Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch bei Vollziehung eines unrichtigen Steuerbescheides; Überleitung des Arrestverfahrens in das normale Vollstreckungsverfahren durch Erlass der Steuerbescheide
Leitsatz (amtlich)
a) Durch die Vollziehung von (unrichtigen) Steuerbescheiden entstandene Schäden sind nicht nach § 945 ZPO zu ersetzen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 31.1.1963 - III ZR 138/61, BGHZ 39, 77).
b) Dies gilt auch dann, wenn dem Erlass der Steuerbescheide ein Arrestverfahren vorausgegangen ist, das zur Pfändung einer Forderung geführt hat. Denn mit Erlass der Steuerbescheide ist das Arrestverfahren in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet und als solches fortgesetzt worden mit der Folge, dass das Arrestpfandrecht sich in ein (rangwahrendes) Pfändungspfandrecht umgewandelt hat (im Anschluss an BFH/NV 1987, 702; 2001, 458).
Leitsatz (redaktionell)
Auf kraft Gesetzes (§§ 251, 361 AO, § 69 FGO) sofort vollziehbare Steuerbescheide, deren Wirksamkeit durch die Einlegung eines Rechtsmittels nicht gehemmt wird, sind weder § 717 Abs. 2 ZPO noch § 945 ZPO anwendbar, weil nach zivilprozessualen Vorschriften der Gläubiger aus einem nur vorläufigen Titel auf eigenes Risiko vollstreckt und die Folgen zu tragen hat, falls der Titel letztlich keinen Bestand hat. Die Vollziehbarkeit eines Steuerbescheids beruht demgegenüber auf dem Vorrang des Allgemeininteresses vor dem Einzelinteresse und lässt einen Vergleich mit vorläufig vollstreckbaren Titeln aus dem Bereich des Zivilprozesses nicht zu.
Normenkette
ZPO §§ 945, 717 Abs. 2; AO § 324
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 20.10.2011; Aktenzeichen 1 U 2268/11) |
LG München I (Entscheidung vom 04.05.2011; Aktenzeichen 15 O 2549/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des OLG München vom 20.10.2011 - 1 U 2268/11 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO) zu tragen.
Streitwert: 883.000 EUR
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Rz. 2
1. Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Ersatz des Schadens (Kursverluste ab dem Jahr 2001), der ihm dadurch entstanden sein soll, dass sich die Finanzverwaltung im Sommer 2001 weigerte, der Übertragung eines - von ihr im Wege des Steuerarrestes gepfändeten - Wertpapierdepots des Klägers bei der H. AG auf ein "aktiv gemanagtes" Depot bei einer Schweizer Bank zuzustimmen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dabei haben sie insb. einen - von der Beschwerde in den Vordergrund gestellten - Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO (analog) verneint.
Rz. 3
a) Zu Unrecht rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht habe übersehen, dass nach der Rechtsprechung des BGH § 945 ZPO auch auf Fälle des Steuerarrestes anzuwenden ist. Die von der Beschwerde zitierte (ältere) Rechtsprechung bezieht sich noch auf § 378 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung, der auf die §§ 930 ff. ZPO verwies (s. BGH, Urt. v. 25.5.1959 - III ZR 39/58, BGHZ 30, 123, 128 ff. unter Aufgabe der entgegenstehenden Rechtsprechung des RG, vgl. RGZ 108, 253, sowie BGH, Urt. v. 26.11.1974 - VI ZR 124/72, BGHZ 63, 277 f.). Ob an dieser Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten der Abgabenordnung 1977, die in § 324 Abs. 3 Satz 4 lediglich die §§ 930 bis 932 ZPO für entsprechend anwendbar erklärt, festzuhalten ist, hat der Senat bisher offen gelassen (vgl. Beschl. v. 18.12.1986 - III ZR 168/86, BGHR ZPO § 945 Steuerarrest 1; Urt. v. 3.10.1985 - III ZR 168/86, VersR 1986, 289, 292). Der Gesetzgeber ist allerdings mit Einführung der Abgabenordnung ersichtlich von einer Anwendbarkeit ausgegangen. Denn er hat von einer ausdrücklichen Bezugnahme (auch) auf § 945 ZPO zum einen mit der Begründung Abstand genommen, die entsprechende Anwendung dieser Bestimmung durch die Rechtsprechung sei gesichert, so dass eine Rechtsunsicherheit nicht zu befürchten sei. Zum anderen hat er auf die anstehende umfassende Reform des Staatshaftungsrechts hingewiesen und es für nicht angezeigt gehalten, der Arbeit der von der Bundesregierung Anfang 1970 eingesetzten Staatshaftungsrechtskommission vorzugreifen (BT-Drucks. VI/1982, 184 zu §§ 307 bis 309 AO-E).
Rz. 4
b) Die Frage der analogen Anwendung des § 945 ZPO bedarf freilich auch im Streitfall keiner abschließenden Beantwortung. Denn das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass Vollstreckungsmaßnahmen auf der Grundlage der Arrestanordnung den behaupteten Schaden nicht herbeigeführt haben und schon deshalb ein Schadensersatzanspruch nach dieser Vorschrift nicht gegeben ist.
Rz. 5
aa) Vorliegend ergingen zwar aufgrund der Arrestanordnungen der Finanzverwaltung vom 15.2.1999 bzw. 30.5.2000 (auch) das Wertpapierdepot erfassende Pfändungsverfügungen gegen die H. AG als Drittschuldnerin. Aber noch vor der Verweigerung der Zustimmung durch die Finanzverwaltung und erst recht noch vor Entstehen der vom Kläger als Schaden geltend gemachten Kursverluste sind im Juni und August 2000 Steuerbescheide ergangen, die auch die durch die Arrestanordnung und Pfändungsverfügung gesicherten Steuerforderungen für das Jahr 1994 betrafen.
Rz. 6
Durch diese Steuerbescheide ist das Arrestverfahren in das normale Vollstreckungsverfahren übergeleitet und als solches fortgeführt worden. Das Arrestpfandrecht wandelte sich in ein - den Rang wahrendes - Pfändungspfandrecht um, ohne dass es einer erneuten Pfändung und einer Aufhebung der Arrestanordnung bedurfte (vgl. ausführlich BFH, NV 1987, 702 f, NV 2001, 458, 459; ebenso Bittner, in Pump/Fittkau, AO, Stand März 2009, § 324 Rz. 62 ff.).
Rz. 7
bb) Da mithin vorliegend die Rechtslage nicht anders zu beurteilen ist, als wenn die Pfändung des Wertpapierdepots erst bzw. nur aufgrund der Steuerbescheide ausgesprochen worden wäre, es also am Zurechnungszusammenhang zwischen der vorausgegangenen (erledigten) Arrestpfändung und dem geltend gemachten Schaden fehlt, hat das Berufungsgericht zutreffend § 945 ZPO für nicht einschlägig erachtet.
Rz. 8
Auf kraft Gesetzes (vgl. §§ 251, 361 AO, § 69 FGO) sofort vollziehbare Steuerbescheide, deren Wirksamkeit durch die Einlegung eines Rechtsmittels nicht gehemmt wird, sind weder § 717 Abs. 2 ZPO noch § 945 ZPO anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 31.1.1963 - III ZR 138/61, BGHZ 39, 77, 79 f; v. 11.3.1982 - III ZR 174/80, BGHZ 83, 190, 196 f.). Diesen Bestimmungen liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Gläubiger aus einem nur vorläufigen Titel auf eigenes Risiko vollstreckt und die Folgen zu tragen hat, falls der Titel letztlich keinen Bestand hat. Die Vollziehbarkeit eines Steuerbescheids beruht demgegenüber auf dem Vorrang des Allgemeininteresses vor dem Einzelinteresse und lässt einen Vergleich mit vorläufig vollstreckbaren Titeln aus dem Bereich des Zivilprozesses nicht zu (BGH vom 11.3.1982, a.a.O.; vom 31.1.1963, a.a.O., sowie Urt. v. 16.11.2000 - III ZR 1/00, NJW 2001, 1067, 1068).
Rz. 9
2. Auch im Übrigen enthält die angefochtene Entscheidung keine zulassungsrelevanten Rechtsfehler. Von einer näheren Begründung wird gem. § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 3424219 |
BFH/NV 2013, 175 |
DB 2012, 2396 |
DB 2012, 6 |
HFR 2013, 73 |