Leitsatz (amtlich)
1. Soll ein Betroffener nicht nur vorläufig untergebracht werden, wird ihm rechtliches Gehör in der Regel nur dann ausreichend gewährt, wenn er das Sachverständigengutachten vollständig, schriftlich und rechtzeitig vor seiner persönlichen Anhörung erhält.
2. Geht es um die nicht nur vorläufige Unterbringung, ist die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs in der Regel geboten.
Normenkette
FGG § 70e
Verfahrensgang
LG Memmingen (Aktenzeichen 4 T 184/03) |
AG Memmingen (Aktenzeichen XVII 0579/02) |
Tenor
I. Der Beschluss des LG Memmingen vom 30.1.2003 wird aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Memmingen zurückverwiesen.
Gründe
I. Das zuständige VormG hat mit Beschluss vom 12.11.2002 durch einstweilige Anordnung einen Betreuer für den Betroffenen unter anderem mit den Aufgaben „Aufenthaltsbestimmung” und „Entscheidung über Unterbringung sowie die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen” bestellt.
Ebenfalls am 12.11.2002 genehmigte das VormG die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 23.12.2002.
Am 5.12.2002 beantragte der Betreuer die weitere Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung für die Dauer von zwei Jahren.
Am 20.12.2002 hörte das VormG den Betroffenen im Bezirkskrankenhaus in Anwesenheit seiner Verfahrensbevollmächtigten und des zuständigen Oberarztes persönlich an. Der Oberarzt erklärte hierbei eine weitere stationäre Unterbringung für unabdingbar, weil nur so die erforderliche medikamentöse Behandlung des Betroffenen gewährleistet werden könne.
Der Richter teilte dem Betroffenen mit, dass nach Eingang des noch für denselben Tag vom Oberarzt zugesagten schriftlichen Gutachtens eine Entscheidung ergehen werde.
Nachdem am Nachmittag des 20.12.2002 das Gutachten als Telefax bei Gericht eingegangen war, genehmigte das VormG mit Beschluss vom selben Tage die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer geschlossenen Einrichtung bis zum 19.12.2004 und ordnete die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses an.
Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Diese hat das LG mit Beschluss vom 30.1.2003 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.
II. Auf das zulässige Rechtsmittel des Betroffenen ist die Beschwerdeentscheidung des LG wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben.
1. Sowohl das LG als auch zuvor das AG haben die jeweilige Entscheidung ausdrücklich auf das am 20.12.2002 erstattete schriftliche Gutachten gestützt, ohne dass dieses dem Betroffenen zuvor zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre.
Soll der Betroffene – wie hier – nicht nur vorläufig untergebracht werden, darf im Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ein Gutachten nur verwertet werden, wenn er ausreichend Gelegenheit hatte, vor der Entscheidung dazu Stellung zu nehmen (vgl. OLG Zweibrücken v. 25.7.1988 – 3 W 78/88, FamRZ 1989, 544). Das Gutachten muss ihm daher in der Regel vollständig, schriftlich und rechtzeitig vor der Anhörung zugehen (BayObLG v. 22.7.1993 – 3Z BR 83/93, BayObLGReport 1993, 84 = BtPrax 1993, 208/209 und v. 16.12.1994 – 3Z BR 308/94, BayObLGReport 1995, 31 = FamRZ 1995, 695; Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 70e Rz. 16; Knittel, BtG, § 70e Rz. 15).
Diese Voraussetzungen des rechtlichen Gehörs sind hier nicht erfüllt. Nach den Bekundungen des Richters in der Niederschrift über die Anhörung vom 20.12.2002 lag das schriftliche Gutachten zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Nach seinem Eingang am Nachmittag desselben Tages wurde aber sofort über die endgültige Unterbringungsmaßnahme entschieden, ohne dass der Betroffene nochmals Gelegenheit zur Äußerung hatte.
Die Kenntnis von den mündlichen Ausführungen des Oberarztes im Anhörungstermin konnte – jedenfalls nach ihrem protokollierten Inhalt – nicht der Kenntnisnahme von dem späteren ausführlichen schriftlichen Gutachten gleichgestellt werden.
Auch für die Folgezeit bis zur Entscheidung des LG am 30.1.2003 lässt sich den Akten nicht entnehmen, dass dem Betroffenen oder seiner Verfahrensbevollmächtigten nachträglich das Gutachten übersandt wurde bzw. auf anderem Wege, z.B. durch Akteneinsicht, zur Kenntnis gebracht wurde. Damit hat auch das LG über die Unterbringungsanordnung entschieden, ohne dass dem Betroffenen rechtliches Gehör zu dem entscheidungserheblichen schriftlichen Gutachten gewährt wurde.
Allein dieser Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, da weiteres erhebliches Vorbringen des Betroffenen zum Inhalt des Gutachtens nicht ausgeschlossen werden kann.
2. Im Hinblick auf den weiteren ...