Leitsatz (amtlich)
a) Die Durchführung des Versorgungsausgleichs im Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 1 VersAusglG ist teilweise unbillig, wenn ein Ehegatte sich wegen eines in die Ursprungsentscheidung einbezogenen Anrechts hat abfinden lassen und dieses daher nicht mehr ausgeglichen werden kann (im Anschluss an BGH v. 1.4.2015 - XII ZB 701/13, FamRZ 2015, 998).
b) Zur Ermittlung des Umfangs der Beschränkung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG kann das FamG grundsätzlich die korrespondierenden Kapitalwerte des nicht mehr vorhandenen und des auszugleichenden Anrechts des durch das Erlöschen des Anrechts benachteiligten Ehegatten zugrunde legen. Eine weitergehende Ermittlungspflicht des FamG hinsichtlich nach § 47 Abs. 6 VersAusglG zu berücksichtigender weiterer Faktoren besteht nur, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte für von den korrespondierenden Kapitalwerten abweichende Werte der miteinander verglichenen Anrechte bestehen.
Normenkette
VersAusglG §§ 27, 47, 51 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 23.07.2013; Aktenzeichen 12 UF 1552/12) |
AG Miesbach (Entscheidung vom 09.08.2012; Aktenzeichen (G) 1 F 19/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG München vom 23.7.2013 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Wert: 1.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) sind geschiedene Ehegatten und beziehen Alterseinkünfte. Sie streiten über die Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich, die nach dem vor dem 1.9.2009 geltenden Recht ergangen ist.
Rz. 2
Der Versorgungsausgleich wurde im Scheidungsurteil vom 2.9.1993 für die Ehezeit vom 1.5.1956 bis zum 31.3.1991 durchgeführt. Dabei wurden neben auf beiden Seiten bestehenden gesetzlichen Rentenanwartschaften eine Beamtenversorgung des Ehemanns sowie eine Anwartschaft der Ehefrau bei einer kommunalen Zusatzversorgungskasse einbezogen.
Rz. 3
Auf Antrag des Ehemanns vom 1.12.2011 hat das AG die Entscheidung nach § 51 VersAusglG dahin abgeändert, dass es die gesetzlichen Rentenanrechte jeweils intern geteilt und im Weg der externen Teilung zu Lasten der Beamtenversorgung des Ehemanns bezogen auf das Ende der Ehezeit ein Anrecht der Ehefrau von monatlich 622,90 EUR bei der Deutschen Rentenversicherung Bund begründet hat. Hinsichtlich des Anrechts der Ehefrau auf Zusatzversorgung, das aufgrund einer an die Ehefrau 1995 geleisteten Abfindung von 25.801,76 DM erloschen ist, hat es festgestellt, dass ein Ausgleich nicht stattfinde. Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das OLG das zu Lasten der Beamtenversorgung begründete Anrecht der Ehefrau auf monatlich 590,10 EUR gekürzt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Das OLG hat im Rahmen der Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG das Anrecht der Ehefrau bei der Zusatzversorgungskasse als nicht mehr ausgleichsfähig angesehen, weil dieses nicht mehr vorhanden sei und weder geteilt noch fingiert werden könne. Auch ein schuldrechtlicher Ausgleich setze voraus, dass das Anrecht noch bestehe.
Rz. 6
In Betracht komme letztlich nur eine Berücksichtigung im Rahmen von § 27 VersAusglG, der auch im Abänderungsverfahren anwendbar sei. Die Ehefrau habe ihr Anrecht bei der Zusatzversorgungskasse aufgelöst, was zu einer Benachteiligung des Ehemanns führe. Dies müsse durch Kürzung der übertragenen Anrechte des Ehemanns berücksichtigt werden, weil es anderenfalls zu einer nicht vorgesehenen Abweichung von der Erstentscheidung käme, die auf dem einseitigen Verhalten der Ehefrau beruhte. Auf ein schuldhaftes Verhalten oder eine Schädigungsabsicht komme es nicht an. Es genüge, dass der Halbteilungsgrundsatz verletzt sei. Zwar reiche es nach der Auffassung des BGH nicht aus, wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs dazu führe, dass der Ausgleichsberechtigte eine höhere Versorgung erhalte als der Ausgleichspflichtige. Hier sei jedoch zu beachten, dass der Ausgleichspflichtige durch die Abfindung eines Anrechts der Ausgleichsberechtigten stärker belastet werde und dieses Anrecht ursprünglich auch rechtskräftig berücksichtigt worden sei. Daher sei die Herabsetzung des Versorgungsausgleichs geboten.
Rz. 7
Das OLG hat die Herabsetzung durchgeführt, indem es den dem Ausgleichswert korrespondierenden Kapitalwert der Beamtenversorgung um den korrespondierenden Kapitalwert der Zusatzversorgung vermindert hat, und ist zu einem Ausgleichsbetrag von monatlich 590,10 EUR (anstelle von 622,90 EUR) gelangt.
Rz. 8
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 9
a) Das OLG hat ausgehend von der Berechnung des AG die Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG schon deshalb als eröffnet angesehen, weil der Ausgleichswert der Beamtenversorgung des Ehemanns wesentlich gesunken ist. Insoweit erhebt die Rechtsbeschwerde keine Rügen und besteht auch sonst kein Anlass zur Beanstandung. Als Folge der nach der Übergangsregelung des § 51 Abs. 1 VersAusglG eröffneten Abänderung ist der Versorgungsausgleich nach dem seit 1.9.2009 geltenden Recht hinsichtlich sämtlicher einbezogener Anrechte vollständig und ohne Bindung an die Ausgangsentscheidung durchzuführen ("Totalrevision"; vgl. BGH v. 24.6.2015 - XII ZB 495/12, FamRZ 2015, 1688 Rz. 23 m.w.N.; zu fehlerhaft nicht in die Ausgangsentscheidung einbezogenen Anrechten vgl. allerdings BGH BGHZ 198, 91 = FamRZ 2013, 1548 Rz. 14 ff.).
Rz. 10
Zu Recht ist das OLG ferner davon ausgegangen, dass das in die Ausgleichsberechnung der Ausgangsentscheidung noch eingestellte und daher einbezogene Anrecht der Ehefrau bei der kommunalen Zusatzversorgungskasse (vgl. BGH v. 24.6.2015 - XII ZB 495/12, FamRZ 2015, 1688 Rz. 26) nicht mehr besteht und daher im Rahmen der Abänderung nach § 51 VersAusglG nicht mehr ausgeglichen werden kann (vgl. BGH v. 1.4.2015 - XII ZB 701/13, FamRZ 2015, 998 Rz. 10 f.; v. 18.4.2012 - XII ZB 325/11, FamRZ 2012, 1039 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 11
b) Die vom OLG in Anwendung von § 27 VersAusglG vorgenommene Kürzung des Ausgleichs der Beamtenversorgung des Ehemanns ist nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
Rz. 12
aa) § 27 VersAusglG findet im Abänderungsverfahren nach § 51 Abs. 1 VersAusglG Anwendung. Dies folgt bereits aus der sich aus § 52 Abs. 1 VersAusglG, § 226 Abs. 3 FamFG ergebenden ausdrücklichen gesetzlichen Verweisung und stimmt damit überein, dass der Versorgungsausgleich hinsichtlich der in die Ausgangsentscheidung einbezogenen Anrechte vollständig neu und ohne Bindung an die abzuändernde Entscheidung durchzuführen ist.
Rz. 13
bb) Gemäß § 27 Satz 1 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig erscheint, unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (BGH v. 1.4.2015 - XII ZB 701/13, FamRZ 2015, 998 Rz. 14 f.; v. 11.12.2013 - XII ZB 253/13, FamRZ 2014, 461 Rz. 13; v. 19.9.2012 - XII ZB 649/11, FamRZ 2013, 106 Rz. 16 m.w.N.).
Rz. 14
Aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG folgt, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen berechtigt sind. Die Leistungen, die von den Ehegatten im Rahmen der ehelichen Rollenverteilung erbracht werden, sind als grundsätzlich gleichwertig anzusehen; die Leistungen desjenigen Ehegatten, der Haushaltsführung und Kinderbetreuung übernommen hat, haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten. Der Versorgungsausgleich dient insoweit der Aufteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der beiden Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl. BverfG FamRZ 1984, 653, 654 und FamRZ 2003, 1173; BGH v. 16.10.2013 - XII ZB 176/12, FamRZ 2014, 105 Rz. 24; vgl. auch BGH v. 9.5.1990 - XII ZB 76/89, FamRZ 1990, 985, 986 f.).
Rz. 15
In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 27 VersAusglG die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde. Die Auslegung des § 27 VersAusglG hat sich indessen stets an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs zu orientieren, nämlich die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen zu verwirklichen und dem Ehegatten, der in der Ehezeit wegen der Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung zu verschaffen (BGH, Beschl. v. 16.10.2013 - XII ZB 176/12, FamRZ 2014, 105 Rz. 25; BverfG FamRZ 2003, 1173 f.).
Rz. 16
Tragender Grundsatz des Versorgungsausgleichs ist dementsprechend die in § 1 Abs. 1 VersAusglG niedergelegte Halbteilung der ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte. Der Senat hat demzufolge die Anwendung des § 27 VersAusglG gebilligt, wenn ein Ehegatte ein ehezeitlich erworbenes Anrecht durch Ausübung des ihm eingeräumten Kapitalwahlrechts dem Versorgungsausgleich entzogen hat und dieses auch nicht dem Zugewinnausgleich unterfiel. Der Senat hat dabei eine Treuwidrigkeit nicht darin erblickt, dass der Ehegatte das Anrecht dem Versorgungsausgleich entzogen hat, sondern darin, dass dieser gleichwohl in unverminderter Höhe an den Anrechten des anderen Ehegatten teilhaben will (BGH, Beschl. v. 1.4.2015 - XII ZB 701/13, FamRZ 2015, 998 Rz. 19 ff.).
Rz. 17
Dem entspricht die Lage im vorliegenden Fall. Dass die Ehefrau die Zahlung einer Abfindung gewählt hat und das Anrecht demzufolge erloschen ist, ist zwar für sich genommen nicht zuletzt deswegen unbedenklich, weil über den Versorgungsausgleich bereits rechtskräftig entschieden war und sie mit einer Abänderung der Entscheidung nicht rechnen musste. Infolge der durch die gesetzliche Übergangsregelung in § 51 VersAusglG eröffneten Totalrevision hat sich die Lage aber dadurch verschoben, dass die Ehefrau bei erneuter Durchführung des Versorgungsausgleichs an den ehezeitlichen Anrechten des Ehemanns unverändert hälftig teilhaben kann, während ihre Anwartschaft auf eine Zusatzversorgung nicht mehr zum Ausgleich zur Verfügung steht. Das OLG hat demnach in der schematischen Durchführung des Versorgungsausgleichs im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens in zulässiger Weise eine unbillige Härte i.S.v. § 27 Satz 1 VersAusglG erblickt und den Ausgleich der Beamtenversorgung soweit gekürzt, als dies zur Halbteilung der beiderseitigen Anrechte (einschließlich des entfallenen Anrechts der Ehefrau) erforderlich ist.
Rz. 18
cc) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das OLG habe die Funktion des korrespondierenden Kapitalwerts verkannt und keine Feststellungen zur Vergleichbarkeit der Anrechte getroffen. Vielmehr seien nach § 47 Abs. 6 VersAusglG bei einem Wertvergleich nach § 27 VersAusglG auch die weiteren Faktoren der Anrechte zu berücksichtigen. Die Rüge ist unbegründet.
Rz. 19
Nach § 47 Abs. 1 VersAusglG ist der korrespondierende Kapitalwert eine Hilfsgröße für ein Anrecht, dessen Ausgleichswert nach § 5 Abs. 3 VersAusglG nicht bereits als Kapitalwert bestimmt ist. Sie dient dazu, verschiedenartige Anrechte vergleichbar zu machen (vgl. BT-Drucks. 16/10144, 84; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl., § 47 VersAusglG Rz. 2). Für Anrechte i.S.d. § 44 Abs. 1 VersAusglG, also insb. Beamtenversorgungen, sind bei der Ermittlung des korrespondierenden Kapitalwerts die Berechnungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend anzuwenden (§ 47 Abs. 3 VersAusglG). Für ein Anrecht, das bei einem Träger einer Zusatzversorgung des öffentlichen oder kirchlichen Dienstes besteht, ist nach § 47 Abs. 4 Satz 2 VersAusglG als korrespondierender Kapitalwert der Barwert i.S.d. § 47 Abs. 5 VersAusglG zu ermitteln (vgl. MünchKomm/BGB/Dörr/Glockner 7. Aufl., § 47 VersAusglG Rz. 12 m.w.N.).
Rz. 20
Dass die Wertermittlung des OLG diesen Maßstäben nicht entspricht, wird von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Zwar sind nach § 47 Abs. 6 VersAusglG auch weitere Faktoren zu berücksichtigen, die sich auf die Versorgung auswirken (zu den Faktoren vgl. Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rz. 195; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl., § 47 Rz. 15), und hat das OLG insoweit keine gesonderten Feststellungen getroffen. Grundsätzlich darf das FamG aber von dem nach den oben stehenden Maßstäben ermittelten korrespondierenden Kapitalwert ausgehen, der den unterschiedlichen Typen der Versorgungen jedenfalls im Wesentlichen bereits Rechnung trägt (a.A. Erman/Norpoth BGB, 14. Aufl., § 47 Rz. 15, nach dem abweichend von der gesetzlichen Regelung sämtliche Anrechte nach § 47 Abs. 5 VersAusglG zu bewerten sein sollen). So wird sich insb. die Dynamik der jeweiligen Versorgung in der Regel im korrespondierenden Kapitalwert widerspiegeln (vgl. Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rz. 195). Eine weitergehende Ermittlungspflicht des FamG besteht dementsprechend nur, wenn im konkreten Fall - etwa wegen Unterschieden im Leistungsumfang, in der Dynamik oder der Insolvenzsicherung - Anhaltspunkte für von den korrespondierenden Kapitalwerten abweichende Werte der miteinander verglichenen Anrechte bestehen.
Rz. 21
Dass nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall zwischen der Beamtenversorgung des Ehemanns und der (ursprünglichen) Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes der Ehefrau insofern wesentliche Unterschiede bestehen, die das OLG zu weiteren Feststellungen hätten veranlassen müssen, ist von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt worden. Das OLG hat sich demnach bei der nach § 27 VersAusglG zu treffenden Billigkeitsentscheidung durch die Kürzung des externen Ausgleichs der Beamtenversorgung um einen Monatsbetrag von rund 33 EUR im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens gehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 9146153 |
NJW 2016, 1166 |
NJW 2016, 8 |
FamRZ 2016, 697 |
JZ 2016, 251 |
MDR 2016, 395 |
NJ 2016, 5 |
FF 2016, 173 |
FamRB 2016, 182 |
FK 2016, 204 |
NZFam 2016, 364 |