Crunchy: Lorenz und die Nachhaltigkeit


Nachhaltig im Wandel: Lorenz Snack-World

Mit dem Generationenwechsel vor fünf Jahren startete Lorenz Snack-World seine Transformation zum nachhaltigen Unternehmen. Das ist eine Riesenanstrengung, die dem Unternehmen schöne Erfolge und ein paar echte Dilemmata beschert.

„Wir sind heute besser als gestern und wir werden morgen besser sein als heute“, sagt Andrea Spielmann, Marketingchefin und Mitglied der Geschäftsleitung von Lorenz Snack-World.

Das Familienunternehmen mit Sitz in Neu-Isenburg beschäftigt rund 3.000 Mitarbeitende und ist mit seinem Sortiment rund um Kartoffelchips, Erdnussflips, Salzstangen, Cracker und Nüsse ein führender Anbieter im europäischen Snackmarkt. Lorenz steht für salzige Snacks und hat zwar familiär, nicht aber unternehmerisch mit dem Keksimperium Bahlsen zu tun, das sich um Süßgebäck kümmert.

Bei Lorenz wird im gesamten Unternehmen seit gut fünf Jahren in puncto Nachhaltigkeit „wirklich jeder Stein umgedreht“, erzählt Andrea Spielmann. Dabei hat das Unternehmen seinem Leitmotiv „Lebensfreude“ im Jahr 2019 eigentlich nur ein Wort hinzugefügt: „Verantwortung“.

Die Managerin arbeitet seit 2001 im Unternehmen, sie ist gestartet, als mit Lorenz Bahlsen ein Vertreter der dritten Familiengeneration am Ruder war, seit 2019 steht mit Moritz Bahlsen die vierte Generation an der Spitze von Lorenz Snack-World mit ihren 17 Marken. „Nachhaltigkeit im Sinne von Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Ernährung und Digitalisierung werden in den kommenden Jahren verstärkt in den Fokus unseres unternehmerischen Handelns rücken“, verkündete Moritz Bahlsen zu seinem Antritt. Das war kein Lippenbekenntnis.

Spielmann, Andrea

Die Aufgabe ist alles andere als trivial

Seit dem Generationenübergang ist Nachhaltigkeit ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Die Zuständigkeits- und Entscheidungskaskade ist in einem eigenen Organigramm verankert, nachzulesen im aktuellen Lorenz Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeit 2023. Die Transformation zu einem nachhaltigen Unternehmen treffe intern auf breite Zustimmung, sagt Andrea Spielmann, allenfalls bei der Priorisierung und dem Ausmaß der Umsetzung gebe es mal Diskussionsbedarf.

Die Palette der Maßnahmen ist extrem breit: Sie reicht von den mittlerweile von der Science Based Targets initiative (SBTi) validierten Klimazielen des Unternehmens bis zur Förderung von regenerativen Maßnahmen im Kartoffelanbau.

Das Unternehmen geht hochgradig systematisch vor, um besser zu werden. Im Zuge des „Brand Transformation Programms“ wird jede einzelne Marke im Portfolio genau unter die Lupe genommen, um die Nachhaltigkeitsstrategie zu implementieren. „Zunächst haben wir geschaut, wo unsere größten Hebel sind: Das sind zuallererst unsere Verpackungen.“ Also hat sich das interne Verpackungsteam des Problems angenommen und sämtliche Verpackungen unter die Lupe genommen. Die Aufgabe ist alles andere als trivial, denn bei Lebensmitteln sind die Ansprüche an Verpackungen besonders hoch: Sie müssen lebensmittelsicher sein, das Produkt vor Licht, Feuchtigkeit, Luft, Schmutz, Bakterien und anderen schädlichen Einflüssen schützen, sie müssen den Inhalt möglichst lange frisch halten, stabil und widerstandsfähig und sich auch noch einfach handhaben lassen. Das Lorenz-Team reduzierte Verpackungsgrößen (bei gleichbleibender Grammatur), machte Folien dünner, verzichtete auf Wiederverschlüsse, Banderolen und Sticker und sparte damit im Jahr 2023 bei neun Marken insgesamt rund 93 Tonnen Kunststoff. 44,1 Prozent der Verpackungen sind mittlerweile hochgradig recyclingfähig, wobei „hochgradig recyclingfähig“ bedeutet, dass sie zu 90 bis 95 Prozent wiederverwertbar sind. Damit die Verpackungen auch wirklich in der richtigen Tonne landen, informiert Lorenz in Kooperation mit Initiativen in Deutschland, Polen und Österreich Konsumenten über Mülltrennung und Recycling. Auch in Transport und Logistik spart Lorenz an Plastik. Allerdings, und das ist ein Dilemma eines jeden wirtschaftlich agierenden Unternehmens: Weil Lorenz 2023 im Vergleich zum Basisjahr 2019 mehr Produkte verkauft hat (erfreulich!), hat sich der absolute Kunststoffverbrauch erhöht (unerfreulich!). Damit der Unternehmenserfolg den Nachhaltigkeitserfolg nicht langfristig zunichtegemacht, wird weiter an Verpackungsoptimierungen getüftelt.

Mut zu (eigentlich) abwegigen Maßnahmen

Neben den Verpackungen gibt es bei Snack-Herstellern vor allem einen Punkt, der sich nicht schönreden lässt: Produkte wie Kartoffelchips, Cracker, Popcorn oder Salzstangen sind schlicht nicht gesund. Und – Pardon, aber so ist es nun mal meistens – wenn man sie gesünder macht, schmecken sie nicht mehr so richtig gut. Zumindest gefühlt. Weshalb es auch deutlich schwieriger ist, bereits bekannte und beliebte Rezepturen zu ändern als neue Produkte von vorneherein mit Blick auf eine gesündere Ernährung zu entwickeln. Auch hier tut sich wieder ein Dilemma auf: Bei Lorenz tüfteln Produktentwickler, Marketingprofis, Sensorikerinnen, Qualitätsmanagerinnen und Experten aus der Produktion daran, die Rezepturen sehr erfolgreicher Produkte zu ändern (riskant!), um sie im Sinne der Nachhaltigkeit gesünder zu machen (Respekt!). Das erfordert viel Mut und lässt sich in einem Familienunternehmen vermutlich einfacher bewerkstelligen als in Konzernen, in denen das Management quartalsgetrieben agiert.

Einfacher als bei den beliebten und teils jahrzehntealten Marken lässt sich die Rezeptur bei Neuprodukten anpassen: Bis zum Jahr 2025 sollen 100 Prozent der Neuprodukte im Durchschnitt mindestens 15 Prozent weniger Salz enthalten als bisherige Produkte der jeweiligen Marke, im Jahr 2023 war dieses Ziel schon bei 94 Prozent aller Neuprodukte erreicht (alle Angaben im Vergleich zum Basisjahr 2019).

„Durch unsere überarbeiteten Rezepturen wollen wir es den Leuten ermöglichen, unsere Snacks unbeschwerter zu genießen als in der Vergangenheit. Das ist manchmal ein bisschen wie die Quadratur des Kreises, aber wir stellen uns dieser Aufgabe“, erklärt Andrea Spielmann. Das Unternehmen habe als erster Hersteller der Branche und aus freien Stücken den Nutri-Score auf seinen Verpackungen platziert, sagt die Marketingchefin, und zwar nicht, weil dieser Nutri-Score so gut ausfiele – bei den meisten Produkten steht dort: D –, sondern aus Transparenzgründen. „Wir wollen den Konsumentinnen die Möglichkeit lassen, selbst zu entscheiden, ob der Snack zu ihrem Lebens- und Ernährungsstil passt oder nicht, und ich glaube, wegen dieser Offenheit hat uns der Nutri-Score auch nicht geschadet Die Konsumenten wissen sowieso, dass sie, wenn sie zu salzigen Snacks greifen, nicht die Gesundheit in Tüten kaufen. Es handelt sich um Genussmittel, wie viele andere auch, und die muss man in Maßen zu sich nehmen.“

Neben dem prominent platzierten Nutri-Score finden sich auf Lorenz-Produkten auch die sogenannten Responsibility-Icons; sie informieren zum Beispiel darüber, ob ein Produkt vegetarisch oder vegan ist, ob es sich um eine Proteinquelle handelt oder ob es glutenfrei ist.

Das Marketingteam hat sich zur neuen Green Claims Directive der EU schulen lassen und prüft all seine Werbeaussagen sehr sorgfältig. Andrea Spielmann begrüßt die neue Regulatorik, auch wenn sie für mehr Aufwand sorgt. Sie hofft, dass die Menschen mit der höheren Transparenz Vertrauen in die Wirtschaft zurückgewinnen.

„Wenn wir uns heute nicht um die Nachhaltigkeit kümmern, wird es uns morgen nicht mehr geben.“

Ob ihr Marketingjob mit der Nachhaltigkeitsoffensive anstrengender oder spannender geworden ist? „Beides!“, antwortet Andrea Spielmann. „Der Fokus auf Nachhaltigkeit macht auch das Marketing sehr komplex und herausfordernd, weil alles mit allem zusammenhängt, hinzu kommt noch die hohe Geschwindigkeit, in der alles passiert. Es macht aber auch mehr Spaß als früher, weil die Themen so gegenwarts- und zukunftsrelevant sind. Wenn wir uns heute nicht um die Nachhaltigkeit kümmern, wird es uns morgen nicht mehr geben.“

Angesichts all der Aktivitäten ergibt sich das nächste Dilemma: Nachhaltigkeit ist notwendig, aber sie kostet. Viele Unternehmen investieren sehr viel Geld, ohne absehen zu können, ob sich diese Investitionen jemals wirtschaftlich bezahlt machen. Das Gros der Konsumentinnen ist jedenfalls, allen Umfragen zu Trotz, nicht bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben. Unternehmen wie Lorenz gehen also in Vorleistung für die gute Sache. Es wäre schön, wenn sie dadurch früher oder später einen Wettbewerbsvorteil hätten.