. Zu wenig Rationalität kann sicher als eine große Hürde angesehen werden. Eine weitere ist die fehlende finanzielle Priorisierung durch die Politik: Eine aktuelle Befragung des Bundesverbands Betriebliche Mobilität e.V. unter Mitarbeitenden in Unternehmen sieht großes Potenzial beim Ausbau des ÖPNV. Das ist jedoch nicht mit den aktuellen Finanzplanungen des Bundes und der Länder kompatibel. Wenngleich es bei Elektromobilität noch viele Baustellen gibt, werte ich es als positives Signal, dass einige Hersteller bereit sind, den weggefallenen Umweltbonus des Bundes zu kompensieren. Es ist gut möglich, dass die Elektromobilität 2024 preislich an Attraktivität gewinnt und wir mehr elektrisch fahrende Dienst- und Privatwagen sehen werden.
Christian Grotemeier ist seit April 2022 Professor für Mobilitätsmanagement und BWL an der Hochschule RheinMain, wo er im Studiengang Mobilitätsmanagement (B.Eng.) lehrt. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Innovationsmanagement, neuer Geschäfts- und Organisationsmodelle im ÖPNV sowie der Gestaltung der urbanen Logistik. Zuvor war Grotemeier sieben Jahre bei der Bundesvereinigung Logistik tätig und hat sich mit den Themenfeldern Innovation und IT befasst; ab 2018 als Geschäftsführer. Dem ÖPNV- und Eisenbahnbereich widmete er sich als Unternehmensberater von 2004 bis 2014. Sein Studium der Volkswirtschaftlehre hat er an der Universität Münster mit den Schwerpunkten Marketing und Verkehrswissenschaften abgeschlossen. An der Zeppelin Universität wurde Christan Grotemeier mit einer verkehrswissenschaftlichen Arbeit promoviert. Außerdem ist er wissenschaftlicher Beirat beim Bundesverband Betriebliche Mobilität. |
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