Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde bei fehlender grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Grundsätze zur Qualifizierung der Geschäftsführerhaftung im Fall einer Insolvenzverschleppung. Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde. Fehlende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Geschäftsführerhaftung. Insolvenzverschleppung
Leitsatz (redaktionell)
Eine Rechtsbeschwerde ist bei fehlender grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache unzulässig. Weitere Zulässigkeitsgründe kommen nicht in Betracht, wenn es an einer schlüssigen und substantiierten Darlegung fehlt.
Normenkette
ZPO § 574 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 30.12.2010; Aktenzeichen 5 W 71/09) |
LG Ellwangen (Entscheidung vom 04.11.2009; Aktenzeichen 5 O 360/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. Dezember 2010 wird auf Kosten des Rechtsbeschwerdeführers als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Rechtsbeschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorgenannte Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.381.152 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO, ABl. L 12/01 S. 1) in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Rz. 2
a) Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Grundsatzbedeutung liegt nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223; vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 191). An der Entscheidungserheblichkeit der zu klärenden Rechtsfrage fehlt es, wenn die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen richtig ist, die ihrerseits keine Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründen (vgl. Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 544 Rn. 14 mwN). Klärungsbedürftig ist sie nur dann, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über den Umfang und die Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Solche Unklarheiten liegen etwa dann vor, wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen zu einer Frage vertreten werden (Münch-Komm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 7). Ansichten in der Literatur, die vereinzelt geblieben oder nicht nachvollziehbar begründet sind, erzeugen keinen solchen Klärungsbedarf (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 – II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978 Rn. 3; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 543 Rn. 5a; Hk-ZPO/ Kayser, aaO § 543 Rn. 9).
Rz. 3
aa)Die Qualifizierung der Geschäftsführerhaftung bei Insolvenzverschleppung, wie sie auch Art. 299 § 1 des polnischen KSH vorsieht, ist zwar umstritten (vgl. nur Willemer, Vis attractiva concursus und die Europäische Insolvenzverordnung, 2006, S. 268 ff; Renner, Insolvenzverschleppungshaftung in internationalen Fällen, 2007, S. 107 ff; Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2011, S. 131 ff; Mankowski, NZI 2012, 53 mwN). Sie ist im Streitfall jedoch nicht entscheidungserheblich. Sofern entsprechende Rechtsstreitigkeiten nicht zivilrechtlich, sondern insolvenzrechtlich qualifiziert würden, könnte im Rahmen des Exequaturverfahrens gegen eine mitgliedstaatliche Entscheidung der ordre public-Vorbehalt nach Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2001 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (sog. EuInsVO, ABl. L 160/01) eingewandt werden. Die Auslegung des Art. 26 EuInsVO orientiert sich bei insolvenzbezogenen Einzelentscheidungen, die in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind, an den zu Art. 34 EuGVVO entwickelten Maßstäben (vgl. Virgós/Schmit, in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, Rn. 206; Gruber in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, 2005, Art. 26 Rn. 2; Duursma-Kepplinger, in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, 2002, Art. 26 Rn. 8 aE; Strobel, Die Abgrenzung zwischen EuGVVO und EuInsVO im Bereich insolvenzbezogener Einzelentscheidungen, 2006, S. 72 ff, 85; vgl. auch EuGH, Urteil vom 2. Mai 2006 – Rs. C-341/04, Eurofood, NZI 2006, 360 Rn. 64). Deshalb kann eine die Verteidigungsrechte des Rechtsbeschwerdeführers verletzende Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes entsprechend Art. 34 Nr. 2 EuGVVO einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public im Sinne von Art. 26 EuInsVO begründen (vgl. Strobel, aaO S. 76; Haubold, IPRax 2002, 157, 159), so dass sich die Qualifizierung der Geschäftsführerhaftung als zivil- oder insolvenzrechtlich im Ergebnis nicht auswirkt.
Rz. 4
bb) Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene weitere Frage, ob Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO eine statische Verweisung auf das EuGVÜ enthalte oder ob die Vorschrift als dynamische Verweisung auf die zwischenzeitlich in den Mitgliedstaaten in Kraft getretene EuGVVO zu verstehen sei, begründet nicht den für § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Klärungsbedarf. Aufgrund der Regelung des Art. 68 Abs. 2 EuGVVO, wonach Verweisungen auf das EuGVÜ fortan als Verweise auf die EuGVVO zu verstehen sind, wird Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO zutreffend als Verweisung auf die nunmehr geltende EuGVVO ausgelegt (Duursma-Kepplinger, aaO Art. 25 Rn. 2; Gruber in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, aaO Art. 25 Rn. 3; Kemper in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, 2010, Art. 25 EuInsVO Rn. 18; MünchKomm-BGB/Kindler, 5. Aufl., Art. 25 VO (EG) 1346/2000 Rn. 1; Pannen/Riedemann, Europäische Insolvenzverordnung, 2007, Art. 25 Rn. 37; Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 68 Brüssel I-VO Rn. 4; HK-InsO/Stephan, 6. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rn. 5; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, 2009 Art. 25 VO (EG) 1346/2000, Rn. 2; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2. Aufl., Art. 25 VO (EG) 1346/2000 Rn. 3, 13; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rn. 12; Haubold in Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 30 Rn. 204; Lorenz, Annexverfahren bei Internationalen Insolvenzen, 2005, S. 51; Haubold, IPRax 2002, 157, 159). Die von der Rechtsbeschwerde zitierte Empfehlung des französischen Justizministeriums (Bulletin officiel du Ministère de la Justice no 89 vom 17. März 2003) reicht ihrer Art nach nicht aus, um die aufgeworfene Rechtsfrage als klärungsbedürftig im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzusehen.
Rz. 5
b) Weitere Zulässigkeitsgründe – auch im Zusammenhang mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes – sind nicht schlüssig und substantiiert dargelegt (vgl. Hk-ZPO/Kayser, aaO § 544 Rn. 24 mwN). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
Rz. 6
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den vorstehenden Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO).
Unterschriften
Vill, Gehrlein, Lohmann, Fischer, Pape
Fundstellen