Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. AG (fortan: Schuldnerin) wegen der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten persönlich auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte bemühte sich darum, das Unternehmen der Schuldnerin zu sanieren. Noch als vorläufiger Insolvenzverwalter teilte der Beklagte den Lieferanten mit einem Formschreiben vom 12. Oktober 1999 mit, er könne "verbindlich erklären: 1. Alle Lieferungen und Leistungen, die Sie ab sofort erbringen, werden im Rahmen der Zahlungsziele, spätestens aber bis Ende November 1999 bezahlt. ..." Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Dezember 1999 erklärten die Geschäftsleitung der Schuldnerin und der Beklagte gegenüber den Lieferanten mit einem Formschreiben vom selben Tage, sie wollten den Lieferanten die Sicherheit vermitteln, "daß die ... (Schuldnerin) auch in den nächsten Monaten in der Lage sein wird, ihren Liefer- und Abnahmeverpflichtungen nachzukommen." Weiterhin hieß es in dem Schreiben: "... wir ... (brauchen) das Vertrauen unserer Kunden und Lieferanten. ... Unter diesen Aspekten können Sie davon ausgehen, daß die Liefer- und Abnahmefähigkeit der ... (Schuldnerin) bestehen bleibt und es keine Probleme bezüglich der Fortsetzung der Lieferungen und Warenkäufe geben wird."
Im Juli 2000 verkaufte der Beklagte einerseits die Warenbestände und andererseits die Maschinen, maschinellen Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung und immateriellen Wirtschaftsgüter (im folgenden: Anlagevermögen) zum 1. November 2000 an zwei verschiedene Abnehmer. Der Kaufpreis für die Warenbestände sollte nach einer Inventur zum Übernahmestichtag festgelegt werden und war in zwei hälftigen Raten ab November 2000 und zum 1. Mai 2001 fällig. Der Kaufpreis für das Anlagevermögen betrug 12 Mio. DM zuzüglich Umsatzsteuer und war in Raten ab Februar 2001 fällig. Am 28. August und am 13. September 2000 bestellte der Beklagte bei der Klägerin Waren, welche die Klägerin lieferte und in Rechnung stellte; die Forderungen waren jeweils 14 Tage ab Rechnungstellung fällig. Im einzelnen handelte es sich um folgende Rechnungen:
- Vom 27. September 2000 über insgesamt 5.788,40 DM brutto.
- Vom 5. Oktober 2000 über insgesamt 13.603,49 DM brutto.
- Vom 12. Oktober 2000 über insgesamt 15.648,40 DM brutto.
- Vom 19. Oktober 2000 über insgesamt 5.771 DM brutto.
- Vom 20. Oktober 2000 über insgesamt 3.462,60 DM brutto.
Der Beklagte bezahlte diese Rechnungen nicht. Am 24. November 2000 ging die erste Kaufpreisrate für das Umlaufvermögen in Höhe von 9.185.905,43 DM ein. Noch am selben Tage leitete der Beklagte von dieser Summe 8.060.400 DM an einen Gläubiger- und Lieferantenpool weiter. Weitere Zahlungen der Käufer der Warenbestände und des Anlagevermögens erfolgten nicht. Mit Schreiben vom 7. März 2001 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit an.
Das Landgericht hat der Klage - bis auf die Umsatzsteuer - Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche gegen die Insolvenzmasse stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg; auf die Anschlußberufung der Klägerin wurde der Beklagte auch dazu verurteilt, die Umsatzsteuer zu zahlen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte hafte der Klägerin nach § 61 Satz 1 InsO auf Schadensersatz. Die Ersatzpflicht trete bereits ein, wenn der Insolvenzverwalter nicht in der Lage sei, die Masseschulden bei Fälligkeit zu erfüllen. Eine spätere Erfüllbarkeit sei unerheblich. Der Beklagte könne sich nicht nach § 61 Satz 2 InsO entlasten. Dabei könne offenbleiben, ob bereits die Begründung der Verbindlichkeiten pflichtwidrig gewesen sei. Die Entlastungsmöglichkeit nach § 61 Satz 2 InsO sei dem Beklagten jedenfalls deshalb zu versagen, weil er die Masseunzulänglichkeit und damit die Nichterfüllung der Ansprüche pflichtwidrig selbst herbeigeführt habe. § 61 Satz 1 InsO erfasse alle Fälle, bei denen die Masse zur Erfüllung von durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründeten Masseverbindlichkeiten nicht ausreiche. Der Beklagte habe sich vergewissern müssen, daß keine Forderungen von Massegläubigern offenstehen, bevor er 8.060.400 DM an den Gläubigerpool auskehrte. Auf spätere, nach der Fälligkeit liegende Zahlungseingänge habe er nicht vertrauen dürfen. Die fehlende Kenntnis der Ansprüche der Klägerin entlaste den Beklagten nicht, weil dies durch eine ordnungsgemäße Buchhaltung hätte vermieden werden können. Zudem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, sich vor Auszahlung eines Betrages dieser Größenordnung besonders zu vergewissern, ob alle Rechnungen bezahlt worden seien. Der Beklagte müsse an die Klägerin nach § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG auch die Umsatzsteuer zahlen, weil die Ersatzleistung des Beklagten die Gegenleistung für die Lieferung der Klägerin darstelle.
II. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Ein Anspruch aus § 61 InsO besteht nach dem revisionsrechtlich zugrundezulegenden Sachverhalt nicht. § 61 InsO erfaßt nur solche Schäden, die auf einer Pflichtverletzung beruhen, die dem Insolvenzverwalter bei Begründung der Masseverbindlichkeit unterlaufen ist. Dazu hat das Berufungsgericht Feststellungen nicht getroffen.
a) Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, daß eine Schadensersatzpflicht nach § 61 Satz 1 InsO nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil noch Masseansprüche in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe offenstehen. Die dagegen erhobenen Rügen der Revision greifen im Ergebnis nicht durch (BGH, Urt. v. 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03, z.V.b. in BGHZ).
b) Jedoch regelt § 61 InsO - wie die Revision zutreffend geltend macht - ausschließlich die Haftung des Insolvenzverwalters für die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten (BGH, Urt. v. 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03). § 61 InsO legt keine insolvenzspezifischen Pflichten für die Zeit nach Begründung einer Verbindlichkeit fest. Die Vorschrift ist keine Anspruchsgrundlage für einen Schaden, der aus erst nach Vertragsschluß eingetretenen Gründen entstanden ist.
2. Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 60 InsO hat das Berufungsgericht nicht hinreichend festgestellt.
a) Die Klägerin ist - entgegen der Ansicht der Revision - für einen Anspruch aus § 60 InsO prozeßführungsbefugt. § 92 InsO erfaßt den vorliegenden Fall weder unmittelbar noch entsprechend (vgl. BGH, Urt. v. 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03).
b) Ein Anspruch aus § 60 InsO setzt voraus, daß der Insolvenzverwalter mit Auszahlung der 8.060.400 DM an den Pool eine ihm gegenüber der Klägerin als Massegläubigerin obliegende Pflicht verletzt hat. Hierzu fehlen - wie die Revision zutreffend rügt - Feststellungen des Berufungsgerichts. Der Beklagte könnte eine insolvenzspezifische Pflicht verletzt haben, wenn die Forderungen der Klägerin gegenüber den Forderungen des Gläubigerpools vor- oder gleichrangig waren. Dies wäre der Fall, wenn der Gläubigerpool ungesicherte Insolvenzforderungen (dann Nachrang des Gläubigerpools, § 53 InsO) oder ungesicherte Masseforderungen (dann Gleichrang des Gläubigerpools) vereinigte. Die subjektive Einschätzung des Beklagten, er hätte die Forderungen der Klägerin, wenn er gewußt hätte, daß sie noch bestanden, vom Auszahlungsbetrag beglichen, ist hingegen für die Frage der Pflichtverletzung belanglos. Umgekehrt hätte der Beklagte pflichtgemäß gehandelt, wenn die Forderungen des Gläubigerpools gegenüber den Forderungen der Klägerin vorrangig waren. Dies träfe zu, wenn und soweit es sich bei den Mitgliedern des Gläubigerpools um Aus- oder Absonderungsberechtigte gehandelt haben sollte.
III. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Eine auf § 61 InsO gestützte Klage ist schlüssig, wenn eine fällige und einredefreie Masseforderung nicht erfüllt ist und der Kläger seinen Schaden (negatives Interesse, siehe unten zu c) darlegt. Soweit die Klägerin Ansprüche aus § 61 InsO geltend macht, wird das Berufungsgericht mithin aufzuklären haben, ob sich der Beklagte gemäß § 61 Satz 2 InsO entlasten kann. Vermag er dies nicht, wird es - nach weiterem Vortrag der Klägerin - die Höhe des Schadens festzustellen haben.
a) Der Verwalter kann sich auf zweierlei Art entlasten. Er hat entweder zu beweisen, daß objektiv von einer zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreichenden Masse auszugehen war, oder daß für ihn nicht erkennbar war, daß dies nicht zutraf.
Der Verwalter kann den Beweis - wie der Senat im Urteil vom 6. Mai 2004 in der Parallelsache IX ZR 48/03 ausgeführt hat - im allgemeinen nur führen, wenn er eine plausible Liquiditätsrechnung erstellt und diese bis zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit ständig überprüft und aktualisiert. Grundlage ist eine Prognose aufgrund der aktuellen Liquiditätslage der Masse, der realistischen Einschätzung noch ausstehender offener Forderungen und der künftigen Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung.
b) Der Insolvenzverwalter hat sich für den Zeitpunkt der Begründung der Ansprüche zu entlasten. Maßgebend ist grundsätzlich, wann der Rechtsgrund gelegt ist; der anspruchsbegründende Tatbestand muß materiell-rechtlich abgeschlossen sein. In der Regel wird dies der Zeitpunkt des Vertragsschlusses sein. Hingegen sind sowohl der Zeitpunkt der Rechnungstellung als auch der der Fälligkeit der Forderungen belanglos.
c) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß § 61 InsO einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses gewährt. Auch insoweit wird auf das Senatsurteil vom 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03 - verwiesen.
d) Ist der Anspruch aus § 61 InsO auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet, erfaßt er nicht die Umsatzsteuer. Denn die Ersatzzahlung beruht nicht auf einem Leistungsaustausch (vgl. Peter/Burhoff/Stöcker, Umsatzsteuergesetz, 31. Lieferung 1995, § 1 Rn. 412).
2. Soweit die Klägerin einen Anspruch aus § 60 InsO wegen pflichtwidriger Auszahlung der vorhandenen Masse geltend macht, wird das Berufungsgericht aufzuklären haben, welche Ansprüche des Gläubigerpools der Auszahlung zugrunde lagen.
3. Das Berufungsgericht wird ferner zu prüfen haben, ob die Schreiben vom 12. Oktober und 2. Dezember 1999 eine persönliche Haftungsübernahme des Beklagten wegen Garantie oder Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens darstellen.
4. Die Klägerin wird die Ansprüche aus § 60 und § 61 InsO in ein Rangverhältnis zu bringen haben, weil es sich um alternative Klagebegehren mit unterschiedlichem Streitgegenstand handelt, die nicht auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet und deshalb ohne Klärung ihres Verhältnisses als Haupt- und Hilfsantrag unzulässig sind. Im gegenwärtigen Zeitpunkt kommt eine Abweisung der Klage als unzulässig nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht die notwendige Klärung unterlassen hat und der Klägerin Gelegenheit zu geben ist, sich anhand des Revisionsurteils über ihre Antragstellung schlüssig zu werden.
Fundstellen