Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unerwartet verweigerter Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
a) Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen musste. Das ist der Fall, wenn dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Anlagen beigefügt war (im Anschluss an die Senatsbeschl. v. 31.8.2005 - XII ZB 116/05, FamRZ 2005, 1901 und v. 19.5.2004 - XII ZA 11/03, FamRZ 2004, 1548).
b) Enthalten die Angaben in dem Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht, wenn diese Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne Weiteres, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden können oder wenn sich aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass Einnahmen oder Vermögenswerte nicht vorhanden sind (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 3.5.2000 - XII ZB 21/00, NJW-RR 2000, 1520 und BGH v. 21.9.2005 - IV ZB 21/05, FamRZ 2005, 2062).
c) Hatte der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht und hat das Gericht ihm zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt, darf er jedenfalls bis zum Fristablauf weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen.
Leitsatz (redaktionell)
Hat das Gericht die Berufung wegen Fristversäumung als unzulässig und gleichzeitig den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen, nachdem zuvor die begehrte Prozesskostenhilfe versagt worden war, steht dies einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht entgegen, weil diese Entscheidung durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier: durch die Rechtsbeschwerdeinstanz) ihre Grundlage verliert und damit gegenstandslos wird.
Normenkette
ZPO § 234 Abs. 1, § 117 Abs. 4, §§ 114, 118 Abs. 2 S. 4, § 233
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 16.08.2007; Aktenzeichen 1 S 59/07) |
AG Kassel (Urteil vom 30.01.2007; Aktenzeichen 452 C 2931/06) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kassel vom 16.8.2007 aufgehoben.
Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des AG Kassel vom 30.1.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Wert: 667 EUR.
Gründe
I.
[1] Die Parteien streiten um Rückzahlung einer Mietkaution sowie um Verzugsschaden in Form außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
[2] Das AG hat die Beklagten zur Zahlung von 607,56 EUR nebst Zinsen sowie weiterer 59,15 EUR verurteilt. Das Urteil ist der Beklagten am 1.2.2007 zugestellt worden.
[3] Mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom 27.2.2007 hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens beantragt und dem Antrag eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen beigefügt. Mit Schreiben vom 16.3.2007 wurde der Beklagten vom Gericht aufgegeben, die Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu ergänzen. Dazu wurde ihr unter Hinweis auf § 118 Abs. 1 (richtig: Abs. 2) Satz 4 ZPO eine Frist von drei Wochen gesetzt. Die Frist wurde auf Antrag der Beklagten bis zum 9.5.2007 verlängert. Mit Schreiben vom 4.5.2007, eingegangen am 7.5.2007, ergänzte die Beklagte ihre Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Verfügung vom 11.5.2007, der Beklagten zugestellt am 16.5.2007, wurde der Beklagten aufgegeben, ihre Angaben weiter zu ergänzen. Außerdem hieß es darin:
"Das Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedarf des vollständigen Ausfüllens, insb. muss die Antragstellerin im Rahmen der "Wohnkosten" und der "sonstigen Zahlungsverpflichtungen" angeben, welche Zahlungen sie selbst auf die Verpflichtungen erbringt."
[4] Auch insoweit wurde der Beklagten eine Frist von drei Wochen gesetzt. Mit einem am 8.6.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 6.6.2007 reichte die Beklagte weitere Unterlagen ein und fragte ergänzend an, ob "nochmals ein komplett neu ausgefülltes Formular" über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht werden müsse. Mit Verfügung vom 13.6.2007, zugestellt am 15.6.2007, wurde der Beklagten Gelegenheit gegeben, "bis zum 27.6.2007 die im Schriftsatz vom 6.6.2007 vorgetragenen Tatsachen glaubhaft zu machen." Es bleibe der Beklagten unbenommen, ein neues Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen oder das bereits ausgefüllte Formular entsprechend zu ergänzen. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass am 28.6.2007 über das PKH-Gesuch entschieden werde. Mit einem am 27.6.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 26.6.2007 reichte die Beklagte eine neu ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie weitere Unterlagen zu Nebenkosten und zwei eidesstattliche Versicherungen ein. Mit Beschluss vom 28.6.2007 wurde der Beklagten die begehrte Prozesskostenhilfe versagt, weil sie ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch immer nicht in einem Umfang glaubhaft gemacht habe, der eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe zulasse. Der Beschluss wurde der Beklagten am 4.7.2007 zugestellt.
[5] Mit einem am 11.7.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 10.7.2007 beantragte die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, legte zugleich Berufung ein und begründete sie. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.8.2007 hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufung der Beklagten verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist sei nicht innerhalb der 14-tägigen Frist eingegangen. Diese habe spätestens am 26.6.2007 begonnen, als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wegen seiner unzureichenden Antwort auf die verschiedenen Hinweise der Kammer vernünftigerweise nicht mehr mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe rechnen dürfen. Die Wiedereinsetzungsfrist sei deswegen am (Dienstag) 10.7.2007 abgelaufen. Der am 11.7.2007 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei mithin verfristet. Damit sei auch die Berufung verspätet eingegangen und deswegen ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.
[6] Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
[7] 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
[8] Eine Entscheidung des BGH ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von der Beklagten für eine Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; BGH v. 9.2.2005 - XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
[9] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist.
[10] a) Eine arme Partei, die ein Rechtsmittel einlegen will, hat grundsätzlich Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie ihr Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte (st.Rspr. seit BGHZ 16, 1, 3). Das setzt allerdings voraus, dass dem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens innerhalb der Rechtsmittelfrist neben der ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die insoweit notwendigen Belege beigefügt waren (BGH v. 31.8.2005 - XII ZB 116/05, FamRZ 2005, 1901, 1902). Denn für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17.10.1994 (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO, 26. Aufl., § 117 Rz. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Der Antragsteller kann deswegen grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck nebst den erforderlichen Anlagen zu den Akten reicht (BGH v. 31.8.2005 - XII ZB 116/05, FamRZ 2005, 1901, 1902; v. 19.5.2004 - XII ZA 11/03, FamRZ 2004, 1548).
[11] Enthalten die Angaben im Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Solches kommt in Betracht, wenn diese Lücken oder Zweifel auf andere Weise ohne Weiteres, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen bzw. ausgeräumt werden können (BGH v. 3.5.2000 - XII ZB 21/00, NJW-RR 2000, 1520). Gleiches gilt, wenn zwar einzelne Fragen zu den Einnahmen nicht beantwortet sind, sich aber aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH Beschl. v. 21.9.2005 - IV ZB 21/05, FamRZ 2005, 2062 und BGH v. 3.5.2000 - XII ZB 21/00, NJW-RR 2000, 1520).
[12] Auch wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst ausgefüllter Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Anlagen innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht hatte und das Gericht ihm zur Vervollständigung der Angaben eine Frist gesetzt hatte, darf er weiterhin auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. In solchen Fällen entfällt das schutzwürdige Vertrauen in die Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe erst mit Ablauf der gesetzten Frist. Ist der Antragsteller der Auflage hingegen nachgekommen, endet sein schutzwürdiges Vertrauen erst mit Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses. Das gilt auch dann, wenn die dem Antragsteller gesetzte Frist mehrfach verlängert wurde, weil das schutzwürdige Vertrauen auf Bewilligung der begehrten Prozesskostenhilfe auch dann noch bis zur letzten gesetzten Frist fortbesteht. Selbst wenn der Antragsteller innerhalb der gesetzten Frist reagiert, aber zunächst nur einen Teil der offenen Fragen klärt, ist sein Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe weiter geschützt. Denn dies wäre auch ohne die (Teil-)Antwort der Fall, und dem Antragsteller bleibt es unbenommen, die Antwort bis zum Fristablauf weiter zu ergänzen.
[13] b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Denn der Vorsitzende und der Berichterstatter hatten der Beklagten wiederholt Fristen zur Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags gesetzt, die von der Beklagten stets beantwortet wurden. Die letzte mit Verfügung vom 13.6.2007 gesetzte Frist lief bis zum 27.6.2007. Jedenfalls bis zu diesem Tag durfte die Beklagte darauf vertrauen, doch noch Prozesskostenhilfe bewilligt zu bekommen. Daran ändert der Schriftsatz vom 26.6.2007 nichts, weil die Beklagte Gelegenheit hatte, weitere Fragen fristgerecht bis zum 27.6.2007 zu beantworten. Weil die Wiedereinsetzungsfrist deswegen frühestens am 27.6.2007 begann, war sie entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei Eingang des Antrags auf Wiedereinsetzung am 11.7.2007 nicht abgelaufen.
[14] Solange die vom Berufungsgericht gesetzte Frist lief, war die Beklagte somit schuldlos daran gehindert, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu wahren. Erst mit fruchtlosem Ablauf dieser Frist zur Ergänzung des Prozesskostenhilfeantrags durfte die Beklagte nicht mehr auf eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe vertrauen. Erst in diesem Zeitpunkt begannen mithin die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO.
[15] d) Die gleichzeitig ausgesprochene Verwerfung der Berufung steht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen, weil diese Entscheidung durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ihre Grundlage verliert und damit gegenstandslos wird (BGH v. 15.8.2007 - XII ZB 101/07, FamRZ 2007, 1725, 1726; v. 10.5.2006 - XII ZB 240/05, NJW 2006, 2269; v. 9.2.2005 - XII ZB 225/05, FamRZ 2005, 791, 792).
Fundstellen