Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Nach § 4 Nr. 2 UStG i. V. m. § 8 UStG sind bestimmte Umsätze für die internationale Luftfahrt und die Seeschifffahrt von der Umsatzsteuer befreit. Früher war in Deutschland davon ausgegangen worden, dass sich die Steuerbefreiung auch auf Vorstufen (Leistungen, die nicht direkt an den Unternehmer der internationalen Luftfahrt oder der Seeschifffahrt ausgeführt wurden) erstrecken konnte. Nachdem der EuGH festgestellt hatte, dass dies nicht für Lieferungen von Gegenständen gilt, die auf einer vorhergehenden Handelsstufe erfolgen, hatte die Finanzverwaltung ihre Anweisungen dahingehend geändert, dass die Steuerbefreiung davon abhängig ist, dass die Leistung unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffs ausgeführt sein muss.
In einem aktuellen Urteil hat der EuGH seine frühere Rechtsprechung relativiert. In dem früheren Verfahren "Elmeka" ging es um die Lieferung von Treibstoff in einer Leistungskette. Der EuGH führt jetzt dazu aus, dass in dem damaligen Fall mehrere Umsätze physisch nacheinander getätigt werden mussten, bevor die Verwendung für den begünstigten Bedarf feststand. Bei der Ausführung von Be- und Entladeleistungen ist Art. 148 Buchst. a MwStSystRL dagegen dahin auszulegen, dass nicht nur Dienstleistungen im Bereich des Beladens und Entladens eines Schiffs von der Steuer befreit sein können, die auf der letzten Handelsstufe einer solchen Dienstleistung erbracht werden, sondern auch auf einer vorausgehenden Handelsstufe erbrachte Dienstleistungen.
Die Finanzverwaltung passt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH den UStAE an. Grundsätzlich sind danach die folgenden Fälle zu unterscheiden:
- Die Steuerbefreiung kann sich nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken, wenn im Zeitpunkt dieser Leistungen deren endgültige Verwendung für den Bedarf eines Seeschiffs ihrem Wesen nach nicht feststeht.
- Steht im Zeitpunkt der Leistung deren endgültige Verwendung für den Bedarf eines Seeschiffs fest und ist die endgültige Zweckbestimmung der Leistung nicht erst durch besondere Kontroll- und Überwachungsmechanismen nachvollziehbar, kann sich die Steuerbefreiung auch auf vorhergehende Stufen erstrecken.
Unter unmittelbaren Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH stellt die Finanzverwaltung ergänzend fest, dass auch Dienstleistungen im Bereich des Beladens und Entladens eines Seeschiffs steuerfrei sein können, wenn sie nicht unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffs, sondern auf einer vorhergehenden Stufe erbracht werden. Dies kann etwa eine von einem Unterauftragnehmer an einen Auftraggeber erbrachte Be- oder Entladeleistung sein, die dieser dann einem Speditions- oder Transportunternehmen weiterberechnet. Auch können Be- und Entladedienstleistungen steuerfrei sein, die an den Verfügungsberechtigten der Schiffsladung, etwa deren Ausführer oder Einführer, erbracht werden.
Konsequenzen für die Praxis
Der Umfang der Steuerbefreiungen in der internationalen Luftfahrt und der Seeschifffahrt unterliegt den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH. Offensichtlich sind national aus der früheren Rechtsprechung des EuGH falsche Schlüsse gezogen worden oder die Intention des EuGH hat sich verändert. In jedem Fall folgt die Finanzverwaltung jetzt der differenzierten Sichtweise des EuGH.
Tipp
Einfacher wird es dadurch für die Praxis allerdings nicht. Im Einzelfall wird es schwer sein, rechtsicher festzustellen, ob es sich nun um Leistungen handelt, bei denen die endgültige Zweckbestimmung erst durch "besondere Kontroll- und Überwachungsmechanismen" feststellbar ist oder nicht. Ein typisches Problem, wenn die Finanzverwaltung unbestimmbare Wortgebilde der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar in die Verwaltungsanweisungen übernimmt. In jedem Fall sollte in der Praxis in jedem Einzelfall dokumentiert werden, warum man sich für die eine oder die andere Variante entschieden hat.
Die Grundsätze des BMF-Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Die Finanzverwaltung beanstandet es aber für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nicht, wenn Leistungen, die bis zum 31.12.2017 ausgeführt werden, noch steuerpflichtig behandelt werden, wenn sie nicht unmittelbar an den Betreiber des Seeschiffs ausgeführt werden.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 6.10.2017, III C 3 – S 7155/16/10002, BStBl 2017 I S. 1349.