Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrung der Rechtsmittelfrist. Nachtbriefkasten. Sammelumschlag
Leitsatz (redaktionell)
Mit dem fristgerechten Einwurf einer Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten eines Amts- und Landgerichts wird zumindest Mitgewahrsam des Berufungsgerichts an dem Briefumschlag begründet, in dem sie sich mit anderen Schriftsätzen befindet. Die Fristwahrung kann nicht von der jeweiligen, auf internen Anordnungen der Gerichtsverwaltung beruhenden Organisation der Behandlung der in den gemeinsamen Nachtbriefkasten gelangten Sendungen abhängig gemacht werden.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 20.05.2003; Aktenzeichen 3 S 315/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz v. 20.5.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Kläger sind die Erben des während des Berufungsverfahrens verstorbenen früheren Klägers D. H.. Sie begehren die Feststellung, dass der Beschluss des beklagten Sportvereins v. 21.1.2002 über den Ausschluss des Erblassers unwirksam war und dessen Mitgliedschaft beim Beklagten bis zu seinem Tode fortbestand.
Das AG hat die gegen seinen Ausschluss und das ihm erteilte Hausverbot gerichtete Klage des Erblassers mit Urt. v. 22.11.2002 abgewiesen. Gegen diese ihm am 27.11.2002 zugestellte Entscheidung legte der frühere Kläger fristgerecht Berufung ein. Am Abend des 27.1.2003 warf sein Prozessbevollmächtigter die an das zuständige LG adressierte Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und LG Landau ein. Der Schriftsatz befand sich mit für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle bestimmter Post in einem Sammelumschlag, der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressiert war. Der Umschlag wurde am 28.1.2003 aus dem Nachtbriefkasten entnommen und ungeöffnet an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle übermittelt. Nachdem dort die für das LG bestimmte Berufungsbegründung entdeckt worden war, wurde diese noch am gleichen Tag weitergeleitet.
Nachdem den Klägern der Eingang v. 28.1.2003 mitgeteilt worden war, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, die Berufungsbegründung sei fristgerecht am 27.1.2003 in den Nachtbriefkasten der gemeinsamen Annahmestelle gelangt, jedenfalls treffe sie aber an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden.
Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.
II. 1. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die den Klägern den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfG v. 14.5.1985 - 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381 [385] = MDR 1985, 816 = CR 1986, 491; v. 2.12.1987 - 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 [284] = MDR 1988, 464; v. 2.3.1993 - 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 [123 f.]; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004; v. 20.12.2001 - 2 BvR 1100/01, NJW-RR 2002, 1005; v. 16.1.2002 - 1 BvR 1859/01, NJW - RR 2002, 1007). Mit dem - fristgerechten - Einwurf der in dem Sammelbriefumschlag befindlichen Berufungsbegründung in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- und LG wurde zumindest Mitgewahrsam des Berufungsgerichts an dem Briefumschlag nebst Inhalt begründet. Ein zur Entgegennahme von Schriftstücken für alle beteiligten Gerichte bestellter Beamter hätte somit beim Öffnen des Umschlags den Schriftsatz sogleich für das Berufungsgericht entgegengenommen, auch wenn der Sammelumschlag vor seiner Öffnung nicht erkennen ließ, dass er die an das Berufungsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift enthielt. Mit der Entgegennahme der Berufungsbegründung durch den Beamten der gemeinsamen Annahmestelle wäre aus dem Mitgewahrsam Alleingewahrsam des Berufungsgerichts geworden, mit der Folge, dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt gewesen wäre (BGH, Beschl. v. 21.10.1960 - V ZB 11/60, NJW 1961, 361; BAG AnwBl. 2001, 72; s. auch Jauernig, ZZP 1974, 199).
An der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift durch die Einlegung in den Nachtbriefkasten ändert sich nicht etwa deshalb etwas, weil hier innerhalb der Gerichtsverwaltung die Anweisung bestand, Eingänge der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle ungeöffnet dem Nachtbriefkasten zu entnehmen und der zuständigen Sachbearbeiterin zu übergeben.
Der Gesetzgeber hat in der Zivilprozessordnung und in den dort in Bezug genommenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verbindlich festgelegt, wie und innerhalb welcher Zeit in einem Zivilprozess Rechtsmittel eingelegt werden können. Daran sind die Gerichte gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Frage der Fristwahrung hängt allein von den im Gesetz genannten objektiven Voraussetzungen ab. Sie kann nicht von der jeweiligen, auf internen Anordnungen der Gerichtsverwaltung beruhenden Organisation der Behandlung der in den gemeinsamen Nachtbriefkasten gelangten Sendungen abhängig gemacht werden. Die Entscheidung, ob eine Rechtsmittelfrist gewahrt ist oder nicht, ergäbe sich dann nämlich nicht mehr aus dem Gesetz allein, sondern hinge zusätzlich von - der Partei regelmäßig unbekannten und bei einzelnen Gerichten teilweise unterschiedlichen - internen Anordnungen über die Behandlung der eingegangenen Postsendungen ab. Die an dem gemeinsamen Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte könnten, würde man den internen Anweisungen Beachtung schenken, den bereits mit dem Einwurf in den gemeinsamen Nachtbriefkasten begründeten (Mit) Gewahrsam des zuständigen Gerichts dadurch vereiteln oder rückwirkend wieder beseitigen, dass sie die gemeinsame Annahmestelle "hinter" dem Nachtbriefkasten dergestalt organisieren, dass verschlossene Umschläge nicht zu öffnen sind (BAG AnwBl. 2001, 72).
Eine Berechtigung oder gar eine Verpflichtung zu der hier gegebenen gerichtsinternen Anordnung über die Behandlung der an die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle adressierten Postsendungen folgt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht daraus, dass in § 35 Nr. 1 GVO geregelt ist, dass die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle den Zeitpunkt der Übergabe eines Auftrags auf dem Schriftstück zu vermerken hat. Damit wird lediglich eine Pflicht der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle begründet. Wird Post für die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle in den Nachtbriefkasten eingeworfen, der, da die Verteilungsstelle bei dem AG eingerichtet ist, auch für den Einwurf dieser Post bestimmt ist, lässt sich der Regelung in § 35 Nr. 1 GVO nicht entnehmen, dass allein die Gerichtsvollzieherverteilungsstelle und nicht - auch - der Beamte, der zur Entgegennahme der Schriftstücke für alle an dem Nachtbriefkasten beteiligten Gerichte zuständig ist, seinerseits diese Post entgegennehmen und ihren Eingang bestätigen darf. Insofern unterscheidet sich der Fall von den den Entscheidungen BGH NJW 1994a.a.O.; und BGH, Urt. v. 5.4.1990 - VII ZR 215/89, MDR 1990, 813 = NJW 1990, 2822 zu Grunde liegenden Fällen, da dort jeweils die Befugnis des Beamten, den Briefumschlag zu öffnen, auf Grund der nicht das Gericht betreffenden Adressierung des Umschlags ersichtlich nicht gegeben war.
Fundstellen
Haufe-Index 1171411 |
BGHR 2005, 49 |
FamRZ 2004, 1480 |
NJW-RR 2005, 75 |
JurBüro 2005, 56 |
NJW-Spezial 2004, 383 |
BRAK-Mitt. 2004, 220 |
www.judicialis.de 2004 |