Entscheidungsstichwort (Thema)
Behandlung einer Kapitallebensversicherung durch Insolvenzverwalter oder Treuhänder
Leitsatz (amtlich)
a) Der Insolvenzverwalter oder Treuhänder muss die in die Insolvenzmasse fallende Kapitallebensversicherung kündigen, wenn er den Rückkaufswert für die Masse beanspruchen will.
b) Der Insolvenzverwalter oder Treuhänder kann die Kapitallebensversicherung kündigen, auch wenn der Schuldner mit dem Versicherer nach § 165 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F. den Ausschluss des Kündigungsrechts vereinbart hat, wenn die Lebensversicherung pfändbar ist und in die Insolvenzmasse fällt.
Normenkette
InsO § 103; ZPO § 851 Abs. 2; VVG § 165 Abs. 3 S. 1 a.F., § 176 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 14.05.2008; Aktenzeichen 7 U 157/07) |
LG Wiesbaden (Urteil vom 15.06.2007; Aktenzeichen 9 O 44/07) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 14.5.2008 und das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Wiesbaden vom 15.6.2007 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.711,67 EUR zzgl. Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
G. E., die spätere Schuldnerin, schloss bei der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 1.9.1997 eine private Rentenversicherung ab. Mit Schreiben vom 26.5.2006 beantragte sie, nach § 165 Abs. 3 VVG in der Fassung vom 24.12.2003 die Verwertung der Versicherung vor Eintritt in den Ruhestand auszuschließen. Mit Verwertung sollte jede Nutzung des wirtschaftlichen Wertes der Versicherung zugunsten des Versicherungsnehmers oder eines Dritten (z.B. Kündigung, Beleihung, Abtretung und Verpfändung) gemeint sein. Der Wert der vom Ausschluss der Verwertbarkeit betroffenen Ansprüche sollte jeweils 200 EUR je vollendetem Lebensjahr des Versicherungsnehmers und seines Partners betragen, höchstens jedoch jeweils 13.000 EUR. Mit Schreiben vom 31.5.2006 stimmte die Beklagte dieser Vertragsänderung zu.
Rz. 2
Am 19.6.2006 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Treuhänder bestellt. Mit Schreiben vom 28.9.2006 erklärte er gegenüber der Beklagten gem. § 103 InsO die Nichterfüllung und bat um Überweisung des Rückkaufswerts auf sein Konto. Dies lehnte die Beklagte ab, weil nach ihrer Ansicht ein vertraglich vereinbartes Verwertungsverbot bestehe.
Rz. 3
Zum 1.1.2007 betrug der Rückkaufswert 5.711,67 EUR.
Rz. 4
Mit seiner Klage will der Treuhänder diesen Rückkaufswert zur Masse ziehen. Das LG hat die Klage ab- und das OLG die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Verurteilung der Beklagten.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts. Ein solcher Anspruch setze voraus, dass der Versicherungsvertrag beendet sei. Dies werde allein mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht erreicht, vielmehr müsse der Versicherungsvertrag gekündigt werden. Der Kläger aber habe den Versicherungsvertrag wegen des wirksam vereinbarten Kündigungsausschlusses nicht kündigen können. Der Insolvenzverwalter könne grundsätzlich nicht mehr Rechte geltend machen, als dem Schuldner zustünden. Das vertraglich abbedungene Recht zur Kündigung sei selbst dann nicht in die Insolvenzmasse gefallen, wenn der Anspruch auf den Rückkaufswert trotz des vertraglich vereinbarten Abtretungsverbots pfändbar gewesen wäre.
II.
Rz. 7
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 8
1. Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nach § 36 Abs. 1 InsO werden Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, keine Bestandteile der Insolvenzmasse. Die streitgegenständliche Rentenversicherung ist eine Lebensversicherung i.S.d. §§ 159 bis 178 VVG a.F. (§§ 150 bis 171 VVG). In eine solche private Lebensversicherung kann vollstreckt werden, es sei denn, sie unterfällt besonderen Pfändungsschutzvorschriften wie etwa §§ 850b Abs. 1 Nr. 4, 851c Abs. 2 ZPO. Deren Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Rz. 9
Nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers mit einer Versicherungssumme nicht über 3.579 EUR abgeschlossen wurden, nur bedingt pfändbar. Die Rentenversicherung der Schuldnerin ist hingegen nicht nur auf den Todesfall, sondern gerade auch auf den Erlebensfall vereinbart.
Rz. 10
§ 851c ZPO kommt schon deswegen nicht zur Anwendung, weil diese Vorschrift erst durch "Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge" vom 26.3.2007 mit Wirkung zum 31.3.2007 (BGBl. 2007 I, S. 368-369) eingeführt worden ist, mithin erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Pfändungsschutz gewährt diese Regelung deswegen nur gegen nach dem 30.3.2007 erfolgte Pfändungen (vgl. OLG Hamm, VersR 2010, 100 f.). Bereits wirksam vor ihrem Inkrafttreten begründete Pfandrechte bleiben von ihr unberührt. Nichts anderes gilt für den Insolvenzbeschlag. Schon deswegen kann entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung die zwischen der Schuldnerin und der Beklagten vereinbarte Abänderung des Versicherungsvertrages nicht ergänzend dahin ausgelegt werden, die Voraussetzungen des § 851c ZPO seien zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vereinbart (vgl. für den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Umwandlung des Versicherungsvertrages nach § 173 VVG a.F., § 167 VVG, wenn die Lebensversicherung bereits gepfändet ist: BGH, Beschl. v. 25.11.2010 - VII ZB 5/08, NZI 2011, 67 Rz. 22).
Rz. 11
Darüber hinaus erfüllt der streitgegenständliche Versicherungsvertrag nicht die Voraussetzungen des § 851c Abs. 2 und Abs. 1 ZPO. Denn die Beklagte ist dem zweitinstanzlichen Vorbringen des Klägers nicht entgegengetreten, im Versicherungsvertrag sei der Schuldnerin ein Kapitalwahlrecht eingeräumt. Mithin erfüllt er nicht die Voraussetzung des § 851c Abs. 1 Nr. 4 ZPO, wonach die Zahlung einer Kapitalleistung, ausgenommen eine Zahlung für den Todesfall, nicht vereinbart werden darf. Sämtliche Voraussetzungen des § 851c ZPO hätten kumulativ zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorliegen müssen (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 19).
Rz. 12
Weiterer Pfändungsschutz konnte bereits 2006 für die öffentlich geförderte Rente bestehen (vgl. Stöber, NJW 2007, 1242, 1245 f.; vgl. Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, S. 275). Dass es sich bei der streitgegenständlichen Rentenversicherung um eine solche öffentlich geförderte Rente gehandelt hat, hat die Beklagte aber nicht vorgetragen und ist auch fernliegend. Die Förderung hängt nämlich davon ab, dass der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall grundsätzlich nicht eine einmalige Kapitalabfindung wählen kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG, § 1 AltZertG), was aber die Schuldnerin durfte.
Rz. 13
Ebenso wenig ist der Insolvenzbeschlag ausgeschlossen wegen § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB. Zwar haben die Schuldnerin und die Beklagte die Abtretung der Versicherungsforderungen vertraglich bis zum Eintritt in den Ruhestand ausgeschlossen. Doch können nach § 851 Abs. 2 ZPO vereinbarungsgemäß nicht übertragbare Forderungen gepfändet werden, wenn der geschuldete Gegenstand der Pfändung unterworfen ist. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus §§ 811 ff., 850 ff. ZPO. Danach waren die Forderungen der Schuldnerin gegen die Beklagte pfändbar (vgl. Bendtsen in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 851 Rz. 26).
Rz. 14
2. Der Kläger musste den Versicherungsvertrag kündigen, um den Rückkaufswert zur Masse ziehen zu können.
Rz. 15
a) Bei der zwischen der Schuldnerin und der Beklagten vereinbarten Rentenversicherung handelt es sich um eine unter § 176 Abs. 1 VVG a.F. fallende Kapitallebensversicherung für den Todesfall, bei der die Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiss ist. Hierunter fällt auch eine aufgeschobene Rentenversicherung mit laufender Beitragszahlung und Kapitalwahlrecht, bei der die Versicherungsleistung fällig wird, wenn der Versicherte den Beginn der Rentenzahlung erlebt, und bei der im Fall des Todes des Versicherten vor Renteneintritt die Beiträge zurückgewährt werden (Prölss/Martin/Reiff, VVG, 28. Aufl., § 169 Rz. 21 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 10.1.1996 - IV ZR 125/95, VersR 1996, 357).
Rz. 16
b) Der Lebensversicherungsvertrag war beidseitig vor Insolvenzeröffnung noch nicht (vollständig) erfüllt, die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 InsO lagen mithin vor (vgl. hierzu Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 VVG Rz. 14).
Rz. 17
c) Der Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts entstand nicht schon durch die Insolvenzeröffnung oder die Wahl des Klägers, den Vertrag nicht zu erfüllen. Er setzte zu seinem Entstehen eine wirksame Kündigungserklärung des Klägers voraus.
Rz. 18
aa) Dem Urteil des Senats vom 4.3.1993 (IX ZR 169/92, NJW 1993, 1994 f.), wonach bei einer Lebensversicherung ohne oder mit widerruflichem Bezugsrecht der Konkursverwalter die Prämienreserve gem. § 176 VVG a.F. ohne vorherige Kündigung für die Konkursmasse beanspruchen konnte, sofern er sich nicht für die Erfüllung des Versicherungsvertrages entschieden hatte, lag im Hinblick auf die rechtliche Behandlung gegenseitiger, beiderseits nicht erfüllter Verträge noch die Erlöschenstheorie zugrunde (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2005 - IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232). Diese Rechtsprechung hat der Senat zunächst für den Werkvertrag (Urt. v. 25.4.2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359), sodann auch für andere gegenseitige Verträge aufgegeben (vgl. BGH, Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 96; v. 17.11.2005 - IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rz. 20 ff.; v. 9.3.2006 - IX ZR 55/04, NZI 2006, 350 Rz. 12; v. 1.3.2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rz. 11; v. 29.11.2007 - IX ZR 165/05, NZI 2008, 236 Rz. 26; v. 17.12.2009 - IX ZR 214/08, NZI 2010, 180 Rz. 11). Nichts anderes gilt auch für den Versicherungsvertrag, insb. auch für den Lebensversicherungsvertrag. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren die Ansprüche der Parteien eines Versicherungsvertrages, insb. eines Lebensversicherungsvertrages, lediglich ihre Durchsetzbarkeit, aber bleiben als solche erhalten. Die Verfahrenseröffnung bewirkt keine materiell-rechtliche Umgestaltung des Versicherungsvertrages (vgl. MünchKomm/VVG/Mönnich, § 168 Rz. 28; Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 VVG Rz. 13; MünchKomm/InsO/Huber, 2. Aufl., § 103 Rz. 118; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rz. 211; Elfring, BB 2004, 617, 618; Hasse, VersR 2005, 1176, 1187 Fn. 117; Kayser, FS Kreft (2004) 341, 346; Kayser, Die Lebensversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers (2006), S. 47).
Rz. 19
bb) In der Literatur ist streitig, welche Folgen diese neuere Rechtsprechung für die Lebensversicherung und die Ansprüche hieraus hat.
Rz. 20
Teilweise wird vertreten, die gegenseitigen Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag erlöschten auch nach der neuen Rechtsprechung, wenn der Insolvenzverwalter im Rahmen seines Wahlrechts nach § 103 InsO die Fortführung des Vertrages ablehne; der Rückkaufswert nebst Überschussbeteiligung falle ohne Kündigung durch den Insolvenzverwalter in die Insolvenzmasse (MünchKomm/VVG/Mönnich, § 168 Rz. 28; Flitsch, BB 2003, 317, 319; Janca, ZInsO 2003, 449, 450; Kayser, FS Kreft (2004), 341, 345; Hasse, VersR 2005, 1176, 1187 Fn. 117; Hasse, VersR 2005, 15, 20).
Rz. 21
Demgegenüber verlangen andere eine Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Insolvenzverwalter, damit der Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts entstehen könne (Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 Rz. 13; MünchKomm/InsO/Huber, a.a.O., § 103 Rz. 118; Uhlenbruck/Hirte, a.a.O., § 35 Rz. 216, 219; Kayser, Die Lebensversicherung in der Insolvenz des Arbeitgebers, 2006, S. 51; vgl. auch: Beckmann/Matusche-Beckmann/Brömmelmeyer, Versicherungsrechtshandbuch, § 42 Rz. 150; Elfring, BB 2004, 614, 619; NJW 2005, 2192, 2194).
Rz. 22
cc) Zutreffend ist die Auffassung, die eine Kündigung des Lebensversicherungsvertrages verlangt, damit der Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts entsteht. Mit der Insolvenzeröffnung kommt es zu einer Vertragsaufspaltung in einen vor Insolvenzeröffnung bereits (einseitig) erfüllten Vertragsteil und einen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung beiderseits noch unerfüllten Vertragsteil.
Rz. 23
Anders als etwa für die Vergütung aus einem aufgespaltenen Kauf- und Werkvertrag ergibt sich aus dem aufgespaltenen Versicherungsvertrag jedoch nicht ohne Weiteres aufgrund der Zahlung der Prämien ein Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Versicherungsleistung. Der Versicherungsvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass der Versicherer diese erst im Versicherungsfall und bei der Kapitallebensversicherung für den Todesfall zusätzlich bei Vertragsaufhebung durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung zu erbringen hat (§ 176 Abs. 1 VVG a.F.; vgl. für das neue Recht § 169 Abs. 1 VVG). Die Insolvenzeröffnung lässt die Erfüllungsansprüche desjenigen Vertragspartners, der vor Eröffnung mehr Leistungen als der andere erbracht hat, grundsätzlich unberührt (MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 4). Daraus folgt, dass der Insolvenzverwalter nur dann gegen den Lebensversicherer einen Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts hat, wenn er den Versicherungsvertrag kündigt. Dieser erst mit der Kündigung entstehende Anspruch ist der Gegenwert zur erbrachten Prämienzahlung (vgl. BGH, Urt. v. 17.2.1966 - II ZR 286/63, BGHZ 45, 162, 167; v. 18.6.2003 - IV ZR 59/02, WM 2003, 2247, 2248; Mohrbutter/Ringstmeier/Neufeld, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., § 28 Rz. 151; Prahl, VersR 2006, 884, 889).
Rz. 24
3. Der Kläger konnte als Treuhänder den Lebensversicherungsvertrag kündigen und hat ihn gekündigt. Der vertraglich bis zum Eintritt des Ruhestandes der Schuldnerin vereinbarte Kündigungsausschluss stand der Kündigung nicht entgegen.
Rz. 25
a) Der Kläger ist Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren gem. § 313 InsO. Seine Rechtsstellung bestimmt sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 80 ff. InsO (BGH, Urt. v. 24.7.2003 - IX ZR 333/00, NZI 2003, 666, 667). Gemäß § 80 Abs. 1 InsO ist mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse auf ihn übergegangen (Uhlenbruck, a.a.O., § 80 Rz. 79). Er ist in sämtliche vermögensrechtlichen Positionen der Schuldnerin mit der Folge eingetreten, dass ihm die gleichen Rechte zustehen und die gleichen Pflichten obliegen wie der Schuldnerin selbst. Deswegen kann er einen Vertrag kündigen, sofern dieser - wie vorliegend - Teil der Insolvenzmasse ist (BGH, Urt. v. 10.1.2008 - IX ZR 94/06, NZI 2008, 244 Rz. 9).
Rz. 26
Aus dem Urteil des Senats vom 10.1.2008 (a.a.O., Rz. 10) ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nichts anderes. Der Senat hat dort entschieden, das Recht, die freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte zu beenden, könne weder zusammen mit dem Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Beiträge noch isoliert gepfändet werden. Die Pfändbarkeit dieses Anspruchs richtet sich nach § 54 SGB I, wonach nur Ansprüche auf einmalige Geldleistungen unter bestimmten Voraussetzungen gepfändet werden dürfen. Das Stammrecht - etwa eine Rentenanwartschaft - kann nicht gepfändet werden (a.a.O. Rz. 12 f.). Die öffentlich-rechtliche Pflichtversicherung unterscheidet sich insoweit von einer noch nicht auszahlungsreifen Lebensversicherung. Das Recht zur Kündigung des privaten Lebensversicherungsvertrages kann nämlich zusammen mit dem Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswerts gepfändet werden (BGH, Urt. v. 17.2.1966 - II ZR 286/63, BGHZ 45, 162, 168; vom 18.6.2003 - IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679, 2680; v. 2.12.2009 - IV ZR 65/09, VersR 2010, 517 Rz. 12). Der Insolvenzverwalter des Versicherten kann also vorbehaltlich des § 851c ZPO die Kündigung erklären und sich aus dem Rückkaufswert der Versicherung befriedigen, wodurch das Rentenstammrecht erlischt (BGH, a.a.O., Rz. 17).
Rz. 27
b) Die Schuldnerin hat mit der Beklagten am 26./31.5.2006 bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand ein umfassendes Verwertungsverbot vereinbart, das auch den Ausschluss, den Vertrag zu kündigen, umfasst. Dieser Kündigungsausschluss beruht auf § 165 Abs. 3 Satz 1 VVG in der Fassung des "Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" vom 24.12.2003, in Kraft getreten mit Wirkung zum 1.1.2005. Mit dem gleichen Gesetz ist § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Kraft getreten, auf den § 165 Abs. 3 VVG inhaltlich Bezug nimmt. Sinn des § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ist es, das zur Feststellung der Hilfsbedürftigkeit zu berücksichtigende Vermögen desjenigen zu bestimmen, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen will. Nach dieser Regelung sollen geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, vom Vermögen abgesetzt werden können, soweit der Versicherungsnehmer sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 200 EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils 13.000 EUR nicht übersteigt. Bis zum 31.12.2004 konnte bei Lebensversicherungen - zum Schutz des Versicherungsnehmers vor überlangen Versicherungsverträgen gem. § 178 VVG a.F. halbzwingend ausgestaltet (§§ 168, 171 VVG) - das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers vertraglich nicht ausgeschlossen werden, § 165 VVG a.F. (vgl. zum heutigen Recht MünchKomm/VVG/Mönnich, § 168 Rz. 1; Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 Rz. 15). Deswegen musste der Gesetzgeber das Versicherungsvertragsgesetz in diesem Punkt ändern, damit Leistungsberechtigte auf Grundsicherung für Arbeitsuchende überhaupt Altersvorsorge in dem in § 12 SGB II genannten Sinne betreiben konnten (vgl. MünchKomm/VVG/Mönnich, § 168 Rz. 8). Überlegungen zum Pfändungsschutz spielten keine Rolle. Für die vollstreckungsrechtliche Absicherung der privaten Altersvorsorge sorgte der Gesetzgeber erst durch das "Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge" vom 26.3.2007, in Kraft getreten am 31.3.2007, durch Einführung der §§ 851c, 851d ZPO und die Ergänzung von § 165 Abs. 3 VVG um einen Satz 2, wonach das Kündigungsrecht auch ausgeschlossen werden durfte bei Verträgen, die unter die §§ 851c, 851d ZPO fielen (heute § 168 Abs. 3 Satz 2 VVG).
Rz. 28
Die Schuldnerin hätte aufgrund des vereinbarten Verwertungsverbots den Lebensversicherungsvertrag nicht kündigen oder abtreten können. Die vertragliche Vereinbarung der Schuldnerin mit der Beklagten fällt insoweit nicht unter § 137 BGB. Denn diese Regelung findet keine Anwendung auf Rechte, bei welchen die Vertragsparteien vom Gesetz ermächtigt wurden, die Unveräußerlichkeit zu vereinbaren (RGKK-BGB/Zöller, 12. Aufl., § 137 Rz. 9; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 60).
Rz. 29
c) Der Insolvenzverwalter ist an diesen Kündigungsausschluss nicht gebunden.
Rz. 30
aa) Zwar trifft es im Grundsatz zu, dass Insolvenzverwalter und Treuhänder mit der Übernahme ihres Amtes in die Rechte und Pflichten des Schuldners eintreten und deshalb grundsätzlich für die Masse nicht mehr und keine anderen Rechte beanspruchen können, als diesem zustehen (BGH, Urt. v. 27.5.1971 - VII ZR 85/69, BGHZ 56, 228, 230 f.). Lasten und Beschränkungen des Vermögens des Schuldners sind der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters vorgegeben und grenzen diese ein. Auch schuldrechtliche Beschränkungen der Rechte des Schuldners setzen sich in der Insolvenz fort (MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, a.a.O., § 80 Rz. 43).
Rz. 31
Dieser Grundsatz wird aber durch die Regelungen der Insolvenzordnung deutlich eingeschränkt, etwa auch durch § 80 Abs. 2 InsO, wonach ein gegen den Schuldner bestehendes Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 BGB), im Insolvenzverfahren keine Wirkung hat. Diese Vorschrift findet allerdings vorliegend keine Anwendung. Selbst wenn in § 165 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F. und § 168 Abs. 3 Satz 1 VVG ein gesetzliches Veräußerungsverbot zu sehen ist, diente es jedenfalls nicht dem Schutz bestimmter anderer Personen, sondern allein dem Schutz des Schuldners und öffentlichen Interessen (vgl. Armbrüster in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 135 Rz. 7, 50; vgl. zu den Gründen dieser Regelung MünchKomm/VVG/Mönnich, § 168 Rz. 7 ff.; Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 Rz. 15).
Rz. 32
Die Revisionsbegründung meint, dass in dem Kündigungsausschluss ein rechtsgeschäftliches Veräußerungsverbot i.S.v. § 137 BGB liege, das als schuldrechtliche Verpflichtung des Insolvenzschuldners für den Verwalter keine bindende Wirkung habe, so dass deren Nichtbeachtung keine Masseverbindlichkeit begründe (vgl. MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, a.a.O., § 80 Rz. 155; Uhlenbruck, a.a.O., § 80 Rz. 204). § 137 BGB findet auf das streitgegenständliche Verfügungsverbot jedoch keine Anwendung, weil es auf einer gesetzlichen Anordnung beruht. Deswegen kann auch der Kläger als Treuhänder sich auf diese Vorschrift nicht berufen.
Rz. 33
bb) Der Kläger kann jedoch in Anwendung des Rechtsgedankens des § 851 Abs. 2 ZPO den Versicherungsvertrag gem. § 165 Abs. 1 VVG a.F. kündigen und den Rückkaufswert gem. § 176 Abs. 1 VVG a.F. für die Masse beanspruchen.
Rz. 34
Für den Fall eines Abtretungsausschlusses ermöglicht § 851 Abs. 2 ZPO die Einzel- und Gesamtvollstreckung. Dadurch soll verhindert werden, dass die Vertragsparteien durch eine Vereinbarung des Abtretungsausschlusses ein Pfändungsverbot schaffen und Vermögen der Zwangsvollstreckung entziehen können. Ein Interesse des (Dritt-)Schuldners an der Unübertragbarkeit der Forderung muss dem Interesse der Gläubiger weichen, denen nicht verwehrt sein darf, auf die Forderung zuzugreifen (BGH, Urt. v. 27.5.1971 - VII ZR 85/69, BGHZ 56, 228, 232; Kindl/Meller-Hannich/Wolf, a.a.O., § 851 Rz. 25). Der Insolvenzverwalter könnte die Lebensversicherung wegen des Abtretungsverbots zwar nicht übertragen, aber verwerten (BGH, a.a.O., S. 231).
Rz. 35
Eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt für den Ausschluss des Kündigungsrechts in Bezug auf die Kapitallebensversicherung. Insoweit enthält das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke. Denn der Gesetzgeber wollte durch die Schaffung von § 165 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F., § 168 Abs. 3 Satz 1 VVG das Altersvorsorgevermögen nicht vor einer Pfändung schützen. Den Pfändungsschutz hat er erst durch Einführung der §§ 165 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F., 168 Abs. 3 Satz 2 VVG, §§ 851c f. ZPO verwirklicht.
Rz. 36
Die Interessenlage der Beteiligten ist bei einer Kapitallebensversicherung sowohl im Fall des vertraglichen Abtretungsausschlusses wie auch des vertraglichen Kündigungsausschlusses identisch. Es ist kein Grund ersichtlich, warum beide in der Einzel- wie in der Gesamtvollstreckung unterschiedlich behandelt werden sollten. Sonst könnten die Vertragsparteien durch Vereinbarung des Kündigungsausschlusses die Verwertung der Lebensversicherung verhindern, obwohl die Lebensversicherung selbst der Einzel- und Gesamtvollstreckung unterliegt und der vereinbarte Abtretungsausschluss diese Wirkung gerade nicht hat.
Rz. 37
Dies würde im Insolvenzverfahren dem Grundsatz der bestmöglichen Verwertung der Masse (BGH, Urt. v. 27.5.1971 - VII ZR 85/69, BGHZ 56, 228, 231 f.) widersprechen. Dieser Grundsatz hat Vorrang auch vor dem Hintergrund des § 12 SGB II. Der durch den Gesetzgeber hier ermöglichte Kündigungsausschluss war nicht als Bestandsschutz für den Insolvenzfall gedacht. Vielmehr wollte der Gesetzgeber lediglich erreichen, dass die ordentlich nicht kündbare Lebensversicherung in das sozialrechtliche Schonvermögen des Leistungsberechtigten auf Grundsicherung für Arbeitsuchende fiel. Dieser Gesetzeszweck schließt nicht aus, dass Gläubiger in das sozialrechtliche Schonvermögen eines Schuldners vollstrecken können. Das zeigt schon die Diskrepanz zwischen sozialrechtlichem Schonvermögen und Pfändungsschutz im Übrigen. So kann in das vom Schuldner selbst genutzte Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung vollstreckt werden, auch wenn sie gem. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zum sozialrechtlichen Schonvermögen gehören. Ebenso wenig kennt das Vollstreckungsrecht ein nicht zu berücksichtigendes Vermögen i.S.v. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II.
Rz. 38
cc) Dieses Ergebnis wird im Insolvenzverfahren durch § 103 InsO bekräftigt. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters soll diesem ermöglichen, einen von keiner Seite bereits vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag zum Vorteil der Masse und damit der Gläubigergesamtheit auszuführen. Gleichzeitig soll dem Vertragspartner der durch das funktionelle Synallagma vermittelte Schutz erhalten bleiben (BGH, Urt. v. 7.3.2002 - IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138, 148; MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 2). Dem Insolvenzverwalter wird eine einseitige Wahlmöglichkeit eingeräumt, den Vertrag zu erfüllen oder die Erfüllung abzulehnen (vgl. BGH, a.a.O.). Der vorleistende Gläubiger hat als Entgelt seiner Leistungen vor Verfahrenseröffnung nur eine Insolvenzforderung, auch wenn der Insolvenzverwalter Erfüllung wählt, § 105 InsO. Die Masse erhält einen Anspruch auf das Entgelt der vom Schuldner bis zur Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen, auch wenn der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung ablehnt (MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 8 ff., Rz. 32, Rz. 47). Das muss auch für die Kapitallebensversicherung gelten, bei der der Schuldner einen Teil der Prämien gezahlt hat. Diese Prämien sind Vorleistungen des Schuldners, deren Gegenwert - der Rückkaufswert - aus Gründen des Gläubigerschutzes in die Masse zurückfließen muss. Es gibt keinen sachlichen Grund, dass der Schuldner zu Lasten der Gläubiger Vermögen - wenn auch zur Altersvorsorge - bilden kann, ohne dass der Gesetzgeber diese Vermögensbildung vor Pfändungen geschützt hat.
Rz. 39
dd) In ähnlicher Wertung hat der Senat bereits entschieden, dass eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Schuldner und einem Grundpfandgläubiger getroffene vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung den Insolvenzverwalter auch dann nicht bindet, wenn das Grundstück zugunsten dieses Gläubigers wertausschöpfend belastet ist (BGH, Urt. v. 13.1.2011 - IX ZR 53/09, NZI 2011, 138).
Rz. 40
d) In dem Schreiben des Klägers vom 28.9.2006, mit dem er die Nichterfüllung des Versicherungsvertrages gem. § 103 InsO gegenüber der Beklagten erklärt und sie aufgefordert hat, ihm den Rückkaufswert zu überweisen, liegt die erforderliche Kündigungserklärung. In der Literatur ist zu Recht anerkannt, dass an den Inhalt der Kündigungserklärung keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Eine Erfüllungsablehnung durch den Verwalter genügt als Kündigungserklärung (MünchKomm/InsO/Huber, a.a.O., § 103 Rz. 118; Prölss/Martin/Reiff, a.a.O., § 168 Rz. 13). Es reicht jede Erklärung aus, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass der Versicherungsvertrag nicht fortgesetzt werden soll (Elfring, BB 2004, 617, 619) und die Zahlung des Rückkaufswert verlangt wird.
Rz. 41
4. Entgegen der Revisionserwiderung ist der eingezogene Rückkaufswert nicht nach §§ 191 Abs. 1, 198 InsO zu hinterlegen. Die Schuldnerin ist keine Insolvenzgläubigerin i.S.d. §§ 187 ff. InsO, die an der Verteilung der Masse zu beteiligen wäre.
III.
Rz. 42
1. Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache nach letzterem zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO), war auf die Berufung auch das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Rz. 43
2. Der Zinsanspruch auf die Hauptforderung ist in der beantragten Höhe berechtigt. Er beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich seit dem 21.12.2006 in Verzug, nachdem der Kläger sie mit Schreiben vom 28.11.2006 unter Fristsetzung bis zum 20.12.2006 zur Zahlung aufgefordert hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2859799 |
BB 2012, 343 |
DB 2012, 110 |
DStR 2012, 761 |