Leitsatz (amtlich)
In Ehe- und Familienstreitsachen darf ein Rechtsmittel nicht wegen Unbestimmtheit eines Teils des Beschwerdeangriffs insgesamt als unzulässig angesehen werden, wenn der Begründungsschrift eindeutig zu entnehmen ist, dass der Rechtsmittelführer seinen prozessualen Anspruch jedenfalls in einer bestimmten Höhe weiterverfolgen will (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 1.4.1987 - IVb ZB 86/86 - juris und BGH, Urt. v. 1.7.1975 - VI ZR 251/74, NJW 1975, 2013).
Normenkette
FamFG § 117 Abs. 1 S. 1; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 27.08.2014; Aktenzeichen 2 UF 140/14) |
AG Wiesloch (Entscheidung vom 30.05.2014; Aktenzeichen 2 F 143/12) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des OLG Karlsruhe vom 27.8.2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 9.291 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner, ihren Ehemann, auf Getrenntlebens- und Kindesunterhalt in Anspruch.
Rz. 2
Die seit Juli 2005 verheirateten Beteiligten leben seit Februar 2012 voneinander getrennt. Der im April 2008 geborene gemeinsame Sohn lebt bei der Antragstellerin. Auf deren Antrag hat das AG den Antragsgegner verpflichtet, monatlichen Trennungsunterhalt für Oktober 2012 bis einschließlich Februar 2013i.H.v. 591,60 EUR und ab März 2013i.H.v. 791,60 EUR sowie für den gemeinsamen Sohn ab Oktober 2012 nach der jeweiligen Altersstufe Unterhalt von 128 % des Kindesmindestunterhalts der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle (abzgl. hälftigem Kindergeld) zu bezahlen, und diese Zahlungsverpflichtungen für sofort wirksam erklärt.
Rz. 3
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt und diese mit gesondertem Schriftsatz, der keinen ausformulierten Beschwerdeantrag enthält, begründet. Das OLG hat die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Rz. 5
1. Sie ist gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH, Beschl. v. 23.1.2013 - XII ZB 167/11, FamRZ 2013, 1117 Rz. 4 m.w.N.).
Rz. 6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Rz. 7
a) Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Beschwerde sei unzulässig, weil die Beschwerdebegründung keinen Beschwerdeantrag enthalte. Dem Schriftsatz ließen sich weder Umfang noch Ziel der Beschwerde hinreichend bestimmt entnehmen. Die Beschwerdeeinlegung sei unbeschränkt erfolgt, so dass sich die Beschwerde zunächst auch gegen die Entscheidung zum Kindesunterhalt gerichtet habe. Ob und ggf. in welcher Höhe insoweit eine Anfechtung erfolgen solle, lasse die Beschwerdebegründung nicht eindeutig erkennen. Zwar sei im Betreff "Beschwerdeverfahren-Trennungsunterhalt" angegeben und auf den Kindesunterhalt sei mit keinem Wort eingegangen, was dafür sprechen könne, dass der Antragsgegner die hierzu ergangene Entscheidung akzeptiere, zumal er - wenn auch unter dem Zwang drohender Zwangsvollstreckung - in der Vergangenheit sogar einen höheren Kindesunterhalt gezahlt habe. Andererseits behaupte er aber ein Nettoeinkommen, das die als Kindesunterhalt zugesprochenen Beträge nicht rechtfertige. Zudem gehe er im Rahmen der Berechnung des Trennungsunterhalts nicht von der vom AG zuerkannten Höhe des Kindesunterhalts aus.
Rz. 8
Aus den innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Schriftsätzen sei auch nicht eindeutig erkennbar, in welchem Umfang die Entscheidung über den Trennungsunterhalt angefochten werden solle. Der Antragsgegner trage vor, der Anspruch sei nach Höhe und zeitlicher Bemessung unrichtig festgesetzt. Der Beschwerdebegründung lasse sich entnehmen, dass der Antragstellerin für Oktober 2012 bis Februar 2013 monatlich 8,46 EUR zustünden - wobei dieser Betrag nicht nachvollziehbar sei, weil die entsprechende Berechnung einen Anspruch von 0 EUR ergebe - und ab März 2013 monatlich 62,66 EUR. Der Antragsgegner berufe sich aber auch auf Verwirkung und darauf, dass das AG sich mit dem Gesichtspunkt der zeitlichen Begrenzung des Trennungsunterhalts nicht auseinandergesetzt habe, wobei Letzteres nach seiner Meinung dazu zu führen habe, dass die Trennungsunterhaltszahlungen spätestens ab März 2014 einzustellen seien. Ob es sich dabei um einen Haupt- oder einen Hilfsantrag handele, sei nicht erkennbar, was auch daran deutlich werde, dass der Antragsgegner in einem Schriftsatz nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist einen Antrag formuliert habe, der keine zeitliche Begrenzung enthalte.
Rz. 9
b) Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 10
aa) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, wonach der Beschwerdeführer gem. § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Ehesachen und Familienstreitsachen zur Begründung der Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen hat. Er muss demnach in der Beschwerdebegründung darlegen, in welchem Umfang er die erstinstanzliche Entscheidung angreifen will und wie er den Angriff begründet. Da § 117 FamFG keine speziellen Regelungen zum Inhalt der Beschwerdebegründung enthält, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen, ob ein Beschwerdeantrag hinreichend bestimmt und ausreichend begründet ist. Deshalb können für den notwendigen Inhalt der Beschwerdebegründung im Wesentlichen die Anforderungen herangezogen werden, die für eine Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO gelten, auch wenn § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG nicht auf § 520 Abs. 3 ZPO verweist (BGH v. 25.6.2014 - XII ZB 134/13, FamRZ 2014, 1443 Rz. 15; v. 23.5.2012 - XII ZB 375/11, FamRZ 2012, 1205 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 11
Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung beinhalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH erfordert der Zweck des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht zwingend einen förmlichen Sachantrag. Durch die Vorschrift soll der Berufungskläger im Interesse der Beschleunigung des Berufungsverfahrens dazu angehalten werden, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären und Berufungsgericht sowie Prozessgegner über Umfang und Inhalt seiner Angriffe möglichst schnell und zuverlässig ins Bild zu setzen. Daher reicht es aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BGH v. 19.11.2014 - XII ZB 522/14, FamRZ 2015, 247 Rz. 10; v. 25.6.2014 - XII ZB 134/13, FamRZ 2014, 1443 Rz. 16; v. 23.5.2012 - XII ZB 375/11, FamRZ 2012, 1205 Rz. 14 m.w.N.).
Rz. 12
Danach sind die Anforderungen, die § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG an einen bestimmten Sachantrag stellt, erfüllt, wenn die Beschwerdebegründung erkennen lässt, in welcher Weise der angegriffene Beschluss abgeändert werden soll. Eine Schlüssigkeit der gegebenen Begründung ist nicht erforderlich (BGH v. 25.6.2014 - XII ZB 134/13, FamRZ 2014, 1443 Rz. 17; v. 23.5.2012 - XII ZB 375/11, FamRZ 2012, 1205 Rz. 15 m.w.N.).
Rz. 13
bb) Gemessen hieran genügt die Beschwerdebegründungsschrift des Antragsgegners den formalen Anforderungen des § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG an einen Beschwerdeantrag. Dem Schriftsatz lassen sich Umfang und Ziel der Beschwerde noch hinreichend bestimmt entnehmen.
Rz. 14
(1) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Beschwerdebegründungsschrift eindeutig zu entnehmen, dass der Antragsgegner sich nicht gegen die vom AG ausgesprochene Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt wendet. Dies belegt der vom Beschwerdegericht gesehene Betreff ("wegen Beschwerdeverfahren-Trennungsunterhalt") ebenso wie der Umstand, dass der 17-seitige Schriftsatz an keiner Stelle auf den Kindesunterhalt eingeht. Es wird aber auch daraus deutlich, dass der Antragsgegner in seine Berechnungen zum Getrenntlebensunterhalt einen monatlichen Kindesunterhalt von 350 EUR und damit eben den - über dem titulierten Unterhalt liegenden - Betrag eingestellt hat, den er unstreitig stets bezahlt hat und den auch das AG bei der Berechnung des Getrenntlebensunterhaltsanspruchs der Antragstellerin berücksichtigt hat. Zweifel daran, dass dieser Teil der amtsgerichtlichen Entscheidung vom Antragsgegner mit der Beschwerde nicht angegriffen werden soll, verbleiben mithin nicht.
Rz. 15
(2) Aber auch hinsichtlich des Getrenntlebensunterhalts lässt die Beschwerdebegründung in für § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG ausreichender Weise erkennen, in welchem Umfang der angegriffene Beschluss abgeändert werden soll.
Rz. 16
(a) Das Beschwerdegericht vertritt allerdings zutreffend die Ansicht, aus dem Schriftsatz ergebe sich nicht, ob der Antragsgegner sich nur gegen die Höhe des zugesprochenen Unterhalts wende, also den Beschluss lediglich wegen der 8,46 EUR bzw. 62,66 EUR übersteigenden Monatsbeträge angreife, oder aber hinsichtlich des Getrenntlebensunterhalts wie in erster Instanz eine vollständige Antragsabweisung begehre. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, aus der im Fließtext enthaltenen Formulierung "zuzuerkennen sind" im Zusammenspiel mit dem konkret genannten Enddatum (28.2.2014) gehe das Rechtsschutzziel eindeutig hervor, geht fehl. Abgesehen davon, dass offen bleibt, ob eine Befristung nur hilfsweise geltend gemacht sein soll, enthält die Beschwerdebegründung auch Ausführungen zur Verwirkung. Diese finden sich zwar - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht anmerkt - unter "Verfahrensverlauf", schließen aber mit der Ankündigung, es werde hierzu noch in einem gesonderten Schriftsatz weiter ausgeführt. Dies lässt den Schluss als möglich erscheinen, dass der Einwand im Beschwerdeverfahren verfolgt werden soll.
Rz. 17
(b) Diese Unklarheit führt jedoch nicht dazu, dass die Beschwerde mangels Antrags unzulässig ist.
Rz. 18
(aa) Nach der Rechtsprechung des BGH darf ein Rechtsmittel nicht wegen Unbestimmtheit eines Teils des Beschwerdeangriffs insgesamt als unzulässig angesehen werden, wenn der Begründungsschrift eindeutig zu entnehmen ist, dass der Rechtsmittelführer seinen prozessualen Anspruch jedenfalls in einer bestimmten Höhe weiterverfolgen will. Darauf können sich Gericht und Gegner einstellen. Dem Schutzbedürfnis vor Unklarheit über den Umfang des Rechtsmittels, dem die Vorschrift des § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG dient, ist für diesen Teil des Beschwerdeangriffs Genüge getan (vgl. Senatsbeschluss v. 1.4.1987 - IVb ZB 86/86 - juris Rz. 13 und BGH, Urt. v. 1.7.1975 - VI ZR 251/74, NJW 1975, 2013, 2014).
Rz. 19
Die Vorschrift des § 537 Abs. 1 ZPO, nach der ein erstinstanzliches Urteil durch das Berufungsgericht auf Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist, soweit es durch die Berufungsanträge nicht angegriffen wird, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Zwar könnte sie ein schutzwürdiges Interesse des Berufungsbeklagten daran begründen, aus den in der Berufungsbegründungsfrist eingehenden Schriftsätzen des Rechtsmittelklägers eine eindeutige Kenntnis nicht nur von einem Mindestumfang, sondern vom gesamten Ausmaß des Berufungsangriffs zu erhalten. Die Bestimmung ist aber in Ehe- und Familienstreitsachen nicht anwendbar (§ 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG) und hat dort auch keine Entsprechung.
Rz. 20
Im Übrigen steht es einem Rechtsmittelführer - in Ehesachen mit der Einschränkung des § 145 Abs. 1 Satz 1 FamFG - frei, auch nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist den Beschwerdeantrag zu erweitern, soweit sich die Erweiterung auf bereits in der Rechtsmittelbegründungsschrift enthaltene Gründe stützt (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.1997 - XII ZR 39/97, NJW-RR 1998, 572 und BGH Beschl. v. 27.3.2012 - VI ZB 74/11, NJW-RR 2012, 662 Rz. 8). Selbst ein ausdrücklich eingeschränkter Beschwerdeantrag in der Beschwerdebegründung vermittelt daher für sich genommen dem Beschwerdegegner keine Gewissheit, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel nicht auch auf die ursprünglich nicht angegriffenen Teile der erstinstanzlichen Entscheidung erweitert.
Rz. 21
(bb) Nach diesen Maßstäben scheitert die Zulässigkeit der Beschwerde nicht daran, dass das Rechtsschutzziel unbestimmt wäre. Der Beschwerdebegründung kann eindeutig entnommen werden, dass der Antragsgegner die amtsgerichtliche Entscheidung zum Getrenntlebensunterhalt jedenfalls insoweit angreifen will, als er zur Zahlung von 8,46 EUR bzw. 62,66 EUR übersteigenden Monatsbeträgen verpflichtet worden ist. Die vom Beschwerdegericht - zu Recht - benannten Unklarheiten beziehen sich lediglich auf die Frage, ob der Antragsgegner darüber hinaus auch wegen Befristung und/oder Verwirkung für bestimmte Zeitabschnitte oder auch insgesamt eine vollständige Antragsabweisung begehrt. Diese Unklarheiten sind für die Frage der Zulässigkeit jedoch nicht maßgeblich.
Fundstellen