Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Da die Organgesellschaft nach der nationalen Regelung nur unselbstständiger Bestandteil des Unternehmens des Organträgers ist, kann zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft nach bisheriger Auffassung kein steuerbarer Umsatz vorliegen, Leistungen werden danach ausschließlich im Rahmen von nicht steuerbaren Innenumsätzen erbracht. Eine Umsatzsteuer wird aus diesem Grund nicht geschuldet.
Abrechnungen im Organkreis gelten nicht als Rechnungen
Wird in einem Abrechnungspapier über einen nicht steuerbaren Innenumsatz versehentlich Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen (weil z. B. die Organschaft von den Beteiligten nicht erkannt worden ist), wird die ausgewiesene Umsatzsteuer nicht nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldet, das Abrechnungspapier wird nur als unternehmensinterner Buchungsbeleg angesehen.
Da nach nationaler Auffassung die Ausführung eines nicht steuerbaren Innenumsatzes kein Ausgangsumsatz i. S. d. § 15 Abs. 2 UStG für die Prüfung des Vorsteuerabzugs ist, muss im Rahmen eines Organkreises für Eingangsleistungen auf die mit dieser Eingangsleistung tatsächlich bewirkte Ausgangsleistung für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs abgestellt werden.
Änderung der Verhältnisse durch Begründung einer Organschaft
Unternehmer A vermietet an die B-GmbH (Bauunternehmen) einen Lagerplatz im Rahmen einer steuerbaren, aber steuerfreien Vermietung. A ist aus den im Zusammenhang mit dem Lagerplatz bezogenen Leistungen nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG berechtigt, da von ihm steuerfreie Umsätze bewirkt werden.
Ab dem 1.7.2022 wird die B-GmbH in das Unternehmen des A als Organgesellschaft eingegliedert. Damit ist die Vermietung des Grundstücks (nach bisher national vertretener Auffassung) ein nicht steuerbarer Innenumsatz. Für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs sind jetzt die Ausgangsumsätze des Organkreises heranzuziehen, in diesem Fall also die Ausgangsumsätze im Rahmen der Bautätigkeit der B-GmbH. Der Vorsteuerabzug ist damit für die Vorleistungen im Zusammenhang mit dem Grundstück nicht mehr ausgeschlossen. Soweit die Voraussetzungen vorliegen, kann sich auch eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG ergeben.
In einem seiner Grundsatzurteile zur Organschaft in Deutschland hat der EuGH festgestellt, dass es nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Organgesellschaften als nicht selbstständig tätig angesehen werden. Er hat in dem vorgelegten Fall festgestellt, dass eine Organgesellschaft gegenüber dem Organträger entgeltliche Leistungen ausgeführt hat und deshalb im Ergebnis eine Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe aus dem Organkreis ausscheiden würde. Weitere Aussagen, z. B. zur "Steuerbarkeit" der internen Leistungen, hat der EuGH (insbesondere auch zu den Konsequenzen, wenn es sich um "selbstständige" Einheiten des Organkreises handelt) nicht getroffen. Aus dem Gesamtkontext der beiden Urteile kann aber wohl abgeleitet werden, dass es zu besteuerten Umsätzen auch innerhalb eines Organkreises kommen kann. Die tatsächlichen nationalen Rechtsfolgen müssen aber der weiteren Rechtsprechung des BFH vorbehalten bleiben.
Erhebliche Konsequenzen möglich
Sollte der BFH in seiner Folgerechtsprechung zu dem Ergebnis kommen, dass durch die vom EuGH festgestellte "Selbstständigkeit" auch der Organgesellschaften keine nicht steuerbaren Innenumsätze mehr möglich sind, würden sich in Branchen, in denen sich keine oder nur eine eingeschränkte Vorsteuerabzugsberechtigung ergibt, erhebliche Auswirkungen ergeben. Soweit bisher nicht steuerbare Innenumsätze innerhalb des einheitlichen Organkreises als steuerbare und steuerpflichtige Umsätze gelten würden, aber die im Organkreis entstehende Umsatzsteuer aufgrund nicht vorsteuerabzugsberechtigender Ausgangsumsätze des leistungsempfangenden Organkreismitglieds nicht zum Vorsteuerabzug zugelassen wäre, würde sich eine deutliche finanzielle Belastung im Organkreis ergeben.