„Eine Klimavision ist mehr als ein schöner Traum“
Herr Prof. Dr. Kohl, welche Vorteile kann eine Klimavision einem Unternehmen bringen?
Klassische Klimastrategien sind oft an konkrete Klimaziele gekoppelt, wie etwa Klimaneutralität bis 2045. Eine Vision geht darüber hinaus. Sie beschreibt, welche Rolle das Unternehmen langfristig im Rahmen des Klimaschutzes einnehmen will. Es geht also nicht nur um Reduktion, Substitution oder Kompensation von Emissionen, sondern um ein inspirierendes Bild für die Zukunft. Das bietet die Chance, die Rolle des Klimaschutzes für das Unternehmen viel positiver zu beschreiben und auch mit grundsätzlichen Fragen zukünftiger Geschäftsmodelle zu verbinden. So etwas kann eine äußerst motivierende Kraft für das gesamte Unternehmen entfalten.
Solche Visionen bergen aber auch die Gefahr von „Unternehmenspropaganda“: Sie beschreiben in schönen Worten oder gar Filmen eine Welt, die von der Unternehmenswirklichkeit weit entfernt ist. Birgt eine Klimavision nicht auch dieses Risiko?
Ja, das könnte als Greenwashing interpretiert werden und hier müssen Firmen sehr vorsichtig sein. Um das zu vermeiden, muss die Klimavision in die Strategie eingebunden sein: Ich habe eine Vision, leite daraus eine Strategie ab und definiere dann die entsprechenden Ziele und Maßnahmen. Die Ziele und Maßnahmen können dann auch direkt in einen CSRD-konformen Bericht integriert werden, der ja auch extern auditiert wird. Dadurch bekommt die Vision die nötige Anbindung an die Realität.
Die transformative Kraft von Visionen
Wie kann ich eine Klimavision entwickeln?
Ausgangspunkt ist die Analyse, welchen Einfluss das Unternehmen heute auf das Klima hat. Hier kann beispielsweise die Wesentlichkeitsanalyse sehr hilfreich sein. Sie ist der Rahmen, um das Zusammenspiel von Unternehmen und Unternehmensumwelt zu verstehen. Hinzu kommt die Analyse der Upstream- und Downstream-Emissionen. Beides zusammen bietet eine gute Basis für die Entwicklung der Klimavision. Wichtig ist jedoch, der Kreativität Raum zu geben. Eine Vision kann und soll auch über den Stand der Technik hinausgehen, sonst würde sie nur den Status Quo beschreiben.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Schon in den 90er Jahren haben wir darüber nachgedacht, wie man die Kreislauffähigkeit von Produkten fördern kann. Eine der Maßnahmen, die wir uns damals gewünscht haben, war die Möglichkeit, Daten über Produkte auch während der Nutzung erheben und analysieren zu können. Wir stehen jetzt kurz vor der Einführung von digitalen Produktpässen, die bald Standard sein werden. Unsere Vision vom Monitoring der Produktnutzungsphase wird also bald Wirklichkeit – ohne dass wir damals gewusst hätten, wie das unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit, des Datenschutzes und der Datensicherheit gehen kann. Das Beispiel zeigt auch, dass eine Klimavision mehr ist als nur ein schöner Traum. Wenn Unternehmen eine eindeutige Vision haben, wohin sie sich gerne langfristig entwickeln möchten, leiten sich daraus Anforderungen ab: neue Werkstoffe, Formen der Energiegewinnung, Weiterentwicklung von Produkten. Wenn die Menschheit nie den Traum – die Vision – vom Fliegen gehabt hätte, könnten wir auch heute noch nicht fliegen. Und genau das ist die transformative Kraft von Visionen, die wir nicht unterschätzen, sondern für Klimaschutz und Nachhaltigkeit nutzen sollten.
Kommunikation und Weitblick: Das braucht eine Klimavision
Kann die Klimavision für die Transformation des Unternehmens ein zentraler Anstoß sein?
Ja, eine Vision ist immer langfristig und ambitioniert gedacht. Sie beschreibt etwas, das heute noch nicht erreichbar, aber möglich ist. Wir Menschen sind grundsätzlich zielstrebig und wollen unsere Grenzen verschieben. Eine starke Vision unterstützt und motiviert uns dabei. Ohne Visionen gibt es keine Veränderungen. Sie können auch eine wichtige Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit spielen. Wenn die Unternehmen ihre Vision umsetzen, kann es ihnen ein Alleinstellungsmerkmal und damit einen Wettbewerbsvorteil bringen.
Welche Rolle spielt die Kommunikation für die Klimavision?
Eine Vision, die nicht kommuniziert wird, bleibt wirkungslos. Deshalb müssen Visionen kommuniziert und verstanden werden. Gerade nach innen ist hier die Kommunikation sehr wichtig, damit die Mitarbeitenden wissen, wohin die Reise geht. Nach außen wiederum macht die Vision den Kunden und anderen Stakeholdern deutlich, wofür das Unternehmen auch langfristig steht.
Was macht es für Unternehmen schwierig, eine Klimavision zu entwickeln?
Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist es schwierig, zu wissen, was aktuell zum Beispiel in den Laboren von Forschungsorganisationen steckt und in einigen Jahren eventuell schon real sein kann. Ich empfehle daher immer, zu beobachten, wohin sich größere Unternehmen orientieren oder an welchen Forschungs- und Entwicklungsprojekten gerade gearbeitet wird. Ebenso hilft es, sich auf Fachmessen umzusehen und gezielt danach zu fragen, in welche Richtung die Firmen forschen. Ich kann stark empfehlen, auch in den Nachhaltigkeitsberichten anderer Unternehmen die Nachhaltigkeitsstrategien zu studieren – auch von Unternehmen aus ganz anderen Branchen. Ebenso lohnt sich ein Blick auf die Startup-Szene, die sehr intensiv mit Nachhaltigkeitsthemen verbunden ist. Ich bin sicher, dass man so zahlreiche Anstöße und Ideen findet, die auch fürs eigene Unternehmen sinnvoll sein können und dazu beitragen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln.
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