Entscheidungsstichwort (Thema)
Einlegung der Berufung durch nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen Prozessbevollmächtigten. Wiedereinsetzungsantrag. Unwirksamkeit der Berufung. Verschulden des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (amtlich)
Ist die vom Prozessbevollmächtigten eingelegte Berufung unwirksam, weil er nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen und aus der beim Berufungsgericht geführten Rechtsanwaltsliste gelöscht ist, muss sich die Partei die schuldhafte Unkenntnis des Prozessbevollmächtigten von der Löschung nicht zurechnen lassen (im Anschluss an BAG, Urt. v. 18.7.2007 - 5 AZR 848/06, NJW 2007, 3226; Abgrenzung zu BVerwG, Beschl. v. 10.6.2005 - 1 B 149/04, NJW 2005, 3018).
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des OLG Köln vom 21.5.2007 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 34.063,48 EUR.
Gründe
[1] I. Das LG hat die von der Klägerin erhobene Klage durch Urteil vom 27.10.2006 abgewiesen. Die schriftlich abgefasste Entscheidung ist am 8.11.2006 im Büro der klägerischen Prozessbevollmächtigten zugegangen. Mit am 8.12.2006 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin durch den früheren Rechtsanwalt Dr. K. Berufung gegen das Urteil eingelegt. Durch Mitteilung vom 12.1.2007 machte die Rechtsanwaltskammer Köln das OLG darauf aufmerksam, dass Dr. K. seit dem 11.1.2005 nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen und am 4.7.2006 aus der Liste der beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwälte gelöscht worden war. Am 29.1.2007 hat Rechtsanwalt G. für die Klägerin erneut Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, seiner Sozietät und Dr. K. sei dessen Löschung aus der Anwaltsliste erst am 24.1.2007 bekannt geworden.
[2] Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Frist zur Einlegung der Berufung sei versäumt, weil Dr. K. mit seinem Schriftsatz vom 8.12.2006 keine wirksame Berufung eingelegt habe. Die Frist sei schuldhaft versäumt, weil er das Weiterbestehen seiner Zulassung sowie der Eintragung in die Rechtsanwaltsliste nicht überprüft habe, obwohl dafür durch das ihm bekannte Verfahren auf Widerruf der Zulassung hinreichend Veranlassung bestanden habe und die Prüfung der Prozesshandlungsvoraussetzungen zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts gehöre. Handlungen des von ihr bevollmächtigten Vertreters müsse sich die Partei gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
[3] II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin aus Gründen zurückgewiesen hat, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Justizgewährungsanspruch gebieten, den Zugang zu den Gerichten einschließlich der höheren Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.4.2004 - 1 BvR 1819/00, NJW 2004, 2583; BGHZ 151, 221; BGH, Beschl. v. 18.7.2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778). Diese Verfahrensgrundrechte sind hier berührt.
[4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
[5] a) Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung einer Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels setzt voraus, dass die Frist versäumt ist (BGH, Beschl. v. 17.1.2007 - VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457). So verhält es sich hier. Zwar trägt die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde erstmals vor, das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des angefochtenen Urteils habe Dr. K. erteilt, obwohl er seinerzeit auch in der Liste der beim LG Köln zugelassenen Rechtsanwälte gelöscht gewesen sei, weshalb diese Zustellung unwirksam sei. Mit diesem neuen Vorbringen kann die Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden. Die Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die belegen sollen, dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt war, wenn sie in der Berufungsinstanz nicht vorgetragen worden sind (BGH, Beschl. v. 18.9.2003 - IX ZB 40/03, MDR 2004, 107). Es ist im Rechtsbeschwerdeverfahren deshalb davon auszugehen, dass die Berufungsfrist am 8.11.2006 in Gang gesetzt worden ist und dementsprechend bei Eingang der von Rechtsanwalt G. unterzeichneten Berufungsschrift abgelaufen war.
[6] b) Das OLG geht unausgesprochen davon aus, dass ein die Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist treffendes eigenes Verschulden nicht in Betracht kommt. Dagegen bestehen nach Lage der Dinge keine rechtlichen Bedenken. Ein Verschulden von Dr. K. muss die Klägerin sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
[7] aa) Ob § 85 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar ist, weil der Verlust der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zugleich die einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht entfallen lasse, wird in der Fachliteratur unterschiedlich beurteilt (bejahend etwa: Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 86 Rz. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 86 Rz. 5; verneinend: Musielak/Weth, ZPO, 5. Aufl., § 86 Rz. 7; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 86 Rz. 10).
[8] bb) Der III. Zivilsenat des BGH hat, ohne die Frage entscheiden zu müssen, zu der Ansicht geneigt, dass der Fortbestand der Prozessvollmacht mit Blick auf das Bedürfnis, die Mandanten vor ungeeigneten Rechtsvertretern zu schützen, zu verneinen sei (BGHZ 166, 117 Tz. 17). Das BAG hat in seinem Urteil vom 18.7.2007 (5 AZR 848/06, NJW 2007, 3226) die Frage ebenfalls offen gelassen, jedoch ausgesprochen, die Partei müsse sich Handeln ihres Prozessbevollmächtigten nach Widerruf seiner Zulassung zur Anwaltschaft und Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung im überwiegenden öffentlichen Interesse nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Diese Bestimmung sei eine den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen des Prozesses Rechnung tragende Sondervorschrift, die gewährleisten solle, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lasse, in jeder Weise so behandelt werde, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte. Dürfe der Prozessbevollmächtigte aufgrund eines Berufsausübungsverbots nicht mehr tätig werden, gehe es nicht um die von § 85 Abs. 2 ZPO umfassten, zu einer ordnungsgemäßen Prozessführung gehörenden Handlungen oder Unterlassungen. Vielmehr dürfe der Anwalt aus Gründen der Gefahrenabwehr überhaupt nicht mehr für die Partei tätig werden (§ 155 Abs. 2 und 4 BRAO). Eine Zurechnung der Gründe für das Berufsausübungsverbot würde den Rahmen des § 85 Abs. 2 ZPO sprengen und auch den Schutzzweck der §§ 244, 249 ZPO, 155, 156 Abs. 2 BRAO in sein Gegenteil verkehren.
[9] c) Dieser Ansicht tritt der Senat bei. Sie steht in Einklang mit den Zwecken des in § 78 ZPO verankerten Anwaltszwangs im Anwaltsprozess. Der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und zugleich den Interessen der Prozessparteien, die sich vor den LG und OLG nur durch einen bei einem AG oder LG bzw. einem OLG zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen können. § 78 ZPO ist eine formale Ordnungsvorschrift, die zwingend und strikt regelt, wann und in welcher Weise sich die Parteien eines Rechtsstreits durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen und welche Voraussetzungen diese - nach rein formalen Gesichtspunkten - erfüllen müssen (BGH, Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 11/00, NJW 2000, 3357). Es erschiene als ein schwer verständlicher Widerspruch, eine Partei einerseits zu verpflichten, sich zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eines zugelassenen Rechtsanwalts zu bedienen, ihr aber andererseits das Verschulden einer Person zuzurechnen, die ohne Zulassung zur Anwaltschaft lediglich noch als Rechtsanwalt auftritt und deren Rechtshandlungen wegen der Löschung in der Liste der zugelassenen Anwälte unwirksam sind (vgl. § 36 Abs. 2 BRAO; Henssler/Prütting, BRAO 2. Aufl., § 36 Rz. 4; vgl. auch BGHZ 90, 249, 253; BGH, Beschl. v. 8.10.1986 - VIII ZB 41/86, NJW 1987, 327). § 85 Abs. 2 ZPO bürdet der Partei im Anwaltsprozess das Risiko auf, dass der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt im Rahmen der Prozessvollmacht bei seinen Prozesshandlungen seine Pflichten schuldhaft verletzt. Das Risiko dafür, dass der als Rechtsanwalt beauftragte Prozessbevollmächtigte überhaupt noch Prozesshandlungen vor einem Gericht vornehmen kann und vornimmt, obwohl er nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen ist und seine Postulationsfähigkeit verloren hat, kann jedenfalls der von diesem Prozessbevollmächtigten gutgläubig vertretenen Partei dagegen nicht auferlegt werden. Die unter dem Gesichtspunkt der eingetretenen Rechtskraft des unwirksam angefochtenen Urteils berührte Rechtssicherheit muss in einem solchen Fall zurücktreten (vgl. BGH NJW 1986, 327).
[10] d) Dieser Entscheidung des Senats steht der Beschluss des BVerwG vom 10.6.2005 (1 B 149/04, NJW 2005, 3018) nicht entgegen. Demzufolge führt der Verlust der Postulationsfähigkeit des Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten im Verlauf des Verfahrens infolge Widerrufs seiner Zulassung zur Anwaltschaft nicht dazu, dass der Beteiligte nicht (mehr) nach Vorschrift des Gesetzes i.S.v. § 138 Nr. 4 VwGO vertreten ist. Damit ist nicht zugleich beantwortet, ob eine Partei sich zurechnen lassen muss, dass der Prozessbevollmächtigte schuldhaft für sie ein infolge des Wegfalls seiner Postulationsfähigkeit unwirksames Rechtsmittel einlegt. Dazu hat das BVerwG nicht in den tragenden Gründen seiner Entscheidung Stellung genommen.
[11] e) Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie an der Versäumung der Berufungsfrist kein zurechenbares Verschulden eines von ihr beauftragten Rechtsanwalts trifft. Sie hat durch die eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwalt S. glaubhaft gemacht, dass dieser und Rechtsanwalt G. erst am 24.1.2007 durch eine telefonische Mitteilung der Rechtsanwaltskammer Köln von Dr. K. Streichung aus der Liste der zugelassenen Anwälte erfahren haben und dass die Anwaltskammer sich zur Begründung für diese späte Mitteilung auf ihre Verschwiegenheitsverpflichtung berufen hat.
[12] Das Berufungsgericht wird deshalb in der Sache über das eingelegte Rechtsmittel zu entscheiden haben.
Fundstellen