Leitsatz (amtlich)
Dem Antrag einer Partei auf Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens ist grundsätzlich auch dann zu entsprechen, wenn der Sachverständige das Gutachten in einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren erstattet hat.
Normenkette
ZPO §§ 397, 402, 411 Abs. 3, § 493
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 24.10.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 38.321,45 EUR
Gründe
I.
[1] 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
[2] 2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft dem Antrag des Klägers, neben dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. F. auch den Sachverständigen J. zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens zu laden, nicht entsprochen hat. Dem mit Schriftsatz vom 24.2.2006 gestellten Antrag des Klägers hätte das Berufungsgericht stattgeben müssen. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige J. sein Gutachten im vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren erstattet hat. Bei Identität der Beteiligten steht die selbständige Beweiserhebung unter der - im Streitfall gegebenen - Voraussetzung von § 493 Abs. 1 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich (Senatsbeschluss v. 13.9.2005 - VI ZB 84/04, BGHZ 164, 94, 97 = BGHReport 2005, 1613 m. Anm. Ulrich = GesR 2006, 28 = MDR 2006, 287). Deshalb hätte das Berufungsgericht zur Klärung der zwischen den beiden Gutachten bestehenden Widersprüche nicht nur den in zweiter Instanz beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. F. laden, sondern auch dem Antrag des Klägers auf Ladung des Sachverständigen J. stattgeben müssen.
[3] Die beantragte Ladung eines Sachverständigen ist grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn das Gericht selbst das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Es ist auch nicht notwendig, dass ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senat, Urt. v. 17.12.1996 - VI ZR 50/96, MDR 1997, 286 = VersR 1997, 509; v. 7.10.1997 - VI ZR 252/96, MDR 1998, 58 = VersR 1998, 342, 343; v. 22.5.2001 - VI ZR 268/00, MDR 2001, 1130 = BGHReport 2001, 660 = VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st.Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; Senat, Urt. v. 24.10.1995 - VI ZR 13/95, MDR 1996, 92 = VersR 1996, 211, 212; v. 17.12.1996 - VI ZR 50/96, MDR 1997, 286 -, a.a.O.; v. 7.10.1997 - VI ZR 252/96, MDR 1998, 58 -, a.a.O.; v. 29.10.2002 - VI ZR 353/01, MDR 2003, 168 = BGHReport 2003, 256 = VersR 2003, 926, 927; Senatsbeschlüsse v. 10.5.2005 - VI ZR 245/04, BGHReport 2005, 1348 = MDR 2005, 1308 = VersR 2005, 1555; v. 8.11.2005 - VI ZR 121/05, NJW-RR 2006, 1503, 1504; v. 5.9.2006 - VI ZR 176/05, NJW-RR 2007, 212). Es kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Sachverständige nicht nur ein Erstgutachten, sondern - wie im Streitfall - ein Ergänzungsgutachten erstattet hat. Beschränkungen des Antragsrechts - wie etwa aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder der Prozessverschleppung (vgl. Senat, Urt. v. 29.10.2002 - VI ZR 353/01, MDR 2003, 168 = BGHReport 2003, 256 -, a.a.O.) - sind nicht ersichtlich. Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nimmt auch das Berufungsgericht nicht an.
[4] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen des Klägers im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben.
[5] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen