Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Erhebliche Veränderungen haben sich seit dem 1.1.2022 im Bereich der Land- und Forstwirtschaft ergeben, soweit die Land- und Forstwirte bisher die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG angewendet hatten. Zum einen ist eine nicht unerhebliche Zahl der Anwender grundsätzlich aus der Berechtigung ausgeschieden, die Durchschnittssätze anwenden zu können, zum anderen ist für die verbleibenden (kleineren) Betriebe der Durchschnittssatz abgesenkt worden.
- Durch das Jahressteuergesetz 2020 ist zum 1.1.2022 eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Durchschnittssatzbesteuerung eingeführt worden. Da die Regelung – Anwendung eines Sondersteuersatzes und Pauschalierung der Vorsteuer in gleicher Höhe – nach Auffassung der EU-Kommission im Ergebnis zu einer Subvention geführt hat, wurde die Anwendungsmöglichkeit auf Land- und Forstwirte beschränkt, deren Gesamtumsatz nach § 19 Abs. 3 UStG 600.000 EUR im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten hat.
- Zum 1.1.2022 ist auch der bisherige pauschale Steuersatz nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG von bisher 10,7 % auf 9,5 % abgesenkt worden. Damit die Durchschnittssatzbesteuerung zu keiner unionsrechtlich unzulässigen Subvention führt, war der Gesetzgeber im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 aufgefordert worden, jährlich die Höhe des Durchschnittssatzes zu überprüfen und anzupassen. Die erste Anpassung des Durchschnittssatzes erfolgte zum 1.1.2022.
Die Finanzverwaltung hat jetzt zu der neu eingeführten Umsatzgrenze von 600.000 EUR Stellung genommen. Da die Umsatzgrenze auf den Gesamtumsatz i. S. d. § 19 UStG (wie bei der Kleinunternehmerbesteuerung) Bezug nimmt, verweist die Finanzverwaltung zuerst auf die Ermittlungsgrundsätze für den Gesamtumsatz. Dabei ist insbesondere auf die folgenden Punkte zu achten:
- Zum Gesamtumsatz gehören auch die Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens.
- Zum Gesamtumsatz gehört der steuerbare Umsatz (Umsätze im Inland) i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG des vorangegangenen Kalenderjahrs – allerdings ohne Umsatzsteuer.
- Der Gesamtumsatz berechnet sich nach der im maßgeblichen Kalenderjahr angewandten Besteuerungsart – Soll- oder Istbesteuerung.
- Wenn der Unternehmer im vorangegangenen Kalenderjahr die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG angewendet hat, sind bei der Berechnung des Gesamtumsatzes die vereinbarten Entgelte zugrunde zu legen.
- Bei Beginn der Tätigkeit in einem Kalenderjahr, ist auf den voraussichtlichen Gesamtumsatz des laufenden Kalenderjahrs abzustellen, dabei ist der Gesamtumsatz in einen Jahresgesamtumsatz umzurechnen.
- Bei einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen ist der Vorjahresumsatz des Veräußerers maßgeblich.
Die Finanzverwaltung legt weiterhin fest, dass ein bisher die Durchschnittssatzbesteuerung anwendender Unternehmer, der ein weiteres Unternehmen oder einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb im Ganzen hinzuerwirbt, bei dem wegen Überschreiten der Umsatzgrenze die Regelbesteuerung anzuwenden war, ab Beginn des Kalenderjahrs, in dem die Geschäftsveräußerung im Ganzen erfolgt ist, sowohl die Umsätze des bisherigen als auch des hinzuerworbenen land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens nach den allgemeinen Regelungen zu versteuern hat. Dies soll auch gelten, wenn der Veräußerer auf die Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung verzichtet hatte.
Wenn aber der hinzuerworbene Unternehmensteil nicht die Umsatzgrenze überschritten hatte, kann im Jahr des Zuerwerbs die Durchschnittssatzbesteuerung angewendet werden, selbst wenn der zusammengerechnete Gesamtumsatz über der Grenze von 600.000 EUR liegt.
Geht der Unternehmer aufgrund des Überschreitens der Umsatzgrenze zur Regelbesteuerung über, richtet sich der Voranmeldungszeitraum nach den allgemeinen Grundsätzen des § 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 UStG. Eine Befreiung von der Verpflichtung, Voranmeldungen abgeben zu müssen, kommt nicht in Betracht.
In Abschn. 24.1a Abs. 2 UStAE wird auf die (geringeren) Aufzeichnungsvorschriften bei Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung verwiesen und in Abschn. 24.1a Abs. 3 UStAE daran erinnert, dass der Wechsel zwischen der Regelbesteuerung und der Durchschnittssatzbesteuerung (und umgekehrt) eine Änderung i. S. d. § 15a Abs. 7 UStG darstellt und somit zu einer Vorsteuerberichtigung führen kann.
Konsequenzen für die Praxis
Die Grundsätze sind auf alle Umsätze anzuwenden, die ab dem 1.1.2022 ausgeführt werden.
Zur Prüfung der Gesamtumsatzgrenze von 600.000 EUR dürfen nicht nur die Umsätze aus der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit herangezogen werden. In den Gesamtumsatz sind alle Umsätze einzubeziehen, die der jeweilige Unternehmer realisiert. Erzielt z. B. ein Landwirt neben seinen Umsätzen aus der Landwirtschaft noch Einkünfte aus einer gewerblich betriebenen Photovoltaikanlage, sind diese Umsätze seines einheitlichen Unternehmens zusammenzu...