Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung. Eigenkapitalersatzregeln. Überlassungsunwürdigkeit
Leitsatz (amtlich)
Insolvenzreife einerseits und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit andererseits sind eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände der Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts.
Normenkette
GmbHG § 32 a
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 21.06.2005; Aktenzeichen 27 U 23/05) |
LG Bochum (Entscheidung vom 23.11.2004; Aktenzeichen 12 O 159/03) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 27. Zivilsenats des OLG Hamm vom 21.6.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 8. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1]Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin, deren Alleingesellschafter seit dem 1.2.2000 F. S. ist, entrichtete für die Nutzung ihres Betriebsgrundstücks im Zeitraum von April 2000 bis April 2001 Pachtzahlungen i.H.v. 83.954,13 EUR an die Beklagte. Deren alleiniger Kommanditist ist ebenfalls F. S.; Komplementär war bis zum 5.11.2001 sein Vater W. S.; seitdem ist Komplementärin die S. Fleischwarenfabrik GmbH; ihr Gesellschafter ist ebenfalls F. S. .
[2]Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eigenkapitalersetzender Nutzungsüberlassung auf Rückzahlung von 83.954,13 EUR in Anspruch. Das LG hat der Klage uneingeschränkt, das OLG - unter dem Gesichtspunkt des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO - lediglich i.H.v. 6.646,79 EUR stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrages i.H.v. 77.307,34 EUR.
Entscheidungsgründe
[3]Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
[4]I. Das OLG meint, die Nutzungsüberlassung an die Schuldnerin falle nicht in den Anwendungsbereich des Kapitalersatzrechts. Zwar seien die Regeln des Kapitalersatzrechts grundsätzlich anwendbar, wenn die Gesellschaft überschuldet oder zahlungsunfähig sei. Bei der eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung müsse jedoch das weitere Merkmal der Überlassungsunwürdigkeit hinzutreten. Da es sich bei dem gepachteten Betriebsgrundstück um ein Standardwirtschaftsgut handele und die Schuldnerin in der Lage gewesen sei, das laufende Nutzungsentgelt zu bezahlen, könne nicht von ihrer Überlassungsunwürdigkeit ausgegangen werden.
[5]II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Für das Revisionsverfahren ist, da das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen zu dem Vorbringen des Klägers nicht getroffen hat, zu unterstellen, dass die Schuldnerin im Zahlungszeitraum überschuldet war und dass die Beklagte Normadressatin der Eigenkapitalersatzregeln ist.
[6]1. Zu Unrecht nimmt das OLG an, eine eigenkapitalersetzende Gebrauchsüberlassung setze neben der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit voraus, dass die Gesellschaft überlassungsunwürdig sei.
[7]a) Die Eigenkapitalersatzregeln greifen stets ein, wenn der Gesellschafter der GmbH in der Krise (§ 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG) eine Gesellschafterhilfe erstmals gewährt oder die früher gegebene Hilfe belässt. Eine Krise ist außer bei Insolvenzreife der Gesellschaft in Vorverlagerung (BGH, Urt. v. 23.2.2004 - II ZR 207/01, BGHReport 2004, 1025 = GmbHR 2004, 898 m. Anm. Bormann = ZIP 2004, 1049 [1052]; Urt. v. 22.12.2005 - IX ZR 190/02, GmbHR 2006, 316 m. Anm. Blöse = BGHReport 2006, 453 m. Anm. Breitling = ZIP 2006, 243 Rz. 15) der den Gesellschaftern abverlangten Entscheidung auch dann gegeben, wenn die Gesellschaft kreditunwürdig bzw. überlassungsunwürdig ist. Nach dieser Rechtsprechung sind, was das Berufungsgericht verkannt hat, Insolvenzreife und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände des Eigenkapitalersatzrechts (BGH v. 16.10.1989 - II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 [60, 62] = GmbHR 1990, 118 = MDR 1990, 224; Urt. v. 23.2.2004 - II ZR 207/01, BGHReport 2004, 1025 = GmbHR 2004, 898 m. Anm. Bormann = ZIP 2004, 1049 [1052]; Urt. v. 14.6.1993 - II ZR 252/92, MDR 1993, 852 = GmbHR 1993, 503 = NJW 1993, 2179 f.).
[8]b) Da - wie ausgeführt - die Überschuldung der Schuldnerin revisionsrechtlich zu unterstellen ist, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil nicht nur die Frage der Überschuldung, sondern auch die der Normadressateneigenschaft der Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.2000 - II ZR 179/99, MDR 2001, 340 = BGHReport 2001, 170 = GmbHR 2001, 106 = ZIP 2001, 115) zu klären ist.
[9]2. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien zu der geltend gemachten Überschuldung - ggf. mit sachverständiger Hilfe und, soweit Gesellschafterdarlehen mit Rangrücktrittserklärungen versehen sind, unter Berücksichtigung der in BGHZ 146, 264 (BGH v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = MDR 2001, 401 = BGHReport 2001, 197 m. Anm. Bormann = AG 2001, 303 = GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen) aufgestellten Grundsätze - die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
[10]Falls das Berufungsgericht eine Überschuldung der Schuldnerin nicht feststellen sollte, wird es im Blick auf eine etwaige Überlassungsunwürdigkeit ihrem durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten Vorbringen, dass das Pachtgrundstück in seiner Gesamtheit als ein spezielles Wirtschaftsgut einzustufen ist, nachzugehen haben; dass diese Frage, die nur auf Grund eingehender Marktkenntnisse in dem Gebiet der Schuldnerin beantwortet werden kann, von dem Berufungsgericht auf Grund dessen eigener Sachkunde geklärt werden kann, ist derzeit nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1511586 |
BB 2006, 1178 |
DB 2006, 1205 |
DStR 2006, 1144 |
DStZ 2006, 531 |