Leitsatz (amtlich)
Zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Kostenfestsetzungsverlangens bei Geltendmachung gleichartiger oder in innerem Zusammenhang zueinander stehender und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsener Ansprüche vor unterschiedlichen Gerichten.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1, § 103; BGB § 242
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 23.12.2011; Aktenzeichen 2 W 198/11) |
LG Berlin (Entscheidung vom 18.11.2011; Aktenzeichen 27 O 460/11) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des KG vom 23.12.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 553,49 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin nahm die Antragsgegnerin wegen eines bebilderten Artikels über die Erkrankung von Ernst August Prinz von Hannover in der Zeitschrift "die aktuelle" vom 30.7.2011 im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Verbreitung der Behauptung in Anspruch, ihre Mutter sei mit ihr und ihrer Schwester Alexandra auf Capri gewesen, als die schockierende Nachricht bekannt geworden sei. Das LG gab dem Antrag statt und erlegte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf. Den Gegenstandswert setzte das Gericht auf 10.000 EUR fest. Die Schwester der Antragstellerin erwirkte wegen derselben Behauptung in einem getrennten Verfahren vor dem LG Hamburg ebenfalls eine Unterlassungsverfügung. In einem gesonderten Verfahren vor dem LG Köln erwirkte die Antragstellerin eine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten die Veröffentlichung eines Lichtbilds untersagt wurde, das im Rahmen des genannten Artikels mit der Bildinnenschrift "Prinzessin Caroline wird von ihren Töchtern Charlotte und Alexandra im Urlaub begleitet" abgedruckt worden war. Die Mutter und Schwester der Antragstellerin ließen der Antragsgegnerin in jeweils getrennten Verfahren vor den LG Hamburg und Berlin im Wege der einstweiligen Verfügung die Veröffentlichung desselben Lichtbilds - die Mutter der Antragstellerin darüber hinaus eines weiteren Bildes - untersagen. Alle drei Betroffenen wurden von denselben Rechtsanwälten vertreten, die die Antragsgegnerin mit im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben abmahnte.
Rz. 2
In ihrem Kostenfestsetzungsantrag hat die Antragstellerin eine Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 3100 nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 775,64 EUR zur Festsetzung angemeldet. Die Rechtspflegerin beim LG hat dem Antrag entsprochen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, die Verfolgung der Unterlassungsansprüche in getrennten Verfahren sei rechtsmissbräuchlich und die hierdurch verursachten Mehrkosten nicht notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Antragstellerin müsse sich so behandeln lassen, als hätten sie und ihre Familienangehörigen ein einziges Verfahren durchgeführt. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom KG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter.
II.
Rz. 3
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand der rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren keine Berücksichtigung finden könne. Das Kostenfestsetzungsverfahren diene lediglich dazu, die vom Prozessgericht getroffene Kostengrundentscheidung der Höhe nach auszufüllen und sei deshalb auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und die Beurteilung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten. Die Entscheidung zwischen den Parteien streitiger Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen sei in diesem Verfahren nicht vorgesehen. Nach diesen Grundsätzen könne der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren nicht überprüfen, ob das Vorgehen einer Partei gegen mehrere Parteien oder das Vorgehen mehrerer Parteien gegen eine Partei in getrennten Verfahren rechtsmissbräuchlich sei. Bei dieser Frage gehe es nicht um die Ausfüllung einer konkreten Kostengrundentscheidung, sondern um die Kürzung der Erstattungsansprüche aufgrund umfangreicher materiell-rechtlicher Erwägungen, die die Entscheidungsmacht und die Entscheidungsmöglichkeiten des Rechtspflegers überschreite und in die Kompetenz des Prozessrichters gehöre.
III.
Rz. 4
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 5
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch §§ 574 Abs. 1 Satz 2, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 27.2.2003 - I ZB 22/02, BGHZ 154, 102, 103 f.). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, das als selbständige Folgesache mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist (BGH, Beschl. v. 6.4.2005 - V ZB 25/04, NJW 2005, 2233; v. 19.4.2007 - I ZB 47/06, GRUR 2007, 999 Rz. 8; v. 6.12.2007 - I ZB 16/07, NJW 2008, 2040 Rz. 6).
Rz. 6
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand, die Antragstellerin habe durch die Geltendmachung gleichgerichteter, auf identische Veröffentlichungen gestützter Unterlassungsansprüche in getrennten Verfahren ungerechtfertigt Mehrkosten verursacht, im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.
Rz. 7
a) Es kann offenbleiben, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die getrennte Geltendmachung der Unterlassungsansprüche entstandenen erhöhten Rechtsanwaltsgebühren mit der Begründung verneint werden kann, dass diese Kosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen seien (vgl. dazu BGH v. 11.9.2012 - VI ZB 59/11, juris Rz. 7 (insoweit in MDR 2012, 1314 nicht abgedruckt)).
Rz. 8
b) Denn der Einwand der Antragsgegnerin ist im Kostenfestsetzungsverfahren jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen.
Rz. 9
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH und des BVerfG unterliegt jede Rechtsausübung - auch im Zivilverfahren - dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (BGH, Beschl. v. 10.5.2007 - V ZB 83/06, BGHZ 172, 218 Rz. 13 f.; v. 2.5.2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rz. 12 f.; Urt. v. 19.12.2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 323; BVerfG NJW 2002, 2456, jeweils m.w.N.). Als Ausfluss dieses auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes ist die Verpflichtung jeder Prozesspartei anerkannt, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind (vgl. BGH v. 11.9.2012 - VI ZB 59/11, MDR 2012, 1314 Rz. 9; BGH, Beschl. v. 31.8.2010 - X ZB 3/09, NJW 2011, 529 Rz. 10; v. 2.5.2007 - XII ZB 156/06, a.a.O., Rz. 12 ff.; v. 18.10.2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; KG, KGReport Berlin 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2001, 427, 428; OLG München OLGReport München 2001, 105; Giebel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., Rz. 41, 48, 110; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., § 91 Rz. 9; Jaspersen/Wache in Vorwerk/Wolf, Beck OK ZPO, § 91 Rz. 152 (Stand: April 2012); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 91 Rz. 140; von Eicken/Mathias, Die Kostenfestsetzung, 20. Aufl., Rz. B 362; vgl. auch Senat, Urt. v. 1.3.2011 - VI ZR 127/10, AfP 2011, 184).
Rz. 10
bb) So kann es als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen einheitlichen Lebenssachverhalt willkürlich in mehrere Prozessmandate aufgespalten hat (vgl. Giebel in MünchKomm/ZPO, a.a.O., Rz. 48). Dies kann beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn er einen oder mehrere gleichartige oder in einem inneren Zusammenhang stehende und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt hat (vgl. BGH v. 11.9.2012 - VI ZB 59/11, a.a.O., Rz. 10; BGH, Beschl. v. 18.10.2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; v. 2.5.2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rz. 13; OLG Düsseldorf, JurBüro 1982, 602; 2002, 486; 2011, 648, 649; OLG Koblenz, VersR 1992, 339; KG, KGReport Berlin 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; OLG München OLGReport München 2001, 105 f.; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2001, 427, 428). Gleiches gilt für Erstattungsverlangen in Bezug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den- oder dieselben Antragsgegner vorgegangen sind (vgl. BGH v. 11.9.2012 - VI ZB 59/11, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 18.10.2012 - V ZB 58/12, z.V.b.; OLG Frankfurt, JurBüro 1974, 1599; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2001, 427, 428; OLG München OLGReport München 2001, 105 f.; KG KGReport Berlin 2000, 414, 415; 2002, 172, 173; Giebel in MünchKomm/ZPO, a.a.O., Rz. 48, 110; Musielak/Lackmann, a.a.O.; Jaspersen/Wache in Vorwerk/Wolf, a.a.O., Rz. 119.8 (Stand: April 2012)). Eine Qualifikation des Kostenfestsetzungsverlangens als rechtsmissbräuchlich kommt auch dann in Betracht, wenn der bzw. die von demselben Prozessbevollmächtigten vertretenen Antragsteller die gleichartigen oder in innerem Zusammenhang zueinander stehenden und aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsenen Ansprüche vor unterschiedlichen Gerichten verfolgt haben, obwohl eine subjektive Klagehäufung auf der Aktiv- oder Passivseite für den oder die Antragsteller nicht mit Nachteilen verbunden gewesen wäre (vgl. OLG München OLGReport München 2001, 105, 106; vgl. zu § 8 Abs. 4 UWG BGH, Urt. v. 6.4.2000 - I ZR 76/98, BGHZ 144, 165, 177 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 8 Rz. 4.16).
Rz. 11
c) Auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob das Festsetzungsverlangen der Antragstellerin, soweit es auf die Erstattung der durch die getrennte Rechtsverfolgung entstandenen Mehrkosten gerichtet ist, als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Zwar ergeben sich die von der Antragstellerin und ihren Familienangehörigen in den getrennten Verfahren erhobenen Unterlassungsansprüche aus demselben Lebenssachverhalt - der Veröffentlichung des bebilderten Artikels in der Zeitschrift "die aktuelle" vom 30.7.2011. Nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Vorbringen der Antragsgegnerin, das mangels entsprechender Feststellungen des Beschwerdegerichts im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist, sind die Unterlassungsansprüche auch gleichartig und gleichgerichtet. Ihre Geltendmachung diente in allen Fällen dem Zweck, eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin bzw. ihrer Familienangehörigen durch einen rechtswidrigen Eingriff in ihre Privatsphäre für die Zukunft zu unterbinden. Die Antragstellerin und ihre Familienangehörigen hatten ihre Ansprüche gegenüber der Antragsgegnerin mit weitgehend gleichlautenden Abmahnschreiben geltend gemacht. Die Ansprüche stehen darüber hinaus in einem inneren Zusammenhang. Denn die Wort- und Bildberichterstattung war Bestandteil eines Artikels. Das die Antragstellerin, ihre Schwester und ihre Mutter abbildende Foto war durch die Gestaltung und die Beifügung der Bildinnenschrift "Prinzessin Caroline wird von ihren Töchtern Charlotte und Alexandra im Urlaub begleitet" in einen Zusammenhang mit der Wortberichterstattung gestellt worden; gleiches gilt für das Prinzessin Caroline abbildende Foto, das mit der Bildinnenschrift "Hat sie die schreckliche Nachricht erhalten? Prinzessin Caroline ist derzeit auf der Insel Capri" versehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2011 - VI ZR 214/10, AfP 2011, 362 Rz. 21 ff.). Sachliche Gründe für eine getrennte Geltendmachung der gleichartigen Unterlassungsansprüche sind weder ersichtlich noch dargetan. Die Aktenbearbeitung und Abwicklung eines Verfahrens, in dem ein Antragsteller gleichgerichtete Ansprüche aus einem einheitlichen Lebensvorgang gegen dieselbe Antragsgegnerin verfolgt, begründet keine erhöhten Anforderungen, die eine getrennte Rechtsverfolgung als sachgemäß erscheinen lassen könnten (vgl. BGH, Urt. v. 17.11.2005 - I ZR 300/02, NJW-RR 2006, 474 Rz. 21). Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - aber keine Feststellungen zum zeitlichen Zusammenhang der Verfahren getroffen.
Rz. 12
3. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sollte sich das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich erweisen, müsste sich die Antragstellerin kostenrechtlich so behandeln lassen, als hätten sie und ihre Familienangehörigen ein einziges Verfahren geführt (vgl. BGH v. 11.9.2012 - VI ZB 59/11, juris Rz. 12 (insoweit in MDR 2012, 1314 nicht abgedruckt); BGH, Beschl. v. 2.5.2007 - XII ZB 156/06, juris Rz. 6 (insoweit nicht in NJW 2007, 2257 abgedruckt), jeweils m.w.N.). Sie könnte die Kosten der Rechtsverfolgung dann nicht in voller Höhe erstattet verlangen, sondern nur anteilig im Verhältnis der Gegenstandswerte der Einzelverfahren zum - gem. § 22 Abs. 1 RVG ermittelten - (fiktiven) Gesamtgegenstandswert eines einheitlichen Verfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 2.10.2012 - VI ZB 68/11, z.V.b.; KG, KGReport Berlin 2002, 172, 174).
Fundstellen
EBE/BGH 2013 |
NJW-RR 2013, 442 |
GRUR 2013, 206 |
JZ 2013, 131 |
MDR 2013, 247 |
NJ 2013, 518 |
Rpfleger 2013, 236 |
VersR 2013, 1283 |
ZUM-RD 2013, 181 |
AGS 2013, 95 |
RVGreport 2013, 108 |
Mitt. 2013, 200 |
RVG prof. 2013, 39 |